Rating: P16 [CN: Tod, Betrug, Machtmissbrauch]
Nach dem Prompt „Erdbeerfröschchen/Erdbeeren“ der Gruppe „Crikey!“
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Alita atmete tief durch. Der Regen hatte endlich aufgehört - für heute - und die Luft rein und feucht hinterlassen. Von den großen Blättern, die bis dicht an ihre einfache Hütte heranreichten, tropfte es unablässig. Der Boden war aufgeweicht, zum Glück hatte ihr stilles Refugium eine Terrasse und einen befestigten Boden! Zwar war es nur eine einfache Bambushütte, aber das Dach war dicht und der Boden stand leicht erhöht, und damit war dieses Versteck ein wahrer Luxus in den Miikan.
Es war lächerlich im Vergleich zu Alitas drei Anwesen in Lirhajn und Celyvar. Doch zurückkehren konnte sie erst, wenn sich die Wogen geglättet hatten. So lange betrachtete sie die ärmliche Hütte als Sommerquartier.
Wenn das Wetter in diesem verfluchten Dschungel bloß besser wäre! Es regnete schon seit Wochen jeden Tag, meist einige Stunden am Stück. Die Tiermenschen, die sich diesem Landstrich angepasst hatten, sagten, dass das normal sei. Alita kam es vor wie ein weiterer Fluch ihrer Heimat. Ein rachsüchtiger Wettermagier vielleicht, oder der Zauber eines Hexers. Die Rachlust des einfachen Volks war nicht zu unterschätzen.
Schritte näherten sich platschend. Alita drehte den Kopf und erblickte Jeensh, den treuen Butler, den sie als einziges mitgenommen hatte. Nun betrachtete sie naserümpfend seine Schuhe. "So kommst du mir aber nicht ins Haus!"
"Natürlich nicht, M'lady."
"Königinmutter, Jeensh. Ich bin vielleicht im Exil, aber ich bin immer noch Alita von Celyvar, Tochter der Eroberer! Ein Bauernaufstand ändert nichts daran."
"Ich fürchte, die Bauern sehen das anders, M'lady."
Sie schüttelte leicht den Kopf. Der alternde Magier hatte schon ihrer Großmutter gedient und manchmal vergaß er, dass diese jahrelange Treue ihm nicht alle Frechheiten gestattete.
Es war zweihundert Jahre her, dass ihre Ahnen Lirhajn erobert hatten - nur Iroy und Solevary leisteten noch Widerstand, der eigentlich bald erstickt sein müsste. Das geeinte Königreich Celyvar und Lirhajn stand noch ganz am Anfang einer prächtigen Zukunft. Das hier war nur ein unbedeutender Rückschlag.
Sie betrachtete die Körbe, die Jeensh mühsam balancierte, während er sich die Schuhe am Moos abputzte. "Gibt es Nachricht von meinem Sohn? Wie läuft der Krieg?"
"Keine Botschaft, nein. Nur allgemeine Berichte. Es heißt, dass Grauwalden belagert wird."
"Sicherlich Propaganda der Aufständischen." Sie folgte ihm in die Hütte, wo er die Einkäufe und die Post aus dem geheimen Hafenbriefkasten auf dem Tisch verteilte. Sie schnupperte begeistert, als er eine Schale mit Erdbeeren aufstellte. Die frischen Beeren dufteten herrlich!
"Ich wusste es! Die Bauern jammern immer, dass es kein Brot gäbe, und bunkern alles andere. Kuchen, Erdbeeren, Birnen ..." Sie nahm Platz und probierte die erste Beere. Köstlich! Genießerisch schloss sie die Augen.
"Die stammen aus Vinpalla", erwähnte Jeensh. "Ich habe keine Mühen gescheut."
Sie steckte sich die zweite Beere zwischen die Lippen und wedelte ungeduldig nach der Post. Gereizt überflog sie die Schlagzeilen der Zeitungen aus Lirhajn und Celyvar. Lügen. Lügen. Lügen! Es war schlicht unmöglich, dass ein paar Bauern ihren Sohn, den König, in Bedrängnis brachten. Er hatte seiner Mutter versprochen - versprechen müssen - die Unruhen bis zum Herbst beseitigt zu haben. Sie verzog unwillig das Gesicht, während sie von desertierenden Soldaten und immer größeren Bauerntruppen las.
Es war unmöglich. Der Lauf der Welt war jedem bekannt. Man war, als was man geboren wurde. Die Könige, um zu herrschen, der Klerus, um die Botschaft Thyrmals zu verbreiten, die Bauern, um das Land zu bestellen. Abgaben, dienen und herrschen gehörte zum großen Plan. Wenn dieses Pack zu faul war, große Ernten einzutreiben, war es ihre eigene Schuld, wenn sie die Abgaben nicht zahlen konnten!
Alita verzog das Gesicht. Die Lektüre hatte ihr die Laune gründlich verdorben. Selbst eine weitere süße Erdbeere konnte sie nicht aufheitern.
"Ich verstehe es einfach nicht, Jeensh. Wieso riskieren sie wegen etwas Brot einen Krieg, den sie nicht gewinnen können? Sollen sie doch was anderes essen. Ehrlich!"
"Unerhört, M'lady. Esst nur."
Sie nahm sich noch eine Handvoll Beeren und pickte einzelne heraus. "Ich hoffe, mein Sohn tötet nicht alle von ihnen. Wir müssen ein paar in den Kerker stecken, damit sie ein wirklich schweres Leben kennenlernen. Und sich daran erinnern, wie gut sie es haben, dass sie uns dienen können. Damit sie an ihren rechtmäßigen Platz zurückkehren kö..." Sie stockte, dann schrie sie auf und schleuderte die Erdbeeren von sich. Jeensh sprang den kullernden, kleinen, roten Früchten aus dem Weg, die sich vor der Tür verteilten.
"Was ist denn?"
Alita hielt ihre Hand. "Es brennt!" Entsetzt sah sie auf die roten Pusteln, die sich auf ihrer Handfläche bildeten. Auch die letzte Erdbeere, die sie sich zwischen die Lippen geschoben hatte, hinterließ ein scharfes Brennen. "Jeensh, tu was!", verlangte sie. Das Gefühl in ihrer Hand verließ sie rapide.
Jeensh stand in der Tür. Er betrachtete die Beeren. Eine davon hüpfte mit einem Mal.
Alita riss die Augen auf. Es war keine Beere - sondern ein Frosch. Sie starrte zur Schüssel, in der sie nun immer mehr zappelnde Bewegung bemerkte. Kleine, erdbeerrote Fröschchen wimmelten zwischen den Beeren hervor.
Ihr Atem ging immer schneller und flacher. Sie sprang auf und wich zurück, doch der Raum begann, sich um sie zu drehen. Sie stützte sich an der Wand ab, während das Brennen sich ihren Arm und den Hals entlang arbeitete.
"Jeensh ..."
Er stand in der Tür. Sein Blick war ernst und ... traurig. Er hatte sie aufgezogen, weil ihre Mutter wenig Zeit gehabt hatte, und in all den Jahren hatte sie ihn niemals so traurig gesehen.
"Was ...?", brachte sie krächzend hervor.
"Wie ich schon sagte: Ich habe keine Mühen gescheut." Er kam nun doch näher und strich sanft über ihr Gesicht, doch sie merkte, dass er den Kontakt zu ihrer verätzten Hand vermied. Reuevoll sah er sie an. "Du warst so ein großzügiges und glückliches Kind, Alita."
Wie konnte er es wagen, sie mit dem Vornamen statt mit ihrem Titel anzusprechen? Wie konnte er es wagen, sie zu berühren?
Sie konnte sich nicht wehren. Ihr war Übel. Der Boden sackte ihr entgegen, Jeensh trat zurück.
"Euer Königshaus war einst so edel und gerecht", fuhr er fort. "Was für ein Jammer, dass sein letztes Mitglied so sterben muss. Aber du hast mir keine Wahl gelassen, Alita."
Sie umklammerte mit einer Hand ihre Kehle und streckte die andere nach ihm aus. Der Boden schwankte wie das Schiff, das sie in jener Nacht heimlich aus Lirhajn fortgebracht hatte. Wieso war es so dunkel in der Hütte?
"Der König ... wird ..."
"Dein Sohn ist tot, Alita. Doch keine Angst. Du wirst ihn schon sehr bald wiedersehen."