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Nach dem Prompt „Borellis Zwergbuntbarsch [Tierische Geschichten mit Regenschirm]“ der Gruppe „Crikey!“
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Es goss wie aus Kübeln. Ein dichter, grauer Regen, der die Welt mit einem Schleier verhüllte. Es war ein grauer Tag, in mehr als einer Hinsicht. Sopa hielt den Schirm dicht über sich, dessen Gelb den einzigen Farbkleckser an diesem Tag darstellte. Die Bäume erschienen grau, ihre Blätter hingen triefend herab. Der Fluss strömte voll und grau am Ufer entlang, dessen Matsch grau war.
Sie war schon den ganzen Tag in dieser Stimmung. Streit mit ihren Eltern und Stress in der Schule bedingten ihr Leben seit Jahren. Und es sah nicht so aus, als würde sich in ihrem nächsten Jahrzehnt etwas daran ändern - bis sie endlich fünfzig war und damit erwachsen, musste sie sich weiter die Launen ihres Vaters und die Strenge der Lehrerin gefallen lassen.
So stapfte Sopa schnaubend durch den Regen und trat Matsch, als plötzlich Gelächter sie aus ihren Gedanken riss.
Abrupt blieb die Elfe stehen und hob den Schirm ein Stück, um sich umzusehen. Und vor sich, am Ufer des Flusses, sah sie eine Menschenfrau, mit einem grauen Schirm gegen den Monsun, die am Flussufer hockte und ... kicherte.
"Geht es Ihnen gut?", erkundigte Sopa sich verwirrt.
Die Frau sah auf. Regen lief aus ihrem Haar, offenbar ließ sie den Schirm häufiger sinken, wie auch jetzt, während sie sie anstrahlte. "Die Fische! Sieh doch nur!"
Zögerlich trat Sopa näher. Sie fragte sich, ob die Frau verrückt war. Sie musste aus dem nahen Dorf gekommen sein, doch Sopa hatte sie noch nie gesehen. Sie hatte helle Haut und blondes Haar. Fast gelb war es!
Die Frau deutete in die Fluten, wo sich unter den grauen Wellen der Strömung kleinere, bunte Fischchen zeigten.
"Buntbarsche", sagte Sopa achselzuckend. "Die gibt's hier überall."
"Sie sind so hübsch und bunt!" Die Menschenfrau sprach wie ein Kind. Dabei war sie älter als Sopa - nicht in Jahren, vermutlich, aber doch von der Reife her. Sie war erwachsen, hatte vielleicht eigene Kinder.
Jetzt bemerkte Sopa, dass nicht nur Regen über die Wangen der Frau lief. Es waren Tränen - Freudentränen.
"Ich habe noch nie so bunte Fische gesehen. So viele Farben!", hauchte sie. "Ich wusste, dass es hier eine ganz andere Biodiversität gibt, aber es ist wunderbar, das vor sich zu sehen! Davon habe ich so lange geträumt!"
Etwas erschreckte die Fische und der Schwarm schoss davon. Die Frau sprang auf und folgte ihnen, den Schirm in der ausgestreckten Hand, sodass sie weiter nass wurde. Lachend sprang die Menschenfrau in die Pfützen und drehte sich im Kreis, nahm den Regen, den Wald, den Fluss in sich auf.
Sopa setzte ihren Weg langsam in die andere Richtung fort. Der Schirm ruhte locker auf ihrer Schulter und sie merkte kaum, dass erste Tropfen ihre Stirn trafen, weil der Schutz nach hinten kippte.
Den Fluss sah sie mit ganz neuen Augen. Es war heute doch nur ein weiterer Sturmtag im ewigen Regen. Aber für die Menschenfrau war die Welt voller Wunder. Sie stand an einem ganz anderen Fluss, der mit Farben gefüllt war.
Verstohlen sah Sopa zurück. Die Frau war schon nicht mehr zu sehen, doch ihr Lachen erklang noch hin und wieder.
Die junge Elfe blinzelte. Wenn das so war, dann wollte sie lieber am Fluss der unbekannten Frau sein als am grauen Strom. Fest entschlossen schob sie den Schirm noch ein Stück zurück, ließ Wind und Regen an ihr Gesicht. Es war ein bunter Tag - in mehr als einer Hinsicht.