Sie war nicht aufgerührt, nicht erhitzt von Vorfreude, nicht ungehalten. Bedacht führte sie ihre Fingerkuppen über die sich formgebend aus dem Papier erhebenden Punkte, während ihre Lippen kaum vernehmbar unter verschlossenen Lidern und zu der Mündung der Nase gezogenen Brauen die niedergestochenen Worte hauchten. Womöglich wusste sie, die Formel ohne das Lesen aus dem Buch zu sprechen, jedoch nahm sie es sich aus Furcht vor dem Irren ein jedes Mal zur Stütze.
Die schließenden Silben perlten von ihrer Unterlippe nieder auf die geöffneten Seiten, die letzten Laute hallten in ihrer Kehle wider, der Name klang zischend aus. Sogleich umfasste das Unwirkliche, verborgen hinter allen Dingen, ihren Rumpf in schneidendem Necken, sie füllte ihren Atem lachend der auflebenden Bö an, bis - endlich, oh, wie süß es erneut ihre Schläfen durchfuhr! - die Blicklosigkeit ihrer Augen fortgespült wurde.
Zaudernd, sich vor der Helligkeit Pein wappnend, hob sie den schweren Vorhang ihrer Wimpern und die Härchen auf ihrer Haut sprossen empor, als sie den Born des Lichts vor sich erblickte. Sein goldener Schein übermannte das Mobiliar des Zimmers, glitt über seine Farben - die Gegenstände waren ihr nicht länger in der ertasteten Form bloß definiert - und umfloss ihren Schopf, dessen lose Strähnen auf dem strahlenden Strom von ihrem Antlitz trieben. Schillernde Splitter stoben in den Kern des Gleißens, mengten sich dort zu einer Silhouette, einem Leib, einem Gesicht.
Unter der dünnen Haut zwischen den Erhebungen ihrer Wangen und Augen schrien brodelnde Tränen, von des Anblickes Schönheit angetrieben. Obgleich ihr gesamter Leib ehrfürchtig vor dem Zauber niederzuknien drängte, vermochte sie, ihre Zunge um ihre Worte zu leiten.
"Ikarus", wisperte sie zu der vor ihr sich geformten Gestalt inmitten des leuchtenden Kranzes. "Ikarus, bitte erzähle mir von dem Fliegen."
Die Züge des Ikarus glitten bereits in die Empfindungen, welche seinen Bericht beflügeln würden, sodass eine gesprochene Beschreibung beinahe nichtig erschien. Seine Lippen weiteten sich zu einem Schmunzeln zwar, doch wirkte es, als quelle zwischen ihnen eine tödliche Trauer hervor; sein Blick war von Liebe, von seufzender Sehnsucht triefend, als verspürte er die bedrohlich sich verengenden Ecken seiner Lider nicht; seine erröteten Wangen wölbten sich zwischen den Spitzen der leidvoll lebendigen Lippen und jenen lodernd schwindenden der Augen. Ehe er sprach, dünkte ihr, die in ihm flatternde Erzählung schaudere vor dem Sprung von den Klippen seines Mundes.