„Freut mich“, murmelte und mein Gesicht begann zu glühen, während ich die Übelkeit unterdrückte, die das Blut in seinem Gesicht auslöste.
Ohne ein Wort zu sagen, wischte er sich mit dem Ärmel seiner Jacke die Spritzer von der Nase und zuckte entschuldigend die Achseln.
„Du hast mich also tatsächlich hier rausgeholt“, anerkennend hob er eine Augenbraue, während sich Dan im Hintergrund durch Lilly nach oben helfen ließ.
„Eigentlich war das dem Typen zu verdanken, den du gerade umgehauen hast“, ich deutete auf Dan, der sich schwer atmend die Nase hielt. Lillys Augen glühten förmlich vor Wut.
„Er hat mich aber auch hier reingebracht“, Phil lachte ein freudloses Lachen, „also bedanke ich mich doch lieber bei dir.“
Er ging einen Schritt auf mich zu, ich einen zurück. „Haust du mir jetzt auch eine rein?“
Ein Lachen war die Antwort, gefolgt von einem Kopf schütteln.
„Blödsinn, ich schlage keine Frauen“, halb zu Dan gedreht fügte er hinzu: „Prinzipiell schlage ich niemanden. Außer, sie verhalten sich wie absolute Vollidioten.“
„Das Echo hättest du auch nicht vertragen.“
Anerkennend nickte Phil mir zu, während seine Augen einen Moment zu lange meinen Körper entlangwanderten.
Ein wenig wackelig auf den Beinen, lief Dan auf ihn zu und streckte ihm die Hand entgegen.
„Tut mir leid, man. War ne Scheiss-Aktion. Dieses ganze Theater hier, hat mir den Kopf umgedreht, oder so… ach keine Ahnung, es war einfach dumm“, verlegen kratzte er sich am Hinterkopf, „tut mir ehrlich leid.“
Phil schnalzte mit der Zunge und schlug, ohne große Umschweife ein und mit einer großspurigen Umarmung versöhnten sich die beiden.
Lillys Blick traf auf meinen und wir waren uns wortlos einig, wie absurd die ganze Situation war, also lachten wir.
„Und jetzt?“, fragte Dan, als er sich von Phil gelöst hatte.
„Wir sollten uns alle zusammensetzen und alles Weitere besprechen“, schlug ich vor, „Lilly, Jake und ich haben in den letzten Tagen einiges in Erfahrung bringen können, was uns sicher weiterhelfen wird.“
„Jake?“, Phil sah verwirrt in die Runde.
„Ellies kleiner Hacker-Boy… hat sie mit seinen Codes, um den Fingern gewickelt.“ Seine Augenbrauen wackelten sarkastisch auf und ab.
Ich konnte ein genervtes Stöhnen kaum unterdrücken. „Lass es, Dan. Ohne Jake wäre jeder einzelne von uns aufgeschmissen.“
„Vor allem du.“
„Halt die Klappe, Dan“, Lillys Worte waren so spitz, dass der Angesprochene sofort verstummte. „Ellie hat recht, Jake ist essenziell für unsere ganze Arbeit, also halt dich in Zukunft einfach zurück.“
Daraufhin begann wiederrum eine Diskussion zwischen den beiden, in der Dan fragte, warum Lilly jetzt plötzlich auf Hacker stand und sie daraufhin fragte, ober eifersüchtig sei, woraufhin er verstummte und mit rot gefärbten Wangen auf den Boden starrte, während Lilly weiter auf ihn einredete.
Die Sonne verschwand nun endgültig hinter den Wolken und durch die hohe Luftfeuchtigkeit begann ich zu frösteln.
Ich strich mit den Händen sinnlos über meine Oberarme und versuchte Phils Blicken auszuweichen. Selbstverständlich vollständig erfolglos.
„Ist dir kalt?“
„Nein, ich schwitze wie verrückt.“
Ich verdrehte die Augen, er lachte.
„Jake also…“ Er legte den Kopf schief, eine Strähne seines Haars fiel ihm ins Gesicht.
„Mhm?“
„Ist er… dein Freund?“
Mist.
Abwartend sah er mich an, während ich nach einer Antwort suchte. Die Wahrheit war, ich wusste es nicht. Wusste nur, dass ich das wollte.
Dass ich mir heimlich vorstellte, wie es nach dieser ganzen Sache wäre, Jakes Hand während eines Kinofilmes zu halten, Sonntage mit ihm gemeinsam im Bett zu verbringen und darüber zu streiten, bei welchem Lieferservice wir bestellen würden.
Du weißt genau, dass es nie so sein wird.
Dieser Gedanke versetzte mir einen leichten Stich, dennoch war er wahr. Auch wenn wir Hannah finden würden und alles würde gut ausgehen – Jake wurde von der Regierung gesucht. Er würde dieses Leben, versteckt und im Dunkeln, jeden Tag woanders, wohlmöglich noch eine ganze Weile – wenn nicht sogar für immer führen müssen. Ich wüsste nicht, ob ich das könnte.
„Ellie?“, Phils forschende, dunkle Augen tauchten tief in meine, als er sich eine Zigarette aus der Hosentasche fischte, „Ist das ein Nein?“
Nervös schob ich meine Haare hinters Ohr.
„Ich… keine Ahnung… ehrlich gesagt.“
Phil grinste schief und atmete Rauch aus.
„Solange es kein eindeutiges Ja ist, werde ich ihm die Sache wohl ein bisschen schwerer machen, hier“, er schlüpfte aus seiner Jacke und legte sie über meine Schultern.
Sie war ganz warm und schwer.
„Du erkältest dich sonst noch.“
Mit glühenden Wangen starrte ich auf den Boden.
„Und jetzt erkältest du dich.“
Er lachte und schnippte seinen Zigaretten-Stummel über den Parkplatz, dann beugte er sich zu mir, bis sein Mund beinahe mein Ohr berührte.
„Glaub mir, Süße, ich bin heiß genug für uns beide.“
In diesem Moment prustete ich so laut los, dass sowohl Phil als auch Dan und Lilly leicht zusammenzuckten.
„Überschätz‘ dich nicht, Phil“, ich boxte ihm in die Schulter und gab ihm danach seine Jacke zurück.
„Mit Einstiegs-Sprüchen konnte noch nie jemand bei mir landen, schon gar nicht, wenn ich bereits wusste, dass derjenige es bei jeder Zweiten genauso machte.“
Grinsend zog er seine Jacke an, seine Augen tanzten vor Aufregung.
„Umso besser, jeder erfreut sich an einer kleinen Herausforderung.“
„Ähm, ja… unangenehm“, mischte sich Lilly ein und ich war dankbar für ihre trockenen Einwurf, „Wo fahren wir jetzt hin, wenn ich fragen darf? Wenn wir uns alle gemeinsam treffen wollen, wäre es gut einen Ort zu haben, wo wir alle gleichermaßen sicher sind.“
„Oh ganz einfach“, murmelte Phil und öffnete die Hintertür des Autos, „Ich schließ die Aurora auf.“
*
Der Rückweg nach Duskwood verlief ruhig. Dan hatte der Gruppe bescheid gesagt, dass wir uns in der Bar treffen würden, um dort über unsere weitere Vorgehensweise sprechen zu können. Jessy war unfassbar froh, dass ihr Bruder entlassen wurde, Phil jedoch, hatte ihre Reaktion absolut kalt gelassen.
Jake hatte sich während der ganzen Interaktion zurückgehalten, hatte lediglich darum gebeten, dass die Sprachfunktion aktiviert wurde, damit er lesen konnte über was wir sprachen. Im Privatchat hatte er mir nicht mehr geschrieben.
Ellie: Ist alles okay bei dir?
Es dauerte keine zehn Sekunden und er war online.
Jake: Ja klar. Wieso fragst du?
Ellie: Mein Bauchgefühl sagt etwas anderes.
Jake: Dann täuscht es sich. Ich bin gerade an etwas dran, wir schreiben später, okay?
Enttäuscht tippte ich ein okay als Antwort und lehnte mich dann zurück. Phil, der neben mir saß, fing meinen Blick auf.
„Ärger?“
Ich schüttelte den Kopf. Ehrlich gesagt, konnte ich selbst nicht sagen, was gerade los war. Ich wusste wo das Problem lag, aber ich hatte nicht das Gefühl, dass ich es Phil einfach erklären konnte. Schon gar nicht, ohne ihm dabei unnötig in die Karten zu spielen.
Er streckte sich und legte dann seinen Arm hinter mir auf den Sitz.
Sofort war ich von seinem Geruch nach Seife und Pfefferminz umgeben.
„Wenn dir das zu nah ist, sag es einfach“, murmelte er und legte seinen Kopf in den Nacken, während er die Augen schloss, „Ich will dich nicht betatschen, es tut nur gut sich nach diesen Tagen in dieser winzigen Zelle zu strecken und außerdem“, jetzt kehrte sein Grinsen zurück, „riechst du unfassbar gut.“
Ich beschloss, nicht weiter darauf einzugehen und sah aus dem Fenster.
„Muss furchtbar gewesen sein, völlig unschuldig im Gefängnis… ich will mir das gar nicht vorstellen“, ich schauderte und seine Finger rieben kurz über meine Schulter, ehe er wieder von mir abließ.
„Es war schon sehr… überraschend, ja. Ich hatte mit vielem gerechnet, aber sicher nicht damit, dass ich von jetzt auf gleich verhaftet werde.“
Ich nickte abwesend, die Bäume des riesigen, scheinbar nicht enden wollenden Waldes zogen wie schwarze Streifen an uns vorbei. Ich dachte kurz an Herrn Müller und hoffte, er würde mir nicht allzu böse sein, dass ich ihn so lange allein ließ.
„Sie hatten wohl eine Streichholzschachtel aus der Aurora gefunden.“
Er verdrehte die Augen.
„Hast du Duskwood schon gesehen? Die Aurora ist die einzige Bar für junge Menschen in diesem… diesem Dorf…“
„Kleinstadt“, warf Lilly vom Fahrersitz ein.
„Dann halt das, aber Duskwood ist nun mal keine Großstadt. Hier gibt es nicht an jeder Ecke eine Kneipe, wie in… woher kommst du, Ellie?“
Einen Moment überlegte ich, ob ich es ihm sagen sollte.
„Nicht aus Duskwood.“
„Wie auch immer, hier gibt es nicht an jeder Ecke eine Kneipe wie in Nicht aus Duskwood. Natürlich hatte sie Streichhölzer. Jeder unter 40 hat diese Streichhölzer, sogar Leute, die gar nicht rauchen. Das ist doch kein Beweis… und Dans Aussage eigentlich auch nicht. Die Polizei scheint wirklich verzweifelt zu sein, wenn sie anhand ein paar Indizien einfach so jemanden einsperren.“
Ich dachte über die Gespräche nach, welche ich mit Cleo und Richy über ihn geführt hatte und sprach ihn darauf an.
Genervt legte Phil sein Gesicht in die Hände.
„Das ist so eine Sache, Ellie… das ist nicht so leicht zu erklären…“
Als er mich abwartend anstarrte und nicht weiterredete, nickte ich ihm zu.
„Ich werde dir schon folgen können.“
„Da bin ich mir sicher“, er lächelte schief und beugte sich ein wenig nach vorne, „also… diese ganze Clique um Jessy und so… ich gehöre da nicht so richtig dazu… aber irgendwie auch schon.“
Meine Zähne bohrten sich in meine Unterlippe, als ich überlegte, was er mir damit sagen wollte.
„Wenn zwei Menschen zusammenkommen, bringen beide Teile einen Freundeskreis mit, Hannah hatte Cleo, Richy und logischerweise Lilly. Thomas war mit Dan und mir befreundet und…“
„Was ist mit Jessy?“
Genervt stieß er Luft durch die Lippen.
„Jessy hatte schon immer Probleme Freunde zu finden und hing sich prinzipiell immer gerne an Freunde von mir ran“
„Hey, hey… nicht unfair werden“, warnend sah Dan nach hinten. Ich konnte sehen, wie Lillys Griff am Lenkrad sich verfestigte.
„Schon gut, man. Jedenfalls… Jessy kann sehr… überzeugend sein. Sie hatte es im Handumdrehen geschafft, dass jeder sie mochte. Vor allem Richy, der vorher nur Augen für Hannah gehabt hatte. Tja…“
Einen Moment lang starrte er aus dem Fenster und folgte seinen stummen Gedanken.
„Nicht jeder kann so gut ankommen, wie meine liebe Schwester, nicht wahr? Während alle sich irgendwie fanden, in dieser neuen Konstellation, hatte ich Idiot ein Auge auf Hannah geworfen.“
Lilly lachte leise und schüttelte den Kopf.
„Selbstverständlich bin ich kein kompletter Vollidiot und habe die Beziehung zwischen Thomas und Hannah respektiert, aber vielleicht habe ich dabei einen Fehler begangen, den ich nicht hätte begehen sollen.“
Es dauerte nicht lange, bis ich eins und eins zusammengezählt hatte.
„Cleo.“
Phil nickte.
„Vielleicht hatte mir das mit Hannah mehr zugesetzt, als ich dachte. Du wirst überrascht sein, Ellie, aber im Normalfall habe ich ein leichtes Spiel mit Frauen, tja…“
„Das mit Hannah hat dein Ego verletzt? Ernsthaft? Und deswegen schläfst du mit ihrer besten Freundin? Hast du nicht eben noch gesagt, dass du kein kompletter Vollidiot bist?“
Erwischt kräuselte er die Nase.
„Guter Punkt, da gebe ich dir recht. Naja, als die Sache passiert ist, hatte ich das für kein großes Ding gehalten aber…“
„Oh!“, nun fiel es mir wie Schuppen von den Augen, „Oh, ich verstehe. Cleo hatte sich in dich verliebt, aber du hattest nur Augen für Hannah.“
Er nickte, öffnete eine Wasserflasche, die er aus meiner Tasche gefischt hatte und nahm einen großen Schluck.
„Es war nicht fair, das gebe ich zu. Aber ich war neunzehn Jahre alt und dumm. Heute unterlaufen mir solche Fehler nicht, ich liebe schöne Frauen“, er stoppte kurz und grinste, „Vor allem, wenn sie mich so anschauen, wie du gerade, aber ich kenne meine Grenzen. Damals kannte ich die noch nicht.“
„Und deswegen hat sie diese Wut auf dich? Das ist doch locker fünf Jahre her.“
Phil nickte.
„Es gibt Menschen, die vergeben schnell, andere verfluchen einen für immer“, schulterzuckend schon er die halbleere Flasche zurück in meine Tasche, „Zwischen Hannah und Cleo gab es wohl schon immer so eine Art unausgesprochenen Wettstreit.“
„Cleo war sehr oft eifersüchtig auf Hannah gewesen, Ellie“, fügte Lilly hinzu, „Hannah war in der Schule erfolgreicher, sie war beliebter und sehr viele Typen standen auf sie. Cleo ist ein toller Mensch, aber es dauert eine Weile, bis man sie wahrnimmt.“
Ich erinnerte mich. Zu Beginn hatte Cleo immer so reserviert gewirkt, beinahe unnahbar. Sie stand selbst jetzt – wo Hannah verschwunden war – in ihrem Schatten.
„Cleo liebt Hannah, gar keine Frage“, murmelte sie und passierte das Ortseingangsschild. „Aber es gibt sicher Momente, in denen ihr das schwerer fällt, als sie zugeben würde.“
Ich nickte und verstand.
Das erklärte Cleos Reaktion auf Phil und dass sie ihn verdächtigte. Sie projizierte einen Fehler, den er vor Jahren gemacht hatte, auf seine komplette Person. Und Richy…
„Richy hatte eine Weile vermutet, dass Hannah und ich was miteinander hatten“, schulterzuckend beantwortete er meine stummen Gedanken, „was – wie du bereits weißt, nie passiert ist. Ich habe aus meinen Fehlern gelernt und auch wenn Thomas und ich uns über die Jahre entfremdet haben…“
Ich nickte, denn ich verstand. Alles fügte sich zusammen und ich hatte nicht das Gefühl, dass er log. Phil war unschuldig und ich war froh, dass Dan seine Aussage zurückgenommen hatte.
Ich zog mein Smartphone aus der Tasche, um zu schauen, ob Jake mitgehört hatte, als mir noch etwas einfiel.
„Phil, du hattest so ein Armband zum Pfandleiher geschafft, silbern mit grünen Steinen, erinnerst du dich?“
Lilly und Dan versteiften sich etwas in ihren Sitzen. Man konnte klar sehen, dass sie mit einem halben Ohr zuhörten.
„Oh ja, ähm“, Phil biss sich auf die Unterlippe, „Tja, nicht mein stolzester Schachzug. Ein Gast hatte das Armband in der Aurora liegen lassen und ja… normalerweise mache ich sowas nicht…“
„Du machst ziemlich viele Sachen normalerweise nicht“, unterbrach ich ihn.
„Schon klar, ich verstehe, dass du misstrauisch bist, aber ich dachte darüber waren wir hinweg. Wie auch immer, als ich die Aurora übernommen hatte, habe ich echt viel Kohle in den Laden gesteckt, alles renoviert, die Musikanlage erneuert und zwei, drei Leute eingestellt. Tja, was soll sich sagen, wir hatten Anlaufschwierigkeiten. Das Armband kam da wie gerufen. Ich hatte eine Woche gewartet, doch niemand hatte es abgeholt, also bin ich damit zum Pfandleiher. Er hat mir nicht mal nen Hunderter dafür gegeben.“
Genervt zuckte er mit den Schultern und als ich gedacht hatte, seine Geschichte wäre beendet, setzte er überraschenderweise erneut an.
„Nach einem Monat ungefähr kam dann Hannah und eine ihrer Freundinnen zu mir in den Laden – völlig panisch und fragten nach dem Armband. Natürlich konnte ich jetzt nicht einfach lügen und gab zu, das Ding zum Pfandleiher geschafft zu haben. Du hättest deren Blick sehen sollen. Beide waren kreidebleich. Hannah hat sie dann noch angeschrien, gefragt, ob sie nicht ganz dicht sei, dass sie damit einfach durch die Gegend damit rennen würde und ihre Freundin hat so bitterlich geweint, dass es mir echt das Herz gebrochen hat.“
„Diese Freundin“, hakte ich nach, obwohl ich mir sicher war, die Antwort bereits zu kennen, „weißt du noch, wie sie hieß?“
„Amy“, antwortete er fast einen Tick zu schnell, „Das habe ich mir aber nur gemerkt, weil sie nicht wie eine Amy aussah mit ihren blonden Haaren und den schönen Augen.“
Ich nickte. Natürlich. Das alles ergab Sinn, dennoch warf es gleichermaßen neue Fragen auf. Was hatte es wirklich mit diesem Armband auf sich?
Als ich die App öffnete, war Jake bereits online.
Ellie: Jake? Meinst du das Armband könnte vielleicht sogar eine Art Beweis für etwas sein?
Jake: Es klingt auf jeden Fall danach.
Ellie: Ja.
Ellie: Außerdem klingt es danach, dass Phil tatsächlich unschuldig ist. Ich halte seine Erklärungen für plausibel und die Zusammenhänge in der Clique, die er mir erklärt hat, machen Sinn.
Jake: Ja.
Ellie: Wir müssen irgendwie an dieses Armband kommen. Ich denke, dass das der Schlüssel sein kann. Dass sich dann alles fügen kann.
Jake: Ich denke auch.
Ellie: Ist wirklich alles in Ordnung bei dir, Jake? Habe ich etwas falsch gemacht?
Jake: Nein.
Jake: Ich habe nur auch einige Erkenntnisse gewinnen können.
Ellie: Oh, sehr gut. Erzählst du mir davon?
Jake: Erstens: Ich hasse es, wenn du mit Phil redest.
Unwillkürlich sah ich zu eben diesen, aber Phil war gerade in ein Gespräch mit Dan und Lilly vertieft. Meine Wangen wurden heiß.
Ellie: Du weißt, dass mir das nichts bedeutet, Jake.
Jake: Wenn ich noch einmal mithören muss, wie er mit dir flirtet, dann…
Ellie: Dann was, Jake?
Jake: :)
Ellie: Jake?
Jake: Es ist ein Leichtes für mich, mich in sein Handy einzuhacken. Warte…
In dem Moment begann ein Telefon scheppernd zu klingeln. Phils Telefon.
Zunächst genervt, dann panisch begann er wie wild auf den Tasten herumzudrücken, doch er schaffte es nicht, es zum Verstummen zu bekommen.
Ellie: Jake, lass den Blödsinn.
Zugegeben, ich war echt beeindruckt. Das hatte keine Minute gedauert. Natürlich war es irgendwie albern, dass Jake so reagierte. Andererseits machte mich – genau wie seine Intervention damals bei der Abstimmung – diese kleine Machtdemonstration auch ein bisschen schwach. Ich grinste. Doch das Telefon klingelte weiter.
Ellie: Jake!
Jake: Schon gut.
Und so schnell wie das Klingeln da war, war es auch wieder weg.
Jake: Ich hasse es, dass er sich in aller Seelenruhe mit dir unterhalten kann. Ich hasse es einfach.
Ellie: Es tut mir leid, Jake.
Jake: Das ist nicht deine Schuld.
Er tippte einen Moment lang, löschte es wieder und tippte dann erneut.
Jake: Als ich diese ganze Sache angefangen habe, mit dem Hacken, da hatte ich auch ein anderes Angebot. Ich hatte mich nach der Ausbildung bei verschiedenen Stellen beworben, unter anderem auch beim Verfassungsschutz. Ich hätte die Stelle haben können, doch das was ich dort gesehen hatte, hat mir gereicht, um zu wissen, dass ich für diesen Verein niemals arbeiten konnte. Außerdem…
Jake: Ich habe Spaß daran. Spaß an dem Chaos, dem Nervenkitzel. Ich mag das Gefühl, was ich mit meiner Arbeit hinterlasse. Es gibt viele von uns, die Großen sagen dir sicher etwas.
Ich dachte an Anonymous und die gruseligen Videos, die man ab und an im Internet sah. Ich erinnerte mich an das Gefühl, als ich das erste Mal eine Nachricht von Jake bekam und was ich dabei empfunden hatte. Er war einfach da, namenlos und bedrohlich und trotzdem irgendwie… beeindruckend.
Jake: Ich bin kein Teil dieser Vereinigung, auch wenn ich mir ihr Markenzeichen gerne zu eigen nehme. Ich bin Mitglied einer losen Gemeinschaft, eines Netzwerkes, das über die ganze Welt verstreut ist.
Jake: Wir haben viele Kriege geführt. Für Gerechtigkeit gesorgt und natürlich viel Chaos hinterlassen und trotzdem…
Jake: Ein Gespräch zwischen dir und Phil in diesem Auto. Nur dieser eine Satz, dass du gut riechst, oder dass er dir einfach so seine Jacke anbieten kann…
Jake: Ich muss immer versteckt bleiben, kann dir nie ohne Probleme irgendetwas von mir geben.
Jake: Ich habe es einfach unterschätzt. Ich hätte nie gedacht, dass ich meinen Weg jemals bereuen könnte, Ellie.
Jake: Doch ich bereue es.
Jake: Denn ich weiß nicht, wie ich derjenige sein kann, der ich für dich sein will.
Leise las ich seine Zeilen. Las sie wieder und wieder – und als sie langsam verschwanden, weil er sie natürlich wieder löschen musste, brannte sich ihre Bedeutung in mein Herz ein. Wir hatten dieselben Ängste und ich wusste nicht, wie wir sie überstehen sollten.
Noch bevor ich auch nur irgendwie reagieren konnte, schrieb er weiter.
Jake: Zweitens: Ich muss dich bitten, damit aufzuhören, Hannahs Cloud zu durchsuchen.
Das kam unvorbereitet.
Ellie: Was? Wieso das denn? Habe ich etwas falsch gemacht?
Jake: Nein, ganz im Gegenteil. Du hast erstaunlich gute Arbeit geleistet, Ellie. Ich wusste schon immer, dass ich mich auf dich verlassen kann.
Jake: Ich habe die Zeit genutzt und während unseres Gesprächs den Rest der Cloud entschlüsselt.
Ellie: Oh. Und war noch etwas Brauchbares dabei?
Jake: Nicht wirklich. Aber du warst ja wesentlich erfolgreicher als ich mit deinem Gespräch.
Irgendetwas an all dem kam mir falsch vor. Beinahe schal. Ich öffnete das Tool, mit dem ich die Cloud bearbeitet hatte, doch alle Zugänge waren gesperrt.
Jake: Ich habe die Zugänge bereits rausgenommen. Du brauchst sie nicht mehr und so kannst du dich auf andere Spuren konzentrieren.
Ellie: Irgendwie habe ich kein gutes Gefühl, Jake. Bist du sicher, dass alles in Ordnung ist?
Jake: Es ist alles in Ordnung, Ellie, bitte vertrau mir.
Ellie: Okay.
Ellie: Darf ich noch etwas zu dem sagen, was du vorher geschrieben hast?
Jake: Ich habe leider noch etwas zu erledigen. Aber ich bleibe online, wir schreiben später wieder, in Ordnung?
Ich bejahte seinen Vorschlag und schloss dann die App.
Das schlechte Bauchgefühl verfolgte mich jedoch weiter.
Es verfolgte mich durch die Stadt.
Es verfolgte mich durch die dunklen Gassen und es blieb auch, als Phil mich an die Hand nahm und mich wie selbstverständlich mit zum Eingang der Aurora zog.
Irgendetwas lief hier gewaltig schief.