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Nach dem Prompt „Pangasius [Donnermond]“ der Gruppe „Crikey!“
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Die Salbäume raschelten. Dicht über den Fluss gebeugt bildeten sie einen grünen Tunnel über dem träge dahinfließenden Wasser. Wo das Laub sie vor der Sommersonne schützte, fanden die Manobahe kühle und feuchte Luft. Vhit fröstelte sogar - ein angenehmes Gefühl nach der erdrückenden Hitze, die den Rest des Landes in ihrem Würgegriff hielt.
Gegen Mittag ging ein stetiger Schauer nieder, eine dichte Regenflut, die sogar durch das Dach der Baumkronen drang und das Flussvolk bis auf die Knochen durchnässte. Vhit, der zusammen mit seiner Schwester im Bug des Kanus kauerte, zog den Kopf zwischen die Schultern. Doch wie immer dauerte der Monsunregen nicht lange an. Weiße Nebel waberten über den Dschungeln, wann immer sie eine Lücke im Laub passierten, Feuchtigkeit der Blätter, welche die eifrigen Doppelsonnen verdunsten ließen.
Dann ging es wieder durch die tropfenden Tunnel. Große, graue Fische glitten unter der Oberfläche dahin, so nah, dass sie den Rumpf der Kanus fast berührten, und schnappten nach den aufschlagenden Tropfen auf dem Fluss.
Der Hrekaithos floss geruhsam durch das Dschungelreich, angeschwollen vom reichen Regen des Sonnenmonds. Vhit ließ die Hand in die kühlen Fluten gleiten.
"Mama?", fragte er, ohne den Kopf weit zu drehen.
"Ja, mein Äffchen?"
"Denkst du, sie werden da sein?"
"Das werden wir sehen, Schätzchen. Wenn der Fluss es so will."
Vhit sah wieder nach vorne. Das Grün des Tunnels schillerte wie ein Smaragd, warm und voll. Sonnenstrahlen fanden ihren Weg bis auf die Flussoberfläche und strahlten in reinem Gold.
Es war fast ein Jahr her, dass Vhits Familie zuletzt so weit westlich gewesen war. In der letzten Regenzeit waren sie aufgebrochen, im Feuermond, denn nur vom Sonnen- zum Feuermond kamen die Flussmenschen im westlichen Bambuswald zusammen, dort, wo der Hrekaithos einen Bogen schlug und sich in der Biegung des Flusses ausgedehnte Reisfelder erstreckten. Der mächtige Strom trat hier vom Regen genährt über die Ufer und die Felder wurden überflutet. Dann, wenn die Ernte begann, nahm die Bevölkerung gerne die Hilfe der Reisenden in Anspruch, um den wertvollen Reis zu ernten - und die Fische natürlich.
Endlich brach der letzte Tunnel auf und die Gruppe glitt lautlos in die Mitte des breiten Stroms. Ein gutes Dutzend Kanus, beladen mit Familien, buntverpacktem Gepäck und einigen wenigen Werkzeugen, vornehmlich Speeren und Fischernetzen. In jedem Kanu stand jemand aufrecht, so wie Vhits Mutter, und steuerte das Gefährt mit ruhigen Schlägen des Paddels.
Der Fluss führte nun nach Norden und erstreckte sich im Osten so weit, dass Vhit den Hals recken musste, um das Ufer noch zu erkennen. Hohe Stangen Reis ragten in ordentlichen Reihen aus den Fluten, dazwischen blitzte das bunte Flickwerk auf, welches die Manobahe als Decken und Hüte trugen: Kleidung, die diejenigen, welche früher angekommen waren, vor den unbarmherzigen Sonnen schützen sollte.
Vhit umklammerte den Rand des Kanus und setzte sich aufgeregt auf. "Sutra!", rief er. "Sutra!"
"Ruhig, Junge", sagte seine Mutter. "Du brauchst nicht alle zusammenzuschreien."
"Aber wenn sie doch hier ist ..."
"Das wissen wir nicht, Äffchen. Die Strömung wird dich zu ihr tragen, wenn es so weit ist."
Ungeduldig trommelte er auf das Holz des Kanus.
Würde sich Sutra überhaupt an ihn erinnern? Im letzten Jahr, als sie am Rand der Felder gespielt hatten, hatten sie sich versprochen, sich im nächsten Jahr wieder zu treffen. Vhit hatte dieses Versprechen nie vergessen - doch ging es seiner Freundin ebenso?
Die Kanus lagen tief im Wasser und manche Reispflanzen waren so hoch, dass sie einen zweiten, niedrigeren Tunnel bildeten.
"Nehmt die Hände ins Boot, Kinder", warnte Vhits Mutter, während sie zwischen die Pflanzen trieben.
Manchmal versteckten sich Alligatoren in den Gewässern. Vhit war jedoch alt genug, um auf die Pangasius zu achten. Solange diese Fische ruhig neben den Booten schwammen, war keine Gefahr zu befürchten. Sonst würde der Schwarm nervös werden, wenn auch nur im Umkreis ein Jäger lauerte.
Es war alles wie in jedem Jahr. Einige Hundert Manobahe waren bereits da und arbeiteten. Am Ufer, wo die meisten Kanus verkehrten, hatten die Bauern Körbe gestapelt, welche die Flussmenschen auf die Kanus nahmen. Auch Vhit musste sich einen solchen auf den Schoß setzen. Seine Schwester stellte sich hinter ihm auf und beide Kinder pflückten die Rispen in den Korb, während ihre Mutter sie möglichst nah an die Pflanzen einer Reihe brachte. Wurde der Korb zu schwer, sodass Wasser über die Seiten des Kanus schwappte, kehrten sie um und brachten die Ernte den Elfenbauern, welche sie weiterverarbeiten würden. Für jeden vollen Korb gab es drei Ubun, die Vhit in Empfang nahm. Als Älterer schleppte er auch die Körbe an Land und verwahrte die Bezahlung stolz in dem Geldbeutel, den er an einem Band um den Hals und unter dem Hemd trug.
Wenngleich er immer wieder nach Sutra Ausschau hielt, forderte die Arbeit bald seine größte Aufmerksamkeit. Man musste darauf achten, keinen unreifen Reis zu ernten, denn das gäbe Abzüge.
Als die Sonnen sanken, legten die Manobahe am Ufer an. Im Dorf wurde der Reis gedroschen, und einige vom Flussvolk halfen dabei, die Bündel in Haufen aufzuschichten, damit sie trocknen konnten. Vhit und die anderen Kinder waren von dieser Arbeit jedoch freigestellt. Sie durften spielen oder sich den Fischpflegern anschließen.
Letzteres wählte Vhit, denn er wusste noch, dass Sutra die Arbeit mit den Fischen geliebt hatte. Es waren nicht viele Kinder hier - und hier, unter den anderen weißhaarigen Manobahe, entdeckte er Sutra endlich.
"Vhit!" Sie lief auf ihn zu und umarmte ihn. "Ich war nicht sicher, ob ihr kommt!"
"Bist du schon lange hier?"
"Ein paar Tage. Meine Familie lagert dort hinten, kommt ihr auch dahin?"
Er nickte. Ihre Mutter hatte noch keinen festen Lagerplatz für die Nacht gebaut, also hätte sie sicherlich nichts dagegen, bei Sutras Familie zu übernachten.
"Was hast du das Jahr über gemacht?", fragte er Sutra, um dann aufgeregt loszuplappern: "Wir waren beim Fest der Aithara! Ich habe dir sogar ein Armband mitgebracht, warte ..." Er tastete im Beutel.
Während sie ins knietiefe Wasser hinauswateten, wo der Pangasius in beweglichen Holzkäfigen gehalten wurde, redeten die beiden Kinder ohne Unterlass. Sie halfen den Elfen, die größeren Fische auszusortieren, die verkauft werden konnten, und fütterten die Tiere, die noch wachsen mussten. Dazu mussten sie in die Käfige steigen und kicherten, wenn die großen Fische neugierig um ihre Füße strichen. Bei jeder Bewegung der Zehen schossen die Tiere auseinander, um sich dann vom Futter wieder anlocken zu lassen: Von Algen, Insekten und Küchenabfällen des Dorfes. Vhit lachte viel, auch wenn er eine gewisse, bittersüße Traurigkeit verspürte. Denn im nächsten Mond würde er sich wieder von Sutra trennen müssen - für ein ganzes Jahr. Doch bis dahin blieb ihnen noch ein ganzer Monat, der sich so endlos anfühlte, dass all ihre Pläne hineinpassen würden: Ein neues Baumhaus, Spiele zwischen dem trocknenden Reis, Wettfahren auf dem Fluss und all das, was sie schon im letzten Jahr getan hatten.
Als die Fische gefüttert und sortiert waren, gingen die Kinder zurück zu den Booten. Die ersten Feuer trotzten am Flussufer der hereinbrechenden Nacht. Vhits Schwester war bereits vorausgelaufen, um ihre Mutter zu informieren, Vhit und Sutra gingen langsamer, betrachteten die Sterne und Monde über ihnen und tauschten Erinnerungen aus ganz Dubayaana aus.
Wie Vhits Mutter es gesagt hatte - der Fluss hatte sie aus dem ganzen Land zusammengetragen, denn seinen Wassern ging nichts verloren.