Rating: P12

Nach dem Prompt „Nördliche Haiti-Magnolie [Pflanzliche Hängematte-Geschichten]“ der Gruppe „Crikey!“

--------------------------------------------------------------------------------------------------------------

"Nete! Nete!"

Träge schob er sich den Hut ein Stück vom Gesicht. Die Sonnenstrahlen, die das gewebte Stroh bisher abgehalten hatte, stachen in seine Augen. "Lagi? Was hast du deaaahhhh!"

Nete stürzte auf die Erde. Lagilagi hatte ihn kurzerhand aus der Hängematte gekippt. Während er sich auf der von Laub und Zweigen bedeckten Erde aufrappelte, sah er sie finster an.

"Du musst mitkommen!", rief die Elfe aufgeregt. "Los, komm schon, Nete!"

Lagi stürmte sofort wieder los. Nete strich sich Erde von den Schienbeinen und folgte ihr langsamer.

Lage führte ihn quer über die gewölbte Flanke der Insel, durch dichtes Unterholz und die lichter stehenden Palmen. Sand wich Erde und einzelnen Steinen. Das Rauschen der Wellen blieb hinter den beiden Nalurai zurück. Sie stiegen auf die Klippen, die sich in der Mitte der Insel erhoben.

"Lagi? Was wird das denn? Rede endlich mit mir."

"Das musst du dir ansehen!", rief sie herunter und stieg höher.

Nete seufzte. Wieso konnte Lagi nicht wie die anderen sein und surfen oder am Strand dösen? Und wieso hatte er sich ausgerechnet mit ihr angefreundet?

Dennoch kletterte er ihr weiter hinterher, bis sie eine recht hohe, zerklüftete Felswand überwanden und dahinter in ein kleines Tal kamen, das von unten nicht einsehbar war. Nete vermutete eines von Lagis Verstecken. Sie trieb sich immer an den unmöglichsten Orten herum, die keine vernünftige Nali betreten würde.

Tastend grub er die Zehen in die dunkle Erde, die sich hier angesammelt hatte und wilden Beerensträuchern als Boden diente. Er spürte Feuchtigkeit in der Tiefe.

Dann bemerkte er den Baum, der etwas weiter hinten stand, und begriff Lagis Aufregung.

Es war ein schlanker Baum mit einer ausladenden Krone, voll von strahlend weißen, handtellergroßen Blüten. Er verbarg sich etwas hinter den Felsen, sodass er ihm nicht sofort aufgefallen war. Doch nun roch er einen betörenden Duft, hörte das Summen der Bienen in der Krone und bemerkte ein Kribbeln auf der Haut, das stärker wurde, als er einen vorsichtigen Schritt nach vorn machte.

"Was ... ist das?", fragte er verwundert.

"Unfassbar, dass es die ganze Zeit hier war, nicht?", fragte Lagilagi mit glänzenden Augen.

"Magie", hauchte er und streckte die Hand wie in Trance nach dem Baum aus. Nete war nur ein einfacher Fischer, doch das statische Kribbeln war unverkennbar.

Lagi grinste ihn frech an. "Bist du jetzt froh darüber, dass ich dich aus deinem ach so wichtigen Nachmittagsschläfchen gerissen habe?"

Er rieb über die aufgeschürften Handballen. "Etwas sanfter wäre es auch gegangen, weißt du?" Dann hatte er sich bei der Klettertour auch noch ein paar tiefere Kratzer zugezogen. Wieso er ihr dennoch immer wieder hinterherlief, obwohl Lagi in so ziemlich allem der Ruhe widersprach, nach der die Nalurai hier strebten, konnte Nete sich nicht erklären. Vermutlich, weil sie immer wieder solche Orte fand. Solche Wunder.

"Wir sollten ... jemandem davon erzählen oder so."

"Sollten wir?", fragte sie leichthin.

"Die Magier wollen ihn sicher erforschen", murmelte Nete.

"Ja, aber ... nicht vor dem Abendessen. Oder besser dem morgigen Frühstück. Oder ..." Lagi rollte mit den Augen.

Nete setzte sich auf die Erde. "Gut. Wir haben ja Zeit."

"Eben!" Lagi setzte sich allerdings nicht, sondern begann, auf einen Felsen zu klettern, um näher an die Blüten zu gelangen. Nete beobachtete sie schmunzelnd, dieses Bündel aus Energie, das die zurückhaltende Ruhe dieses geheimen Ortes zerriss und die Bienen aufstörte. Lagi konnte einfach nicht stillhalten. Sie war immer laut und immer aufgeregt. Wenn sie an etwas Interesse hatte, war sie wie ein Zwerg, neugierig und intelligent und fokussiert. Zu anderen Gelegenheiten - etwa beim gemeinsamen Essen - sprangen ihre Gedanken so wild von einem Thema zum anderen, dass sich gerade die älteren Nalurai davon gestresst fühlten. Doch Lagi hatte diese kindliche Begeisterung für alle möglichen Themen, die sie dazu brachte, alles auszuprobieren.

Vielleicht mochte Nete sie deshalb. Weil sie Wunder fand, wo andere nie hinaufgestiegen wären.