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Nach dem Prompt „Mandarinente“ der Gruppe „Crikey!“
CN: Rassismus, Beziehungsprobleme
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"Oh, sieh dir nur diese Stoffe an", zwitscherte Louise und stürzte an den Stand, Matti mit sich ziehend.
Er legte den Arm um ihre Schultern. "Möchtest du einen?"
"Und die Gewürze!" Sie wand sich aus seiner Umarmung und rannte weiter. Matti folgte ihr mit einem stolzen Lächeln, sich der Blicke wohlbewusst, die seine aufgeregte Frau auf sich zog.
Seine Frau. Es fühlte sich immer noch ungewohnt an, so von ihr zu denken. Louise Krippston. Seine Angetraute.
Mit Rufen des Entzückens blieb sie vor einem Stand mit Silberwaren stehen. Selbstbewusst auf die prallgefüllte Börse klopfend, schlenderte Matti zu ihr herüber.
"Was willst du, meine Liebste? Sag nur ein Wort, und es soll Dein sein!"
Verliebt musterte sie die Gewürze und Duftstoffe aus aller Welt.
"Prachtenten! Dhubyanische Prachtenten! Einen schöneren Vogel habt ihr nie gesehen!"
Louise wirbelte zu dem Händler herum, dessen Ruf erklungen war. Ihre Augen weiteten sich. "Ohhh!"
Matti folgte ihr etwas widerstrebend zu dem Stand. In einigen Käfigen saßen die Vögel. Sie hatten ein braunes Gefieder und einen längeren Lidstrich, jedoch ... "So hübsch sind die nun auch wieder nicht."
"Sie befinden sich gerade im Ruhekleid", sagte der junge Händler. "Wartet ein paar Wochen, und euch wird der Atem stocken - oder ich will nicht Kerim Hastor heißen!"
Kerim war, den leicht spitzen Ohren nach zu urteilen, ein Halb- oder Viertelelf. Offenbar gehörten auch fremdländische Gene zu seinem komischen Mix, denn er hatte dunklere Haut und tiefbraune Locken.
"Diese Vögel gelten in Dhubayaana als Symbol der Treue zwischen zwei Liebenden", fuhr er fort.
Louise umfasste Mattis Arm. "Können wir so eine Ente holen? Bitte? Sie könnte im Garten leben, in einer hübschen Voliere ..."
Matti biss sich auf die Unterlippe. Das hatte er nun von seinem Versprechen, ihr ein unvergessliches Geschenk zu machen!
"Der Kerl belügt uns doch", zischte er ihr zu. "In ein paar Wochen, wenn wir merken, dass der Vogel sich nicht verändert, ist er längst über alle Berge!"
"Ich ziehe erst in drei Monaten zurück", warf Kerim ein. Er hatte Matti gehört oder die Zweifel erraten. "Wenn die Ente bis dahin nicht absolut atemberaubend aussieht, bringt sie zurück und ich gebe euch das Geld wieder!"
Matti verzog das Gesicht. Der Händler schien ihm verzweifelt zu sein. All seine Käfige waren auch noch gefüllt.
"Bitte, bitte, bitte!" Louise hängte sich an seinen Arm und zog die Schnute, bei der sie glaubte, dass sie sie unwiderstehlich mache.
Matti spürte die Blicke der Marktbesucher im Nacken. Louise veranstaltete aber auch ein Drama!
"In Ordnung", sagte er und griff nach dem Beutel. "Wie viel kostet das Tier?"
Er wäre beinahe in Ohnmacht gefallen, als er den Preis hörte.
⁂
Sie hatte es sich zu Angewohnheit gemacht, jeden Morgen in den Wintergarten zu treten. Sie liebte dieses Räumchen, obwohl Matti behauptete, er wäre ihm zu eng. Louise mochte die Gemütlichkeit zwischen all den Pflanzen. Die langen Flure, großen Hallen und Säle des Anwesens kamen ihr manchmal leer und einsam vor. All das Gold hatte sie bei ihren früheren Besuchen geblendet, aber je länger sie den Ring nun am Finger trug, desto einsamer fühlte sie sich in dem großen Herrenhaus.
Die letzten Tage waren absolut stressig gewesen. Matti war wieder dazu übergegangen, große Bälle zu geben, wie damals den celyvarischen Maskenball, auf dem sie sich in ihn verliebt hatte. Sie hätte nie gedacht, wie viel Arbeit es sei, Speisen, Kleider und Musiker für so ein Fest auszuwählen. Und trotzdem schien Matti von ihrer Leistung enttäuscht zu sein.
Für ihn war es so selbstverständlich wie zu atmen, stilvoll und angemessen aufzutreten, aber Louise fühlte sich mehr und mehr, als würde sie der Welt nur noch etwas vorspielen. Als könnte sie nicht mehr sie selbst sein.
Tief durchatmend trat sie nun in den engen Wintergarten, ihr geheimes Refugium. Sie betrachtete den Nebel über dem weitläufigen Rasen und blickte auch in die Voliere, wo der Vogel saß, um den sich ihre Bediensteten gekümmert hatten.
Ihr stockte der Atem, ganz wie Kerim Hastor es vorausgesagt hatte. Der Erpel sah ganz anders aus! Ein rötlicher Streifen auf dem Kopf, ein prächtiger, brauner Hals, weiße Flecken, grünschillernde Flecken auf den Flügeln, schwarz-weiße Ringe, ein schneeweißer Bauch ...
Louise starrte den Vogel einen Moment an, dann drehte sie sich um und rannte aus dem Wintergarten und in die Eingangshalle. "Matti?" Sie folgte der geschwungenen, flachen Treppe hinauf und eilte atemlos in den Wohnflügel. Er war sicherlich noch nicht aufgestanden, er war kein Frühaufsteher, überlegte sie. Deshalb schlief er oft in dem großen Zweitschlafzimmer, weiter weg vom Trubel, ungestört. Sie stürmte in sein Zimmer.
"Matti, ich muss dir unbedingt was zeigen! Ich ..."
Ihr stockte zum zweiten Mal der Atem, wenn auch aus einem anderen Grund.
⁂
Karim betrachtete mit einem mulmigen Gefühl seinen Karren. Er hatte noch zwei Enten, nachdem in den letzten Tagen dann doch noch einige der hübschen Tiere an den Mann gegangen waren. Momentan waren sie der Hingucker, den er sich erhofft hatte. Niemand in Lirhajn hatte solche Vögel schon einmal gesehen, jeder wollte einen haben.
Der Erlös hatte gerade für den Schuldenberg gereicht, der in den letzten Wochen stetig angewachsen war. Nun hatte er nur noch eine schmale Kasse von einigen hundert Silber, um neue Waren zu kaufen. Er war zwar schuldenfrei, aber auch arm.
Diese dummen Vögel! Als sie während der Reise plötzlich unspektakulär braun geworden waren, hatte er es für einen Scherz eines der dhubyanischen Götter gehalten. Er hatte alles in die Ziervögel investiert und wäre damit beinahe gescheitert. Bis sich die Enten im Verlauf einiger Tage 'zurückverwandelt' hatten, hatte er geglaubt, einem dämonischen Streich aufgesessen zu sein.
Doch nun waren die Enten wieder so, wie sie sein sollten. Es hatte knapp gereicht, um ihn von der Last der Schulden seines Großvaters zu befreien - endlich, nach so vielen Jahren! Es war erschreckend, wie viele Schulden ein Elf im Laufe der Jahrhunderte so ansammeln konnte.
Nun durfte er nur dieses wenige Silber nicht verlieren, denn das war alles, was er besaß. Er würde es in neue Waren investieren müssen, drüben in Dhubayaana ...
Er sah auf, als er eine Gestalt bemerkte, die zielstrebig auf ihn zuhielt. Es war eine junge, blonde Frau. Er erkannte sie sofort. Sie war diejenige gewesen, die den ersten Vogel gekauft hatte!
Auch jetzt trug sie einen Käfig in der Hand. Darin saß die Ente.
Kerim sank das Herz. Das sah aus, als wollte sie den Vogel umtauschen. Das konnte er sich nicht leisten!
"Du warst doch der Entenhändler, nicht wahr?", fragte sie ihn mit harter Stimme.
Sollte er abstreiten? "J-ja ..."
"Du hast gelogen. Der Vogel funktioniert nicht."
Kerim sah sich die Ente an. "Aber ... er ist doch prächtig anzusehen!" War sie vielleicht blind?
Sie musterte seinen Stand. War das Hass in ihrem Blick? Kerim verstand sie nicht.
"Du reist heute noch ab?"
"Ja, ich ... möchte wieder nach Dhubayaana reisen. Über Sermowa und Casta." Warum erzählte er ihr das? Das würde sie auch nicht überzeugen, den Vogel zu behalten.
Die Menschenfrau stellte den Käfig zu den anderen Enten und schnallte ihn ungefragt fest.
Kerim kämpfte verzweifelt gegen die Tränen, während ihm seine Freude der letzten Tage durch den Kopf ging. Er hatte sich selbst wie eine Ente gefühlt - eine freie Ente, im Himmel - als die Last der Schulden endlich von ihm genommen worden war. Doch nun sollte sein Glück nach einer kurzen Woche vorbei sein. Verdammt! Er könnte die Frau vielleicht auszahlen, aber dann besaß er nichts mehr, um neue Waren zu kaufen. Oder einen Wohnsitz in Lirhajn. Oder Essen. Er würde seinen Karren verschachern müssen, und dann wäre alles vorbei. Der Gedanke schnürte ihm die Kehle zu.
"Wie viel Uhr?", fragte die Frau.
"Ähh ... wie, bitte?"
"Um wie viel Uhr fährst du?"
"Am Mittag, wenn mein Pferd ausgeruht ist." Er könnte den guten, alten Bandur verkaufen. Der hatte zwar ein paar Jahre auf dem Buckel, aber vielleicht würde ein Bauer ihm dafür ein paar Kupferlinge geben. Bandur würde es auf einem Hof doch gefallen, trotz der schweren Pflugarbeit ... oder?
Die Frau drückte ihm eine pralle Geldbörse in die Hand. Verschwommen erinnerte sich Kerim, daraus das Geld für die erste Ente erhalten zu haben. Es war die Geldbörse von diesem Fürsten, ihrem Ehemann. Die Leute hatten viel über die Hochzeit geredet.
"Wie weit nimmst du mich dafür mit?", fragte sie ihn.
Kerim war sprachlos. Was ging hier vor? War das ein Test? "Ähh ..."
"Dhubayaana wäre schön, aber mir ist vielleicht auch schon Sermowa recht", redete sie weiter. "Ich würde mich schon irgendwie nach Dhubayaana durchschlagen. Dem kleinen Rotschopf dort wird es in seiner Heimat sicherlich gefallen, und ich möchte mir jenes wundersame Land ansehen, wo die Männer ihren Frauen treu sind."
Seine Gedanken arbeiteten langsamer als sonst. "Ihr wollt ... du willst die Ente nicht zurückgeben?"
"Auf keinen Fall." Die Frau schüttelte den Kopf. "Ich komme mit dir. Kerim war dein Name, richtig?"
Er nickte, noch immer wie betäubt.
"Nenn mich Lou." Sie reichte ihm die Hand und lächelte schief. "Und wir sollten vielleicht eine halbe Stunde eher los, wenn es dir passt. Bevor mein Mann begreift, dass nicht nur ich, sondern auch sein Geld weg ist. Er wird nämlich nur einem von beidem nachjagen ..."
Während er die Hand der Frau schüttelte, konnte Kerim ihren Blick endlich deuten. Der Hass galt nicht ihm und verbarg Verletzlichkeit, Angst, Trauer. Er grinste. "Alles klar. Ich hole das Pferd, dann können wir los."