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Nach dem Prompt „Blaumeise“ der Gruppe „Crikey!“
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Der Frühling hatte sich noch niemals so leer angefühlt.
Yodda könnte hören und riechen, dass draußen alles zu blühen begann. Ihre feinen Sinne nahmen auch all die Tiere wahr, die sich wieder aus ihren Winterquartieren wagten. Sie hörte die Rufe der Blaumeisen.
Kat hatte erzählt, dass die Vögel ein Nest im Baum vor dem Haus gebaut hatten. Ein paar Mal war Yodda nachts hinausgegangen, aber da hatten die Vögel natürlich geschlafen.
Sie vermisste die Sonne so sehr! Einfach im Garten zu sitzen und den Vögeln zuzusehen war so eine unbedeutende Freude, für die sie inzwischen all ihren Besitz hergeben würde.
Ihre Freunde bemühten sich redlich, ihr durch diese schwere Zeit zu helfen. Die Wände des Kellers wurden immer bunter, weil Nylian Tiere und Vögel in die gemalten Bäume fügte. Einmal hatte er auch sein Rotkehlchen mitgebracht, Leyra. Doch der kleine Vogel hatte in Yodda einen Vampir erkannt und war in dem beengten Raum so panisch geworden, dass Nylian sie wieder hinausbringen musste.
Die Erinnerung schmerzte noch immer, obwohl Yodda versuchte, nicht allzu traurig zu sein. Sie war dankbar, dass Nylian es immerhin versucht hatte. Doch sie konnte natürlich keinem Vogel diese Angst zumuten. So musste sie wohl oder übel verzichten.
Das eigentliche Problem war ohnehin ihre Familie. Dass Izcun sie in einen Vampir verwandelt hatte, war den anderen Zwergen im besten Fall befremdlich. Einige Cousins meinten gar, sie würden sich vor Yodda fürchten. Ihre Großmutter hatte beim letzten Treffen geschimpft, dass Yodda sich leichtfertig hatte täuschen und einwickeln lassen. Yoddas Einwand, dass die Verwandlung notwendig gewesen war, um ihr Leben zu retten, hatte die alte Zwergin herablassend mit "Welches Leben denn?" beantwortet.
Seitdem hatte sie selbst ihre Eltern kaum noch gesehen. Sie wusste nur, dass ihre Familie draußen alterte, noch immer sterblich, während sie sich im Keller vor dem Tageslicht verstecken musste.
Es klopfte an der Falltür zum Keller.
"Sofort", rief Yodda leise. Widerstrebend klappte sie das Buch zusammen, in dem sie ohnehin nicht wirklich gelesen hatte, und trat in die hintere Ecke. "Komm rein."
Die Tür schwang auf und Yodda roch Blut. Sie versteifte sich unwillkürlich.
Herein kam Kaithryn. Die Blonde hielt eine Hand vor der Brust, offenbar trug sie etwas darin, und kletterte einhändig hinunter. Dann klappte sie die Falltür zu, um den schwachen Lichtschein auszusperren, der dadurch hereinfiel. Sie blinzelte im spärlichen Licht der Kerzen, die für Yoddas Augen gut ausreichten.
"Was ... hast du da?"
Kat hielt ihr die hohle Hand entgegen. Yodda erblickte nicht die blutige Masse, die sie erwartet hatte. Einige Tropfen klebten an Kats Finger. Dem Geruch nach Vogelblut. Yoddas Herz verkrampfte sich, als sie das Ei auf Kats Handfläche sah.
"Ein Frettchen hat die Meisen angegriffen", erklärte Kat gepresst. "Ich kam zu spät und ... und das ist alles, was ich retten konnte."
Die junge Magierin kämpfte mit den Tränen.
Sanft nahm Yodda das Vogelei entgegen. "Oh nein ..."
"Kannst du ... kannst du dich darum kümmern?", bat Kat. "Sie sollte bald schlüpfen und dann muss man das Küken stündlich füttern. Ich würde es selbst tun, aber ..."
"Du hast deine Ausbildung, ich weiß." Yodda lächelte traurig. "Ich würde gerne, Kat, aber du weißt, was Vögel von mir halten."
"Aber die kleine Meise ist noch nicht geschlüpft. Wenn du das erste bist, was sie sieht, gibt es für sie keinen Grund, dir zu misstrauen."
Da könnte Kat recht haben. Und Yodda hatte ohnehin nichts zu tun. Tagsüber könnte sie die Meise füttern, nachts im Garten Würmer und Käfer jage.
Sie kicherte, während sie das Ei vorsichtig umschloss. "Ich mus Izcun nur erklären, wieso wir plötzlich ein Kind adoptiert haben."
Kaithryn atmete auf und umarmte sie. "Danke, Yodda."
"Ich danke die." Yodda bettete ihren Kopf gegen die Schulter ihrer Freundin.
"Wofür denn?"
Nun, dafür, dass Kat sich nicht vor einem Vampir fürchtete, obwohl sie wie alle in Lirhajn gelernt hatte, wozu diese Wesen fähig waren. Dafür, dass Kat alles tat, um Yoddas neues Unleben zu erleichtern. Dafür, dass sie ihre Freundin war. Selbst dafür, dass sie ihr mit einem verwaisten Meisenei eine neue Aufgabe gab.
Aber das konnte sie unmöglich alles in Worte fassen. Also drückte Yodda ihre Freundin noch einmal fest und begann dann, ein warmes Nest für das Ei zu basteln.
Kaithryn wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel und sah lächelnd auf das Vogelei. "Ich bin froh, dass wir wenigstens ein Meischen retten konnten."
"Ich auch."