Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war es draußen bereits hell. Der Wind, der durch das geöffnete Fenster wehte und die leichten, hellen Vorhänge bewegte, fühlte sich frischer an, als gestern und während ich mich ausgiebig streckte, streiften Erinnerungsfetzen an meinem inneren Auge vorbei und mein Herz begann zu stolpern. Für einen Moment schloss ich die Augen und fühlte wieder seine Hand in meiner, sah sein Lächeln, was so amüsiert war über die ganze Situation, spürte seinen Atem auf meiner Haut…
Fast unbewusst wanderten meine Finger an die Stelle auf meinem Hals - da wo seine Lippen beinahe meine Haut berührt hatten. Wüsste ich nicht ganz genau, dass das kein Traum war, würde ich das alles nicht glauben. Herr Müller starrte mich erwartungsvoll an, was wohl bedeutete, dass ich länger geschlafen hatte, als ich gedacht hatte.
„Nur einen Moment noch“, murmelte ich ihm zu und griff lächelnd nach meinem Handy, welches über Nacht geladen hatte.
Ich wollte nur noch einmal diese Worte lesen.
Nur noch einmal diese Bestätigung, dass der gestrige Abend wirklich passiert war.
Doch die Nachrichten vom gestrigen Abend waren weg.
Verwirrt öffnete ich die App, schloss sie wieder, öffnete sie erneut.
Ich erwägte kurz mein komplettes Smartphone neu zu starten, als die App sich plötzlich meldete.
Jake: Ich musste es löschen.
Jake: Nachdem es die Polizei mehrfach geschafft hatte, meine Sicherheitsvorkehrungen zu überbrücken, müssen wir vorsichtig sein.
Ellie: Das heißt genau was?
Jake: Sie dürfen nicht wissen, dass wir uns bereits gesehen haben, Ellie. Das ist sehr wichtig.
Mein Magen zog sich unschön zusammen. Rational gesehen war mir das natürlich klar. Trotzdem hatte ich mir unser erstes Gespräch, nachdem wir uns zum ersten Mal gesehen hatten, irgendwie anders vorgestellt. Blöde, verknallte Ellie…
Ellie: Aber
Ellie: Gestern war das doch auch noch egal, oder? Ich meine immerhin waren wir zusammen draußen.
Jake: Ja, aber das gestern war eine andere Situation. Ich musste dazwischen gehen, sonst hätten sie dich gehabt. Ellie, ich muss dich bitten, nicht wieder darüber zu schreiben. Dieses Gespräch muss ich nun auch wieder löschen.
Ellie: Oh
Ellie: Verstehe, entschuldige.
Jake: Nein, Ellie so…
Jake: Du brauchst dich nicht entschuldigen. Ich weiß, wie es dir geht. Glaub mir, es geht mir genauso. Aber für meine Verfolger bist du ein Druckmittel – jetzt mehr denn je und jetzt bist du hier, in Duskwood.
Ellie: Ja, ja, war klar, dass das Gespräch darüber noch nicht vorbei ist…
Jake: Bitte hör auf, mich absichtlich falsch zu verstehen.
Jake: Es gibt Vieles, was ich dir gerne schreiben würde. Vieles…
Jake: Vieles, was ich dir gerne sagen möchte, nach gestern.
Ellie: Ich will dir auch so vieles sagen, dich sehen und deine Hand halten.
Jake: :)
Jake: Das möchte ich auch, Ellie. Ich verspreche dir, dass wir auf ein richtiges Date gehen, sobald das alles vorbei ist.
Ellie: Versprochen?
Jake: Natürlich, glaubst du nach gestern würde ich noch irgendetwas anderes wollen?
Ellie: So geht es mir auch, Jake.
Jake: Wir sollten weitermachen. Du triffst dich nachher mit Lilly, richtig?
Ellie: Ja, sie holt Dan aus dem Krankenhaus ab, dann wollen sie zu seinem Anwalt und versuchen Phil aus dem Gefängnis zu holen.
Jake: Da Daniel der Einzige ist, der gegen ihn ausgesagt hat und die Polizei keinerlei Beweise haben wird, werden sie ihn ohne Zweifel aus der U-Haft entlassen.
Ellie: Das denke ich auch. Ich werde auf jedem Fall mit ihm reden müssen, ich habe Fragen bezüglich des Armbandes.
Jake: Damit wir auch da die losen Enden der einzelnen Theorien verbinden können, verstehe. Das klingt gut.
Jake: Ich denke, du solltest dich den anderen preisgeben, Ellie. Es ist der richtige Zeitpunkt.
Ellie: Was? Warum?
Es fühlte sich nicht richtig an, so früh vor allen die Deckung zu verlieren. Planmäßig sollte ja eigentlich niemand wissen, dass ich überhaupt hier war und jetzt gleich komplett alle Masken fallen zu lassen, schien mir fast fahrlässig.
Ellie: Findest du wirklich, dass das eine gute Idee ist? Ich habe das Gefühl, Menschen besser einschätzen zu können, wenn sie mir gegenüber neutral sind.
Jake: Ja, ich denke, dass es sinnvoll ist, mit ihnen zusammen zu arbeiten.
Ellie: Aber macht es nicht viel mehr Sinn, erstmal alle Teile zusammen zu führen, bevor ich mir ihre Seite anhöre?
Jake: Wenn die Polizei weiß, dass du in Duskwood bist, ist es nur eine Frage der Zeit, bis es auch unser Täter weiß. Ich versuche mein Bestes, kann aber nicht die ganze Zeit auf dich aufpassen. Bitte, Ellie.
Ellie: Bisher hat er sich nicht mehr gemeldet.
Jake: Das heißt gar nichts, das wissen wir beide. Triff dich heute mit Lilly und Daniel, regelt gemeinsam die Sache mit Phil.
Ellie: Halt, wieso sollte ich das mit ihnen gemeinsam regeln? Phil schien nicht gut zu sprechen auf Dan zu sein… verständlicherweise.
Jake: Das ist korrekt, dennoch sehen drei Augenpaare mehr als eines.
Ellie: Kann es sein, dass du einfach nicht willst, dass ich mit ihm allein bin?
Jake: Ich habe nichts gegen Daniel, er ist ruppig, aber wir müssen keine Freunde werden.
Ellie: Jake…
Ellie: Du weißt genau, wen ich meine. Ich rede von Phil.
Jake: Hast du schon was Neues in Hannahs Cloud finden können?
Ellie: Ernsthaft? Kannst du mir bitte auf meine Frage antworten?
Jake: Ich bin eifersüchtig.
Jake: Eifersüchtig, weil er dich heute sehen und mit dir sprechen kann.
Jake: Weil er sich nicht verstecken muss.
Ellie: Du weißt, dass das nicht dasselbe ist, Jake. Du weißt, dass ich ihn nicht so mag.
Jake: Ich weiß.
Jake: Aber trotzdem muss es mir deswegen nicht gefallen.
Ich seufzte und nickte dann zu mir selbst.
Ellie: Okay, ich geb den anderen Bescheid.
Jake: :)
Jake: Danke, Ellie.
Jake: Ich werde diese Konversation jetzt löschen, tut mir leid, dass ich es beim letzten Mal ohne Vorwarnung gemacht habe. Wenn wir unsere privaten Gespräche klein halten, wird das nicht immer nötig sein.
Ellie: Ich verstehe.
Jake: Melde dich, wenn du meine Hilfe benötigst.
Jake: Und damit meine ich nicht digital.
Ellie: Das werde ich. Danke, Jake.
Jake: Kein Problem, Ellie.
Ellie: Ich setz mich jetzt nochmal an die Cloud, so viele Dateien sind es nicht mehr.
Jake: Alles klar, ich werde derweil ein paar andere Daten auswerten.
Jake: Ach und Ellie?
Ellie: Ja?
Jake: Bei unserem nächsten Date, will ich dich küssen.
Während ich diese Zeilen las, begannen sie bereits zu verschwinden. Mein Gesicht brannte und der Schmetterlingsschwarm in meinem Bauch fühlte sich eher an wie eine Bienenkolonie. Seit dem gestrigen Tag fühlte sich meine Verliebtheit plötzlich nicht mehr wie ein Luftschloss an. Nein, ich spürte sie in meinem Bauch, in meinem Herzen und in meinen Gedanken.
Ich musste ihn unbedingt wieder sehen.
Nachdem ich mit Herrn Müller eine Runde ums Haus gelaufen war und eine Weile damit verbracht hatte, Hannahs Cloud zu entschlüsseln und die – nicht besonders aufschlussreichen – Ergebnisse an Jake gesendet hatte, meldete sich endlich Lilly bei mir.
Sie waren direkt beim Anwalt gewesen, nachdem Sie ihn abgeholt hatte und dieser hatte Dans Aussage direkt weitergeleitet.
„Sie lassen Phil direkt frei“, sie klang am Telefon ebenso überrascht, wie ich mich fühlte, „Ich kann nicht fassen, dass sie ihn nur aufgrund Dans Aussage festgenommen haben.“
Wir machten uns aus, dass sie mich in einer halben Stunde abholen würden, sie bis dahin aber Dan nichts von mir sagen würde.
Als ich vorm Spiegel stand und mein schwarzes Shirt glattstrich, merkte ich erst, wie aufgeregt ich war. Ich würde sie alle kennenlernen, wahrscheinlich sogar schon heute und auch wenn das mit Lilly doch ganz gut geklappt hatte, war ich mir sehr unsicher bei den anderen. Ich war generell ein eher introvertierter Mensch und mein Freundeskreis eher klein. Mit der ersten Nachricht von Thomas war er quasi von heute auf morgen auf das Doppelte angewachsen, doch das hatte sich letztendlich irgendwie unecht angefühlt, weil ich sie nur über die App kennengelernt hatte.
Jetzt mit ihnen in direkten Kontakt zu treten, würde mich schon ein Stück weit aus meiner Komfortzone locken, weit weg von meiner besten Freundin und den zwei Leuten aus meiner Uni.
Genervt von mir selbst zerrte ich mir das Shirt über den Kopf und entschied mich nun doch für ein Kleid und eine Jeansjacke, falls ich länger unterwegs sein würde. Meine Haare Band ich hoch in einen Zopf.
Es war albern, so nervös zu sein. Selbst wenn sie mich vielleicht nicht mögen würden, wäre ich spätestens nach dem Abschließen des Falls eh nicht mehr hier.
Es war bereits Nachmittag als Lillys Auto vor dem Haus meiner Ferienwohnung hielt. Ich erkannte es sofort, nicht nur, weil es sonnengelb und unfassbar auffällig war, sondern auch deshalb, weil der Typ, welcher neben Lilly auf dem Beifahrersitz wild gestikulierte, völlig fehl am Platz in diesem kleinen Flitzer wirkte.
Während Dan einfach weiterredete und offensichtlich noch nicht von mir Notiz genommen hatte, stieg Lilly aus dem Fahrzeug und winkte mich grinsend heran.
„Wo hast du deinen Hund gelassen?“, rief sie nach einer kurzen Begrüßung.
„Herr Müller ist kein Fan vom Autofahren“, gab ich zu und umarmte sie kurz.
Dan, der noch immer im Auto saß, war mittlerweile verstummt und starrte uns mit offenem Mund durch die Windschutzscheibe an.
„Er hat keine Ahnung, oder?“
Lilly lachte amüsiert. „Nicht die Bohne, aber geschieht ihm recht!“
Grinsend öffnete ich die Autotür und schob mich einfach auf den Rücksitz. Lilly, die ebenfalls ins Auto stieg, startete den Wagen und fuhr einfach los.
Dan war immer noch sprachlos, starrte von Lilly zu mir und dann wieder zu Lilly. Niemand sagte etwas. Dann schaltete sie das Radio an.
„Halt, halt, halt“, mit einem Klacken hatte Dan die Musik wieder beendet. Als er sich rumdrehte, wackelte sein Sitz gefährlich.
„DU“, sein Zeigefinger berührte fast meine Nasenspitze, „Wer bist du? Und warum steigst du einfach in dieses Auto ein? Was soll der Scheiss?“
Ich konnte mir ein Grinsen kaum verkneifen, wollte dieses Spiel aber noch etwas weitertreiben, also gab ich ihm keine Antwort.
Während die Bäume an uns vorbei zogen und wir Duskwood verließen, öffnete Dan wortlos seinen Mund, nur um ihn dann wieder zu schließen.
„Wollt ihr mich gerade verarschen? Lilly?“, er blinzelte ungläubig zu unserer Fahrerin. Sein Gesicht war hochrot. „Wer IST DA…“
Noch einmal blickte er zwischen Lilly und mir hin und her.
„Ist das etwa… HAH!“
Sein Organ war so laut, dass ich zusammenzuckte. Ein kehliges Lachen hallte durch den kleinen Innenraum. „Ellie, die Detektivin! Stimmt’s? Du bist’s!“
Ich nickte verhalten.
„Ellie, reicht aber.“
„Vielleicht nenn‘ ich dich auch Lisbeth…“
„Dan…“
„Oder Ella, nein, so hieß meine Großmutter…“
„Dan!“
„Okay, okay“, entschuldigend hob er die Hände in die Höhe, „dann halt Ellie, so so…“
Seine dunklen Augen wanderten an mir entlang, als wöllte er keinen Zentimeter von mir verpassen wollen.
„Also irgendwie hätte ich mir dich… größer vorgestellt?“
„Haha, das habe ich auch schon gedacht“, Lilly grinste und folgte der Ausschilderung zum Gefängnis. So schnell hatten sie sich also gegen mich verschworen.
„Ich kann dich nichts dafür, dass ich in eurem Kopf aussehe, wie der Antichrist…“
Jetzt lachten wir alle drei.
„Das vielleicht nicht aber…“, er drehte seinen Kopf abwägend hin und her.
„Anders“, ergänzte Lilly, „man hat einfach das Gefühl, eine scharfzüngige Amazone vor sich zu haben, wenn man mit dir schreibt.“
Ich verschluckte mich beinahe an dem Wasser, was ich gerade getrunken hatte.
„Amazone? Wie bitte?“, völlig sinnlos klopfte ich auf meinem Rücken herum, „Wie kommt ihr darauf?“
„Naja, du hast eingeschlagen, wie eine Bombe, würde ich sagen“, Dan lächelte schief und drehte sich wieder in Fahrtrichtung, „all deine Zweifler hast du überzeugt, nicht nur das, mit den zwei Größten sitzt du sogar in einem Auto… schon ziemlich amazonenhaft.“
Ich unterdrückte den Drang, ihn darüber aufzuklären, was Amazonen tatsächlich waren und rollte stattdessen mit den Augen.
„Erstens, ich bin nicht klein. Ich habe nur kurze Beine“, beide unterdrückten ein Lachen, das Handy in meiner Hosentasche vibrierte. Abgelenkt zog ich es hervor, „und zweitens haben wir wichtigeres zu besprechen als meine Körpergröße…“
Ich öffnete die App fahrig und sah, dass ich eine Nachricht von Jake hatte.
Jake: Du bist sehr wohl klein.
„Was zur?“
„Alles okay?“, Lilly schaute besorgt über die Schulter.
„Ja, ja, ihr verbündet euch nur alle gegen mich…“
„Oh, Hackerboy ist auch dabei“, Dans sarkastischer Unterton war deutlich zu hören, ich beschloss ihn zu ignorieren.
Ellie: Belauschst du uns?
Jake: Nur dieses Mal, ich will nicht, dass wir eine Information übersehen.
Genervt verdrehte ich die Augen. Wir wussten beide, dass das nicht der Grund war.
„Wir sind gleich da“, unterbrach Lilly meine Gedanken, „Wahnsinn, wie schnell er jetzt wieder entlassen wurde, nachdem sie ihn erst festgenommen hatten.“
„Tjaja… meine Aussage war da wohl das Zünglein an der Waage“, ein freudloses Lachen unterstrich seine Antwort, „Ich hätte vielleicht ein wenig von dem Morphium, was sie gegeben hatten mitnehmen sollen. Dann hätte ich mich versorgen können, wenn Phil mit mir fertig ist…“
„Denkst du wirklich, dass es so schlimm wird, Dan?“, Lilly bog in die Einfahrt des Gefängnisses ein, als ich auf Dan einredete. Es hatte leicht zu regnen begonnen
„Wir befinden uns alle in einer Ausnahmesituation, jeder verdächtigt jeden… irgendwie. Phil kam nicht so vor, als hätte er kein Verständnis für die Gefühle anderer.“
Wieder vibrierte mein Handy. Grinsend schüttelte ich den Kopf.
„Phil und Dan sind eigentlich sehr gute Freunde, Ellie“, warf Lilly ein, „Dass Dan ihn erst sitzen gelassen hat und dann noch gegen ihn ausgesagt und ihn deshalb zum Hauptverdächtigen gemacht hat, ist wirklich eine ernste Sache, verstehst du?“
Das war tatsächlich neu für mich.
„Achso, ich wusste nicht, dass ihr so eng befreundet seid.“
„Wart…“, murmelte Dan, seine Augen fixiert auf den Parkplatz vor uns, „Ich glaube nicht, dass er mir das Verzeihen wird.“
Lilly parkte geschickt ein und griff dann in das Handschuhfach und griff nach einem Schokoriegel.
„Ich wette, er flippt kurz aus und dann ist es wieder gut“, aufmunternd strich sie Dan kurz über die Schulter, „du kennst ihn doch. Phil tut zwar immer so hart, ist aber ein guter Kerl.“
Ähnlich wie Dan.
Wir öffneten die Autotüren und beschlossen an der frischen Luft zu warten.
Der Regen hatte das Klima zusätzlich abgekühlt, es roch nach Wald und auch wenn der Niederschlag mittlerweile aufgehört hatte, war mein Kleid sofort ein wenig klamm. Für einen Moment schloss ich die Augen und genoss die kühle Brise, eine willkommene Abwechslung nach der Hitze der letzten Tage. Lilly und Dan diskutierten leise miteinander und ich ließ sie für einen Moment in ihrer eigenen kleinen Blase zurück. Wenn man die beiden so beobachtete, merkte man sehr deutlich, was Lilly für ihn empfand und es stimmte mich ein wenig traurig, dass Dan das so gar nicht wahrzunehmen schien.
Ich schob eine lose Strähne hinters Ohr und griff nach meinem Smartphone.
Jake: Du solltest Menschen nicht nur ihrem ersten Eindruck beurteilen.
Die Nachricht war schon älter, aber sie ärgerte mich.
Ellie: Sagt der Richtige. Ich war für dich auch nur eine Nummer.
Jake: Das ist etwas völlig anderes.
Ellie: Worin besteht der Unterschied? Ich hätte ein fünfzigjähriger Mann sein können?
Jake: Ich wusste, dass das nicht so ist.
„Da ist er.“
Ich verschob meine Antwort auf später und gesellte mich zu Lilly und Dan.
Mit einigen Papieren und einer Tasche locker über die Schulter geschwungen, war Phil auch von Weitem klar erkennbar. Seine langen, dunklen Haare hatte er zurückgebunden und das prägnante Tattoo auf seinem Hals stach auf seiner blassen Haut hervor.
Zunächst sah er sich suchend um, als seine Augen schließlich auf uns – nein, auf Dan fielen. Für einen kurzen Augenblick war er völlig versteinert, dann setzte er sich in Bewegung.
Schneller.
Aggressiver.
„Shit“, murmelte Dan und wich ein paar Schritte zurück. Phil überquerte den Parkplatz mit wenigen Schritten, seine Tasche ließ er achtlos auf den Boden fallen.
„Komm her, Ellie“, murmelte Lilly und zog mich am Unterarm zurück.
Mit dem, was als nächstes kam, hatte ich nicht gerechnet.
„Was machst du hier, mhm?!“
Phil schubste Dan gegen das Auto und noch ehe dieser sich wieder aufraffen konnte, schlug er zu.
Seine Faust flog mit einer derartigen Gewalt in Dans Gesicht, dass seine Nase sofort begann zu bluten.
„Dan!“, Lilly drückte Phil von ihm weg, der sich genervt die Hand hielt.
„Dummes Arschloch, als würde ich jemals so etwas tun“, mit seiner blutigen Hand wischte er über sein Gesicht, „Hannah war auch meine Freundin. Du weißt, dass ich keiner Fliege etwas zu leide tun könnte, du verdammter Vollidiot!“
„Nghhh“, antwortete Dan und es klang ein wenig wie eine Entschuldigung. Er deutete Lilly ihn loszulassen, „Schon gut… hab’s verdient...“
„Sag mal spinnst du!?“, meine Stimme überschlug sich beinahe, „Du kannst ihn doch nicht einfach vor dem Gefängnis eine runterhauen. Willst du direkt wieder einwandern, oder was?!“
Nachdem er Dan die Hand gereicht hatte, um ihn nach oben zu helfen, wanderten seine dunklen Augen zu mir.
Er lächelte ein schiefes, blutverschmiertes Lächeln.
Phil hatte mich sehr viel schneller erkannt als Dan.
„Ellie. Schön, dass wir uns endlich kennenlernen.“