Zwei Jahre zuvor…
"Yeah, yeah, geil! Das klingt doch genial, oder? Hört euch doch mal die Gitarrenarbeit an, absolut hammermäßig! Ich sag euch, wenn diese alten Herren auf der Bühne stehen, dann treten ausnahmslos alle anderen Bands auf der Welt immer noch freiwillig einen Schritt zurück!"
Danny war begeistert. Er war gerade mit seinem Vater Dietmar und seinem Kumpel Martin auf dem Weg zur Deutschen Biathlon-Meisterschaft in Altenberg. Alle Drei waren große Fans diese Sports, sie schauten sich jedes Rennen an und immer, wenn es ging, verfolgten sie ihn auch live vor Ort. Da Altenberg nicht allzu weit von ihrer Heimatstadt lag, fuhren sie eigentlich immer, wenn eine Biathlon-Veranstaltung war, dorthin.
Dafür nahm Danny sich Zeit, obwohl er viel um die Ohren hatte. Aber im Herbst und Winter hielt er sich so viele Wochenenden wie möglich frei, um seinen geliebten Biathlon-Sport zu verfolgen. Natürlich nahm er zu solchen Tagesausfahrten seine Gitarre nicht mit, aber sobald sie etwas länger unterwegs waren und irgendwo übernachteten, hatte er sie immer dabei und klimperte bei jeder Gelegenheit darauf herum. Aber ohne Musik hören ging es auch heute nicht...
"Hört sich gut an!", bestätigte Dietmar, obwohl er sich sonst eigentlich nicht für Heavy Metal interessierte.
"Finde ich auch!", meinte auch Martin, der auf dem Rücksitz von Dietmar's SUV saß, "Hätte gar nicht gedacht, dass IRON MAIDEN immer noch so geile Mucke machen!"
"Aber sag mal.", änderte er das Thema, "Welche Nationen sind denn dieses Jahr überhaupt als Gast dabei?"
Zur Deutschen Meisterschaft war es nämlich üblich, dass auch Sportler aus anderen Ländern als Gast eingeladen wurden. Ihre Ergebnisse wurden zwar nicht gewertet, waren aber ein guter Gradmesser für die Form der deutschen Biathleten, weil sie in direktem Wettbewerb mit Athleten aus anderen Nationen standen.
"Österreich, Polen, Kasachstan und die USA glaub ich.", antwortete Dietmar.
"Aha, cool!"
An der Altenberger Biathlon-Arena angekommen, suchten sie sich einen Platz auf der Tribüne, von wo aus man den Startbereich gut sehen konnte. Es war ein trüber Vormittag, aber es regnete nicht und es war auch nur wenig Wind. Heute standen die Sprints der Damen und Herren an, morgen dann die dazugehörigen Verfolgungs-Rennen. Dieses Jahr waren zuerst die Herren dran und dann am Nachmittag die Damen.
Sie verfolgten das Herren-Rennen von der Tribüne aus, feuerten an, applaudierten, ärgerten sich, wenn Schüsse daneben gingen und genossen das Rennen.
Danach gab es eine Pause. Danny und Martin gingen zu einem der Imbiss-Stände, die sich hinter dem Besucherzentrum befanden. Wer das Altenberger Biathlon-Stadion kannte, wusste, dass es hier sehr gemütlich zuging. Weiter hinter den Ständen verlief gleich die Strecke, von wo aus man die Sportler hautnah anfeuern konnte. Zäune oder so etwas gab es nur wenige.
Es konnte auch passieren, dass man hier dem einen oder anderen Athleten über den Weg lief, weil diese sich auch manchmal im Imbiss-Bereich aufhielten und sich sogar in der Nähe erwärmten. Es war alles sehr familiär hier!
Danny hatte sich gerade ein Bier geholt. Als er sich umdrehte, stieß er aus Versehen mit einer jungen Frau zusammen. Den Sponsoren-Logos auf ihrem Stirnband und ihrer Jacke nach zu urteilen, war es eine Sportlerin. Leider schwappte etwas von dem Bier auf ihre Jacke.
"Oh, Verzeihung!", sagte er erschrocken, "Jetzt habe ich ihre Jacke versaut! Kann ich irgendwas helfen? Soll ich es ihnen abwischen?"
"Nein, nicht notwendig. Das trocknet wieder!", antwortete die junge Frau und lächelte ihn an. "War doch meine eigene Schuld, ich habe nicht aufgepasst!"
Sie sah wirklich sehr hübsch aus, hatte lange, blonde Haare, tiefblaue Augen und ein bezauberndes Lächeln.
"Die sieht ja richtig süß aus!", meinte Martin, als sie wieder gegangen war. "Wer ist denn das?"
"Keine Ahnung! Ich hab sie noch nie vorher gesehen. Der Kleidung nach ist es aber eine Österreicherin.", antwortete Danny.
"Lass uns mal in die Startliste gucken!"
"Gute Idee! Mal sehen, wie viele Damen aus Österreich hier dabei sind."
Sie falteten den Zettel auseinander und lasen sich die Liste durch.
"Hier!", sagte Martin dann, "Vier Österreicherinnen sind dabei. Die Zwei hier kenne ich, die waren schon mal im Weltcup dabei. Aber diese beiden Namen hier sagen mir nichts: Theresa Mayr und Nicole Stadler! Na wenn das mal keine Österreicherinnen sind.", grinste er, "Typisch alpenländische Namen!"
"Dann muss es eine von den Beiden sein!"
"Weißt du genau, wie die anderen Beiden aussehen?"
"Nein. Aber kein Problem! Weißt du was? Wir gucken beim Start einfach ganz genau hin, irgendwann wird sie schon dran sein und werde ich sie erkennen. Dann schauen wir auf ihre Startnummer und vergleichen sie mit der Liste, uns schon wissen wir, wie sie heißt!"
"Gute Idee! Das machen wir so!"
Gesagt, getan. SIe schauten sich beim Start alle Mädels genau an, vor allem die aus Österreich. Eine nach der Anderen nahm ihr Rennen auf, und dann, mit Startnummer 73, war es soweit!
"Da ist sie!", rief Danny, "Hier! Nicole Stadler heißt sie!"
"Sehr gut! Hab ich mir schon fast gedacht!"
"Komm, die feuern wir jetzt an!"
"Wie jetzt?"
"Wir gehen hinten an die Strecke und feuern sie an! Bist du dabei?"
"Klar!"
Danny redete noch kurz mit seinem Vater, aber der wollte lieber auf der Tribüne bleiben, weil man von da aus den Schießstand besser sehen konnte.
Also gingen sie an die Strecke und feuerten ihre Nicole an, obwohl sie gar keine Deutsche war! Und das Rennen lief gar nicht mal so schlecht für sie, sie erreichte einen beachtlichen zehnten Platz!
"Schießen kann die richtig gut!", meinte Martin, "Bloß bisschen schneller müsste sie sein, dann könnte sie auch gewinnen!"
"Ja, kann sein. Mal sehen, wie es morgen im Verfolger läuft."
Am nächsten Tag lief es noch besser, Nicole leistete sich bei vier Schießeinlagen nur einen Fehler und erreichte einen phantastischen sechsten Platz! Wieder standen die zwei Jungs an de Strecke und feuerten sie brüllend an. Warum, das wussten sie selber nicht so genau, es machte ihnen einfach Spaß! Und man musste doch nicht immer nur die deutschen Sportler anfeuern, oder?
Nicole auf der Strecke bildete sich ein, dass sie einmal ihren Namen gehört hätte, aber diese Stimme waren nicht die von einem ihrer Trainer oder Betreuer, das klang irgendwie sächsisch! Aber sie war so fokussiert, dass sie es kaum wahrnahm und nicht weiter darüber nachdachte. Den Zusammenstoß mit dem jungen Mann am Tag zuvor hatte sie längst vergessen...
"Was war denn das für eine Aktion mit der kleinen Österreicherin?", fragte Dietmar auf der Heimfahrt.
"Danny hatte gestern nen kleinen Unfall mit ihr.", antwortete Martin und grinste in dessen Richtung, "Und jetzt ist er total verliebt und riesiger Fan von ihr!"
"So ein Quatsch!", rief Danny zurück und tat so, als würde er seinem Kumpel Eine klatschen. "Aber ich bin tatsächlich mit ihr zusammengestoßen und hab ihr mein Bier über geschüttet. Seit dem interessiere ich mich halt etwas für sie. Also, als Sportlerin, nicht als Frau! Das ist doch manchmal so bei Sportlern, da gibt es einen Auslöser, eine bestimmte Begebenheit oder man findet eine Gemeinsamkeit, zum Beispiel dass man am gleichen Tag Geburtstag hat oder so. Oder man findet sie nur vom Aussehen gut oder deren Namen. Und schon fängt man, sich für sie oder ihn zu interessieren und man wird Fan!"
"Echt? Ist das bei euch so?", fragte Dietmar, "Sucht ihr euch eure Idole wirklich nach dem Aussehen oder dem Namen aus? So ein Blödsinn!"
"Nicht nur danach, aber ich kann das bestätigen, bei mir ist es genauso.", sagte Martin, "Ich bin zum Beispiel Fan der schwedischen Skifahrerin Frida Hansdotter, nur weil sie gut aussieht und einen lustigen Namen hat, wie ich finde. Die slowakische Biathletin Jana Gerekova fand ich auch mal gut, nur weil mir der Name gefallen hat!"
"Also, ich such mir die Sportler nicht nach dem Aussehen aus!", meinte Danny's Vater, "Sondern aus welchem Land sie kommen. Oder was sie ihrer Karriere schon geleistet haben! Nicht irgendwelche Nachwuchskräfte, die noch nie etwas geleistet haben! "
"Geleistet haben die auch was!", erwiderte Danny, "Denn wahrscheinlich werden es mindestens 99,9 % der Menschen es nicht schaffen, an einer Deutschen Meisterschaft teilzunehmen!"
"Da hast du auch wieder recht.", stimmte sein Vater zu.
"Aber mit den Nationen seh ich das ähnlich! Neben den Deutschen finde ich nämlich erstmal grundsätzlich fast alle Sportler gut, die aus Slowenien kommen! Ich finde es Wahnsinn, wie viele großartige Sportler dieses kleine Land schon herausgebracht hat! Dabei haben die grad mal drei Millionen Einwohner oder so, weniger als Berlin!"
"Stimmt!", meinten die anderen Beiden.
Zuhause angekommen, recherchierte Danny etwas im Internet, ob er mehr über diese Nicole Stadler herausfinden konnte. Viel fand er nicht, nur das offizielle Sportler-Portrait auf der Seite des Österreichischen Skiverbandes und der Internationalen Biathlon-Union, sowie eine Facebook-Seite, auf der aber nur ein paar Trainings-Fotos gepostet waren. Er erfuhr lediglich, dass sie 21 Jahre alt war und irgendwo im Salzburger Land lebte. Naja, egal, vielleicht wird es sie ja irgendwann mal im Weltcup laufen und er würde mehr über sie erfahren...