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Nach dem Prompt „Schwanzfleck-Panzerwels“ der Gruppe „Crikey!“
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An der Akademie Miinayama im Flussland lebte einmal ein weiser Mentor. Er hatte einen sehr guten, sehr gelehrigen Schüler, der all seine Kameraden um ein Vielfaches übertraf. Nun sprach sein Meister eines Tages: "Mein Junge, ich habe dich alles gelehrt, was ich dich lehren kann."
"Aber Meister", widersprach der Schüler. "Ihr seid so weise! Es gibt vieles, das Ihr wisst, aber ich nicht."
"Doch ich kann es dich nicht lehren", beharrte der Meister. "Nur eine Sache kann ich dir noch beibringen. Folge mir. Bestehst du diese Prüfung, wird ein Meister aus dir werden, doch versagst du, dann bist du nicht besser als alle anderen."
Er führte den Jungen an einen Flusslauf und zeigte auf die Wellen. "Siehst du diese Fische dort?"
Ein Schwarm Panzerwelse trieb dort und suchte den Boden ab.
"Diese gewöhnlichen Fische? Ja, ich sehe sie."
"Setze dich ans Ufer und beobachte sie."
Der Meister wandte sich zum Gehen, doch der Schüler rief ihn zurück. "Meister, sagt mir, wann wird die Prüfung beginnen?"
"Sie ist bereits", entgegnete der Mentor und ging.
Rätselnd sah der junge Schüler auf die Wellen. Die kleinen, gepunkteten Fische huschten in den Schatten und kamen wieder hervor, suchten den Flussboden ab auf der Suche nach Nahrung und schwammen wieder in die Sicherheit des dichten Gebüsches. Fast einen Tag saß der Schüler am Ufer. Er machte Zeichnungen und Notizen und beobachtete die Fische. Am nächsten Tag kam der Mentor wieder, und da brach der Schüler in Tränen aus.
"Meister, bitte verzeiht mir!", sprach er. "Ich weiß nicht, was mich diese Fische lehren sollen. Ich habe versagt."
"So? Was hast du denn aufgeschrieben?"
Der Schüler sah traurig auf seine Notizen. "Ich hatte viele Gedanken, Meister, aber keiner erschient mir gewichtig genug."
"Erzähle sie mir."
"Nun, da war einmal der dunkle Fleck auf diesen hellen Fischen. Vielleicht trägt alles Gute etwas Böses in sich. Da ist ihr fleißiges Gewimmel, immer in Furcht, was mich an unser Leben erinnert. Wir leben unser Leben doch auch nur, indem wir von Schutz zu Schutz huschen und Rettung in vertrauten Ideen und lieben Freunden suchen. Und dabei wühlen wir, wie diese Fische, nur am Boden. Wir wissen kaum etwas von der Weite des Flusses und gar nichts vom Meer." Der Schüler seufzte. "Doch Antworten habe ich keine gefunden, Meister. Ich habe Euch enttäuscht."
"Das hast du keinesfalls. Du hast die Prüfung bestanden." Der Meister lächelte und umarmte seinen ehemaligen Schüler als ebenbürtig. "Denn siehe - du hast dich ans Ufer eines beliebigen Flusses gesetzt und ganz gewöhnliche Fische betrachtet, aber dabei hast du unzählige Fragen gefunden, die erforscht werden können. Du besitzt den Blick eines Philosophen, die Fähigkeit, im Alltäglichen das Universum zu erkennen. Diese Fähigkeit kann man niemanden lehren, doch wer sie besitzt und pflegt, wer stetig nach der Wahrheit strebt, der ist ein Meister der Philosophie."