»Plötzlich war die Platte zu Ende und es war still im Raum. Miles Davis hatte ausgetrötet und ich fühlte mich so leer wie seine Trompete ohne seinen Atem.«
- MarieNade, "Von der untrüglichen Weiblichkeit des BH-Trägers"
»Erinnerungen sind das, was Ihren Körper von innen wärmt. Zugleich können Erinnerungen Sie innerlich auch in Stücke reißen.«
- Haruki Murakami, "Kafka am Strand"
Mein Name ist Fra Glich und ich spreche heute mit der hobbymäßigen Autorin @MarieNade. Herzlich Willkommen, schön, dass du da bist! ;)
Stell dich doch bitte mal vor.
Ich bin Marie und studiere momentan noch BioGeowissenschaften. Bin da aber an meiner Masterarbeit dran mit der ich auch bestimmt bald fertig bin. Bestimmt. Dabei habe ich mich auf Botanik spezialisiert, was man auf meinem grünen Balkon sehr gut beobachten. Ich glaube immer noch, dass ich manchmal Photosynthese betreibe und halb Pflanze bin.
Ich bin leidenschaftliche Musikerin, spiele Gitarre in meiner Band und teile meine Wohnung mit sechs Gitarren und diversen anderen Instrumenten.
Des Weiteren spiele ich gerne Videospiele, vor allem mit meinem Freund. Mit dem wohne ich nämlich zusammen und wir teilen dieses Hobby.
Und natürlich schreibe ich sehr gerne! Meistens Alltagskram und 'Slice Of Life'-Sachen. Thematisch geht es dabei oft um Studium, WG-Leben, Einsamkeit oder Depressionen. Da ich selbst queer bin, sind genau so wichtige Themen Sexualität und Geschlecht. Von daher sind auch die meisten meiner Protagonist:innen irgendwo im LGBTQ-Bereich einzuordnen.
Dabei driften manche Werke in einen magischen Realismus a la Haruki Murakami oder Franz Kafka ab, die ich beide sehr verehre, anderen bleiben ganz in der Realität.
Außerdem liebe ich Science Fiction, allem voran die Werke von Stanislav Lem. Bin aber auch ne alte Mangatante.
Und hin und wieder verfasse ich Kurzgeschichten, skurrile Prosa oder Science Fiction, gerne mal auch etwas mit Horror-Einschlag.
Wie bist du neben deinem Studium zum Schreiben gekommen?
Dazu muss ich sagen, dass ich schon sehr früh, vor und während meiner Jugend, angefangen habe viele Gedichte und ab und an mal Prosa zu schreiben. Als ich dann mit 20 Jahren Gitarre spielen gelernt habe, hat sich mein lyrischer Ausdruck auf Lieder verlagert. Zum Schreiben von Kurzgeschichten und Romanen bin ich aber erst während meines Studiums gekommen. Also so richtig in den letzten drei, vier Jahren. Erst im Science Fiction-Bereich, dann in Richtung Alltagskram, Slice-Of-Life. Das hat vieler angefangener Stories bedurft bis sich irgendwann welche herauskristallisiert haben, mit denen ich mich wohlgefühlt hab und an denen ich weiterarbeiten wollte. Und in einem Schreibzirkel an meiner Uni habe ich dann auch diverse Sachen vorgelesen. Das war was ich auch schon immer machen wollte: Meine Geschichten direkt an ein Publikum herantragen.
Ein wichtiger Faktor ist aber auch das Lesen, das fast zeitgleich mit dem Kurzgeschichten und Roman schreiben einherging. Vor dem Studium habe ich kaum gelesen, eigentlich nur viele Mangas in meiner Jugend. Mittlerweile habe immer ein Buch, das ich am Lesen bin. Dabei lese ich sehr viel verschiedenes: Science Fiction und Horror, Surrealismus, Klassiker, Slice-Of-Life Sachen oder weiterhin Mangas und Comics. Dies hat mir eine sehr vielfältige Einsicht auf die literaische Welt und ihre Formen und Möglichkeiten gegeben, aus der ich sehr viel beim Schreiben ziehe.
Was ist die größte Herausforderung in deinem Bereich, hast du sie schon überwunden? Und was gefällt dir am Besten?
Allem voran: Über die Länge eines Romans etwas konsistentes zu schreiben, dass man lesen und an dem man dran bleiben möchte. Da bin ich aber noch am Anfang. Und meine Herausforderung ist mein Roman 'Die badende Krähe', den ich noch nicht gemeistert habe. Da bedarf es nämlich viel an Überlegungen, Gesprächen, Verzicht und Umschreiben um das zu bewerkstelligen. Ebenso man muss lernen mit Kritik umzugehen. Selbst die geliebteste Passage kann so unverständlich sein, das sie entweder komplett überarbeitet werden oder man sie am Ende einfach rausschmeißen muss.
Das ist nicht immer einfach. Doch mit jedem Mal, an dem man an dem Werk arbeitet entwickelt man es ein Stück weiter, feilt es ein Stück mehr zurecht. Und damit auch sich selbst. Denn meiner Meinung nach, steckt viel von einem selbst in der eigenen Geschichte, sei es bizarrer Horror, High Fantasy oder eine Romanze. Diese beständige daran arbeiten machen zwar Romane so schwierig zu erschaffen, aber ich finde, das macht für mich den Reiz aus. Und Arbeit erordert es viel daran, denn meistens schreibt man Geschichten nicht nur für sich, sondern dafür, dass sie auch andere Lesen.
Doch genau hierin gibt es einen Punkt, den ich enorm wichtig finde und so sehr am Schreiben schätze: selbst in die erschaffte Welt einzutauchen und eintauchen zu wollen. Ich liebe es in der Welt meiner Charaktere zu sein und diese agieren zu lassen, wie ich das möchte. Nur um dann am Ende oft festzustellen, dass sie was ganz anderes machen... :'S
Gibt es Werke, an denen du derzeit arbeitest?
Mein Hauptwerk, an dem ich zur Zeit arbeite heißt 'Die badende Krähe'.
Dabei geht es um Emma, die studiert und mit den üblichen Studiensachen zu tun hat: Kaffee trinken, Hausarbeiten vor sich her schieben, spät aufstehen, in die Stadt gehen und feiern, wieder spät aufstehen.
Doch unter der Oberfläche dieses Alltags kämpft sie aber mit Themen wie Einsamkeit, Depressionen und sexueller Orientierung. Denn als sie und ihre beste Freundin sich plötzlich näher kommen, gerät ihr Alltag völlig aus der Bahn. Und da ihre beste Freundin danach erst mal bei ihren Eltern ist muss sich Emma sich selbst stellen. Dabei spircht sie mit Krähen und Spinnen und lernt Menschen kennen, durch die sie sich selbst erforscht.
Der zweite Roman, der aus einer Kurzgeschichte enstand, trägt den Titel 'Von der untrüglichen Weiblichkeit des BH-Trägers'.
Mir gefielen die Charaktere und die Prämisse so sehr, dass ich sie nicht einfach nur einmal vorkommen lassen wollte. :P
Und daraus ist ein Roman geworden, der aus Kurzgeschichten besteht, sprich ein Episodenroman.
Die Geschichten handeln von Paula und Madeleine, die beide studieren und in einer WG leben. Dabei geht es um ihre Lieb- und Leidenschaften, ihre Exzesse, ihre Ups und Downs, ihr Erwachsen werden. Jedoch unterscheidet sich ihre Sexualität, Paula ist lesbisch, Madeleine ist hetero, was natürlich oft Thema ist, denn worum geht es ja eigentlich im Leben: Lieben und geliebt werden.
(Ein Hinweis auf leichte Ironie, ich bin mir völlig bewusst, dass es auch aromantische und asexuelle Personen da draußen gibt. Fühlt euch gedrückt!)
Und wer jetzt aufschreit und sagt:" Ey Marie, das ist doch fast das gleiche wie in die badende Krähe mit Studium und so", hat durchaus recht.
Aber nur zum kleinen Teil, denn obwohl beide Geschichten ein ähnliches Setting haben unterscheidet sich das Set, in dem Falle der Inhalt und das um was es geht sehr.
Während 'Die badende Krähe' ein nicht einfacher, nicht immer leicht zu verdauender Roman ist bei dem oft schwierige Themen angeschnitten werden und es sehr um Einsamkeit geht, legt 'Von der untrüglichen Weiblichkeit des BH-Trägers' doch vielmehr den Fokus auf das beieinander sein, das miteinander leben und hat einen eher leichten und romantischen Einschlag.
Ich möchte aber dazusagen und betonen, dass beide Werke noch in Arbeit sind. Man kann sie gerne lesen, dafür sind sie auch hier online, aber gerade bei 'Die badende Krähe' bin ich noch viel am herumbasteln.
Das macht ja ganz schön neugierig, vielen Dank für diese kurzen Einblicke! :D
Worauf legst du besonderen Wert beim Umgang mit ernsteren Themen, z.B. Depressionen und Sucht, in deinen Texten?
Allem voran versuche ich jegliche Form von Stigmatisierung zu vermeiden. Depressionen und Süchte sind nämlich nichts was man sich einfach aussucht.
Beides sind Dinge, die man sehr sensibel und vorsichtig angehen und über die man sich viele Gedanken machen sollte, wenn man darüber schreibt.
Denn Depressionen können ziemlich schwerwiegend sein und ein Leben sehr stark lahmlegen. Doch mit Depressionen kann man auch leben. Wobei meine Meinung ist, dass das auch das Ziel ist, mit ihnen zu leben, denn wegbekommen kann man sie nie. Dazu bedarf es aber oft Hilfe von außen. Gerade in 'Die badende Krähe' geht es auch darum inwieweit man sich da selbst helfen kann und inwieweit Hilfe von außen kommt und ob die Hilfe auch funktioniert.
Zur Sucht muss ich sagen, das ich da zwischen Konsum trenne. Den Konsum muss nicht zur Sucht führen. Und Konsum an sich ist auch nichts schlimmes, sofern man damit umgehen kann. Aber wenn er zu Sucht führt, dann ist das ja kein endgültiges Urteil. Hier sollte es keine Scham oder Angst davor geben, sich Hilfe zu suchen. Denn man kann vieles schaffen im Leben. Aber es gibt nun mal Dinge, die bekommt man einfach nicht alleine hin, so sehr man es sich auch wünschen würde.
Und genau so ernst wie man an so Themen heran geht, sollte man sich nicht versteifen. Wir sind alle menschlich und in jeder Verzweiflung liegt ein Lächeln. Ich meine damit auf keinen Fall, dass man solche Situationen ins lächerliche ziehen sollte. Ich finde, dass wenn man, natürlich nicht immer, der Situation eine humorvolle Seite geben kann, kann man diese unter Umständen entwaffnen, verträglicher machen, wenn sie zu erdrückend scheint. Das kann man daran vielleicht schon nachvollziehen wenn man bedenkt wie nah Lachen und Weinen beieinander liegen.
Aber das hinzubekommen ist natürlich nicht einfach. Da muss man viel üben und ein Gespür dafür bekommen, wann so etwas hilfreich sein könnte und wann nicht. Daran arbeite ich stark daran diesen schmalen grad zu meistern.
Welche Vor- und Nachteile hat ein Episodenroman im Gegensatz zu einem 'üblichen' Roman? Und welche Variante gefällt dir persönlich besser?
Eine wirklich interessante Frage, danke dafür, Fran! :)
Sehr gern! ;)
Dafür muss ich dazusagen, dass mein Episodenroman aus einer Kurzgeschichte heraus entstanden ist und ich das gar nicht geplant hatte. Ich mochte die Charaktere und das Setting und hab weitergeschrieben. Vor allem gefiel mir die Abwechslung zu meinem chronologischen, 'üblichen' Roman 'Die badende Krähe'. Denn für mich war einer der großen Vorteile die Freiheit der einzelnen Episoden. Da nicht jedes Kapitel auf ein anderes folgt, kann man sehr viel mehr einfach schreiben worauf man Lust hat.
Du hast eine harte Partynacht oder Trennung hinter dir? Schreib ne Episode darüber. Du bist überfordert von der Genetik-Vorlesung und musst an Bobby Cars denken? Schreib eine Episode darüber.
Das waren jetzt alles nur Beispiele, aber in so einer Art und Weise betreibe ich Themenfindung. Und die versuche ich dann mit den Protagonist*innen und ihrem Umfeld in Einklang zu bringen.
Nehmen wir mal das Bobby Car. In 'Von der untrüglichen Weiblichkeit des BH-Trägers' gibt es eine Episode mit dem Titel 'Die sich wandelnde Beziehung während des Lebens zum Subjekt des Bobby Cars'. (Der Titel ist eine Anspielung auf die oft ewig langen Titel von akademischen Haus- oder Abschlussarbeiten :P). Entstanden ist das Ganze, weil ich mit meinem Freund eine Konversation über Bobby Cars hatte. Ich habe dann so gründlich darüber nachgedacht, wie ich bisher in meinem Leben zu Bobby Cars stand, dass ich darüber schreiben wollte. Und somit habe ich mir eine Anekdote von Paula ausgedacht, was sie denn als Kind mal mit einem Bobby Car angestellt hat.
Doch jetzt kommt der schwierige Teil: Wie binde ich das Ganze in die Charakterentwicklung mit ein? Wie lasse ich meine Protagonist*innen an sowas wachsen oder was geschieht dadurch? Denn oberflächlich geht es ums Bobby Car, doch unter der Oberfläche geht es um Paulas allererste Beziehung mit Cemille und Madeleines Beziehung mit Takashi.
Und weiter: Wie wirkt sich das auf die nachfolgenden Episoden aus? Denn wenn man nicht chronologisch schreibt, muss man sich immer im Klaren darüber sein, wann das gerade spielt und wo die Charaktere in ihrem Leben stehen. Da muss man höllisch aufpassen. In eben genannter vierter Episode (spielt ganz am Anfang der Geschichte) wird Paula ganz anders reagieren, als in der ersten veröffentlichten Episode, die zeitlich ein Jahr nach der vierten spielt. Eine Konsistenz der Charaktere ist dabei das wichtigste.
Im empfehle auch unbedingt vorher einen Zeitplan zu machen, wann was passiert, damit man selbst den Überblick nicht verliert. Und um das für meine Leser*innen ebenso verständlich zu machen gebe ich es hier in Semestern, passend zum Thema Studium, an wie: 'Viertes Semester (Paula), Mai (ausgehender)'. So weiß man immer, wo man sich auf der Zeitskala gerade befindet und kann die Handlungen der Charaktere besser nachvollziehen, weil man weiß was schon passiert ist und was nicht. Da man üblicherweise bei einem 'normalen' Roman nicht so hin und herspringt, sondern eher chronologisch vorgeht, ist ein Episodenroman da durchaus schwierig und manchmal muss ich auch Kleinigkeiten rückwirkend ändern.
Aber ich muss sagen, ich mag beides. Einzelne Episoden zu schreiben, abzuschließen und danach mit anderen Episoden darauf aufzubauen ist schon ziemlich spannend. Einen Roman auf 'übliche' Weise in chronologischer Reihenfolge zu schreiben, mit einem Plot und großem Spannungsbogen ist jedoch ebenfalls ein unglaublich interessantes Unterfangen. Ich weiß aber nicht, ob ich so ohne weiteres noch mal einen Episodenroman anfangen würde, hätte es sich nicht einfach ergeben. Das Kind ist jetzt halt geboren und will gefüttert werden. Wobei, nein sagen würde ich nicht, da kenne ich mich doch zu gut…XD
Wie gehst du mit Triggerwarnungen um?
Zuerst mal für meine eigenen Sachen: Die Triggerwarnungen, die ich voranstelle, gelten immer für meine ganzen Werke. Denn oft sind es Themen, die zentral für die Geschichten sind, um die sie sich drehen wie zum Beispiel Depressionen oder Sexualität. Und damit einhergehend zum Beispiel Stigmata, die Depressionen auf erliegen, wie man müsse sich einfach nur mal aufraffen. Oder Homo- und Transphobie, die erfahren wird. Von daher sollte man meine Triggerwarnungen ernst nehmen. Aber wenn ich über solche Themen schreibe, die Triggerwarnungen bedürfen, dann geht es auch immer darum die negativen Seiten entweder zu bezwingen oder lernen mit ihnen zu leben. Protagonist*innen, die lernen mit ihren Depressionen klarzukommen oder Protagonist*innen, die sich outen, weil sie so nicht mehr leben können und sich und ihre Liebe nicht mehr verstecken wollen.
Sprich das Ganze kann auch durchaus etwas Therapeutisches haben. Um jetzt den Sprung darauf zu machen, wie ich beim Lesen damit umgehe, nämlich genau so. Ich habe einiges an Diskriminierung und Verzicht in meinem Leben erfahren. Und wenn ich mich dann mit Werken auseinandersetze, die diese Themen behandeln und versuchen, die Charaktere wachsen zu lassen, dann kann ich auch sehr viel für mich da herausziehen. Meine Art ist es, sich manchmal in den Abgrund hinabzulassen, auf den Grund des Brunnens zu steigen und sich der Dunkelheit auszusetzen. Denn irgendwann fange ich an die Dunkelheit zu absorbieren und alles um mich herum lichtet sich. Dann verlasse ich den Abgrund, steige aus dem Brunnen und bin vielleicht ein Stück weiter, habe eine Etappe mehr erfolgreich zurückgelegt.
Hui, das war jetzt ziemlich bildhaft, aber ich hoffe, du verstehst, was ich meine. Ich finde Triggerwarnungen weiterhin unheimlich wichtig. Nicht jede*r schafft das, sich dem so auszusetzen und dann so rauszugehen, wie ich das mache und ich ja bei weitem auch nicht immer. Das braucht einiges an Zeit, so etwas zu lernen. Aber das sich hineingeben in so etwas (und darüber schreiben), kann etwas tief Therapeutisches haben.
ABER: Ich bin mir völlig bewusst, dass das durchaus sehr schwerwiegende Themen sind. Von daher sollte man sich nicht scheuen, sich professionelle Hilfe zu holen, wenn man wirklich nicht weiterkommt. Das ist durch nichts zu ersetzen!
Du sagtest, dass du deine Texte durch einen Schreibzirkel an deiner Uni vorgelesen hast. Hattest du denn (keine) Angst, vor Publikum zu lesen?
Es war eher das Gegenteil: Ich hatte den Drang meine Werke vorzulesen. Ich musste mit dem Ganzen irgendwie an die Öffentlichkeit dringen und das war eine super Möglichkeit für mich. Dementsprechend hatte ich keine Angst, weil ich mich der Situation ausdrücklich ausgesetzt hatte. Aber aufgeregt war ich natürlich. Das ist ja auch völlig normal.
Da ich aber Gitarristin in einer Band bin und Auftritte spiele, kenne ich das Gefühl, vor einem Publikum zu stehen und die volle Aufmerksamkeit zu bekommen. Wenn ich mich lauter mache um ein Solo zu spielen, hören alle nur auf mich (hoffe ich zumindest...XD). Und so ist es ja auch beim Vorlesen, man soliert in einer gewissen Art und Weise. Das hat mir sehr geholfen selbstbewusster mit dem Vorlesen umzugehen.
Welche Gefühle empfindest du beim Schreiben?
Ich lache über meine eigenen Witze, die ich formuliere... XD
Ich empfinde oft die Gefühle meiner Protagonist*innen. Das, was sie erleben, seien es Trauer, Freude, Liebe, neue Erfahrungen in allen Lebensbereichen. Ich lebe mit in diesen kleinen Welten, die ich da erschaffe. Ich bin ja auch ein Teil von ihnen.
Aber ich tobe mich auch aus. Ich erschaffe Settings und Situationen von denen ich träume, die ich gerne erleben würde oder froh bin, nie so erlebt zu haben. Denn sobald ich am Schreiben bin und in den Prozess hineingesogen werde, vergesse ich die Welt um mich herum gerne mal. Nicht alles natürlich, aber mein Kopf ist dann zum Beispiel mit Paula und Maddie in der Kneipe, oder bei Emma auf der Couch (alles Protagonist*innen meiner Geschichten). Ich fühle dann wirklich wie sie, versetze mich direkt in sie hinein. Das kann so weit gehen, dass die Erfahrungen verschmelzen. Zum einen fließen des Öfteren autobiografische Elemente in meine Romane, zum anderen gibt es Dinge, die in den Romanen passieren (obwohl rein fiktiv), die ich dann selbst liebend gerne ausprobieren möchte. (oder bereits ausprobiert habe ;-P)
Weiterhin trägt natürlich dazu bei, dass ich gerne in der ersten Person Singular schreibe. Das hat sich einfach so herauskristallisiert. Wenn man dann Sätze wie 'Ich wachte alleine auf. Die Sonne schien durch die Ritzen des Rollladens. Das Bett neben mir war leer und Kerstin musste schon runtergegangen sein.' schreibt, dann bekommen die Situationen etwas viel Direkteres als in der dritten Person. Das gefällt mir unheimlich gut.
Welche Tipps würdest du anderen Autor*innen weitergeben, die ihr Werk ebenfalls einem Publikum vorlesen wollen?
Wenn man Erfahrung mit Live-Publikum hat, sei es in Form von Musik, Theater etc. ist das natürlich von Vorteil und es kann sehr helfen, aus diesen Erfahrungen zu schöpfen.
Ich denke, das Wichtigste für den Anfang ist das richtige Setting zu finden, sprich die Personen, denen man vorliest und wo man das Ganze macht. Für die ersten Vorleseakte empfehle ich Menschen, mit denen man vertraut ist. Sehr gute Freunde oder Partner*innen sind da gute Anlaufstellen. Eben Leute, mit denen man über viel reden kann und die einem selbst Unterstützung und Motivation beim Lesen geben und natürlich auch das Werk respektieren.
Zum Vorlesen selbst gilt natürlich seinen eigenen Text gut zu kennen. Am besten man liest ihn selbst laut einige Male vor. Und dann versucht man die Gefühle miteinzubeziehen, die man den Protagonist*innen gegeben hat. Ich finde, dass das bei eigenen Texten natürlicherweise kommt, da die Gefühle, die man da projiziert, immer etwas Eigenes enthalten. Und wenn man Fehler macht, einfach den Satz noch einmal beginnen. Dabei auch ganz wichtig: atmen und Pausen lassen. Nicht überstützen. Sich Zeit lassen und Personen zum Zuhören aussuchen, die sich die Zeit auch nehmen. Wenn das Ganze dann beim ersten Mal stockt und stottert, macht das aber natürlich nichts. Man muss das erst lernen. Wie beim Autofahren. Das stockt und stottert auch erst am Anfang, aber nach einer gewissen Zeit, je öfter man fährt, umso flüssiger klappt das Ganze.
Würdest du uns eine besondere Anekdote aus deinem Schreiballtag erzählen?
Die Tage um Silvester und Neujahr sind für viele Menschen eine Art Ausnahmezustand und so auch für mich. Man vergisst einfach mal den Alltag und gibt sich dem Exzess hin. Dementsprechend war ich auch nicht mehr nüchtern, als mir das passiert ist, aber es hat mich tief berührt.
Es war der Abend an Neujahr. Wir waren zu dritt in meiner Wohnung, mein Freund, mein bester Freund und ich. Dann musste ich auf die Toilette und hab das auch kommuniziert. Dementsprechend habe ich nicht abgeschlossen. Und in "Die badende Krähe" gibt es eine Szene, in der eine nicht abgeschlossene Toilettentür eine wichtige Rolle spielt. Daran musste ich plötzlich denken, als ich dort war und fühlte mich wie Emma, die Hauptprotagonistin in dem Roman. Alles hat sich angefühlt wie sie, mein Körper, meine Wahrnehmung, meine Umgebung. Wie als wären wir gerade eins geworden. Ich war völlig überwältigt und hab im Spiegel keinen Unterschied mehr zwischen mir und ihr gesehen. Das hat mich sehr verblüfft. Vor allem, da "Die badende Krähe" ein auch zum Teil autobiographischer Roman ist, in dem ich viele Situationen und Erfahrungen aus meinem eigenen Leben verarbeite. Und das hat mich noch einmal mehr mit Emma zusammenwachsen lassen.
Das war eine sehr krasse und intime, aber ich muss auch sagen, sehr lustige Erfahrung, weil ich es, salopp gesagt, einfach auch cool fand. XD
Das macht jetzt aber schon wieder ganz schön neugierig!! Ich überlege, dieses Kapitel "Von Toiletten und offenen Türen" zu nennen ... xD
Auf welche Erfahrung hättest du gerne verzichtet und gibt es eine Erkenntnis, die du im Nachhinein daraus ziehen kannst?
Hm. Die Erfahrung, an einem Punkt zu sein, an dem man sich fragt, für wen oder was man die Kunst überhaupt macht, vielleicht?
Da kann man in eine tiefe Sinnkrise stürzen, die mich schon öfter erwischt hat. Ich habe das bei der Musik schon einige Male erlebt. Aber was ich daraus gelernt habe, ist was gleich in der nächsten Frage noch mal kommt: weitermachen! Wenn man dranbleibt, ergeben sich irgendwann, manchmal zufällige Situationen, die einem auf einmal völlig neue Möglichkeiten und Wege bereiten.
Als Beispiel: Ich habe mit meiner Musik jahrelang stagniert, kam nie richtig weiter, hab nie die richtigen Leute gefunden. Aber ich habe nicht aufgehört. Und durch ne Anzeige zum Musik machen, die ich ausgehangen habe (real und im Internet) habe ich meinen Freund kennengelernt und durch die gleiche dann schon drei Jahre alte Anzeige, die noch in irgendeinem Musik-Forum herumgegeisterte, habe ich meine jetzige Band gefunden.
Genau sowas kann einem auch beim Schreiben passieren. Irgendwann kommt vielleicht irgendjemand auf dich zu. Von daher habe ich gelernt, einfach, dass was ich liebe, weiter zu machen. Und dazu gehört bei mir wie das Musik machen auch das Schreiben. Ohne beides werde ich nie können, also werde ich nie aufhören, auch wenn ich hin- und wieder solche Krisen erlebe.
Schönes und treffendes Beispiel, man kann wahrscheinlich aus jeder negativen Erfahrung einen positiven Schluss ziehen - bei dir hat das ja perfekt funktioniert! Mit ein bisschen Glück und Mut ... ;P
Welche Pläne hast du für die Zukunft?
Auf jeden Fall weiterschreiben! Ich liebe es einfach zu sehr, in meine Welten abzutauchen, dass ich das irgendwann aufgeben würde.
Und wenn es die Möglichkeit gibt, mein Geschriebenes zu veröffentlichen, würde ich das sehr gerne ebenfalls tun. Das wäre schön, dadurch vielleicht mehr Leute zu erreichen. Ich bin eine Person, die zwar die Kunst auch für sich macht, aber auch vom Feedback lebt. (Viellicht kommt da die Musikerin in mir zum Vorschein... :P) Egal ob Lob, Kritik oder Verriss. Von daher werde ich mal sehen was passiert und die Zeit so bringt. Aber meine Bestrebungen werden bestimmt in den nächsten Jahren dahingehen, meine Sachen, etwa durch einen Verlag, versuchen zu veröffentlichen.
Dabei wünsche ich dir auf ganz viel Erfolg! :D
Möchtest du sonst noch etwas sagen?
Haltet an dem fest, was ihr gerne macht! Egal, was so passiert im Leben, es ist wichtig Dinge zu finden, in denen man so wirklich aufgehen kann, die einen so richtig glücklich machen. Um damit Rio Reiser und Ton Steine Scherben zu zitieren:" Halt dich an deiner Liebe fest! (Lifegoal 'Scherben zitieren', check! :))
Und natürlich: respektiert eure Mitmenschen (und Mittiere) um euch herum. Liebe ist das wichtigste Gut, das wir verbreiten können! <3
Vielen Dank an dich Fran für dir tollen Fragen und vielen Dank, dass ich dabei sein durfte! Es hat mir sehr viel Spaß gemacht! ^.^
Mir hat das Interview auch sehr viel Spaß gemacht, danke für deine Zeit und natürlich das Teilen deiner Erfahrungen! :D