Siebeneinhalb Jahre später...
"Und jetzt diesen Finger dorthin, und den Finger da drauf...und das so, und schon spielst du ein 'A' ! Sehr gut!
...und jetzt ein 'C' ! Prima!...weiter so mein Sohn!"
Nicole stand auf der Terrasse ihres Hauses und beobachtete ihre Jungs. Ihr Mann Danny war mit ihren gemeinsamen Sohn Ole Chuck im Garten und brachte ihm das Gitarrespielen bei.
Wie der Vater, so der Sohn!, dachte sie.
Wie es aussah, hatte der Kleine wirklich etwas von Danny's Talent geerbt. Vielleicht würde er auch irgendwann einmal ein großartiger Musiker werden.
Ole Chuck Teichmann - was für ein Name! Aber das hatte alles seine Richtigkeit so, denn Nicole und Danny hatten ihr erstes Kind nach zwei ihrer größten Idole benannt. Ole stand natürlich für den ehemaligen norwegischen Biathlon-Superstar Ole Einar Björndalen, dem wahrscheinlich besten Biathleten aller Zeiten. Er war damals einer von Nicole's ganz großen Vorbildern gewesen. Und Chuck stand für Chuck Schuldiner, dem legendären Bandchef, Songwriter, Gitarristen und Sänger von DEATH, der 2001 tragischerweise an einem Gehirntumor verstorben war. Er wiederum war einer von Danny's großen Idolen.
Mittlerweile war der Kleine bereits fünf Jahre alt.
Nicole blickte zurück. Bald neun Jahre war ihr schwerer Unfall jetzt her. Der Unfall, der ihr ganzes Leben von einem Moment auf den Anderen komplett gedreht hatte. Vorher gab es für sie zehn Jahre fast nichts Anderes als Biathlon und plötzlich musste sie mit völlig anderen Herausforderungen kämpfen. Sachen, die vorher völlig selbstverständlich waren, wurden auf einmal zur Tagesaufgabe.
Aber sie war sich auch ganz sicher, ohne diesen Unfall hätte sie nicht ihr privates Glück gefunden, zumindest nicht so schnell und nicht auf diese Weise!
Es war schon alles richtig so...
Nachdem sie damals einigermaßen von den Unfallfolgen genesen war, hatte sie eine Ausbildung zur Rechtsanwaltsfachangestellten in einer Dresdner Kanzlei begonnen. Ein paar Monate später hatten Danny und Nicole Nägel mit Köpfen gemacht und Anfang Januar, auf den Tag genau zwei Jahre, nachdem er damals zu ihr in die Salzburger Reha-Klinik aufgebrochen war, geheiratet.
Ihre Ausbildung musste sie dann zwischendurch für ein Jahr unterbrechen, weil sie Anfang des zweiten Lehrjahres schwanger geworden war. Es war nicht wirklich geplant, aber es war halt passiert und Danny und sie freuten sich sehr auf ihr erstes Kind. Später setzte sie ihre Lehre fort und machte einen guten Abschluss.
Kurz darauf ist die ganze Familie nach Bayern umgezogen, denn sie hatten sich ein Haus am Chiemsee gekauft. Vorher hatten sie die ganze Zeit noch mit im Haus von Danny's Eltern gewohnt. Aber sie hatten sich für das Chiemgau entschieden, weil es ihnen dort so gut gefiel, weil es nicht weit zum Wohnort von Nicole's Mutter war und weil auch die Leute, mit denen Danny jetzt regelmäßig Musik machte, nicht allzu weit entfernt lebten.
Jetzt arbeitete Nicole in einer Rosenheimer Anwaltskanzlei und hatte in den letzten Jahren in der Volkshochschule ihr Abitur nachgeholt. Und sie hatte noch weitere Pläne...
Danny arbeitete weiterhin Teilzeit als Physiotherapeut. Fachkräftemangel gab es ja überall und er hatte auch in Bayern kein Problem gehabt, Arbeit zu finden. Von der Musik leben konnte er immer noch nicht, aber das machte ihm nichts aus, denn er machte seinen Beruf ja nach wie vor sehr gerne. Seinen Anteil an der Firma mit seinem Großcousin Ralf hatte er verständlicherweise aufgegeben, aber auch das fand er nicht so schlimm, denn seit er Familie hatte, hatte er sowieso keine Lust mehr, jedes Wochenende unterwegs zu sein.
Dafür hatte er jetzt Musiker gefunden, mit denen er Proben, Jammen, Platten aufnehmen und hin und wieder mal einen Live-Auftritt absolvieren konnte. Sie lebten verstreut in ganz Bayern, trafen sich aber regelmäßig in Landshut, München oder Rosenheim. Sogar bei ihm zuhause ist die ganze Truppe schon gewesen, denn auch hier hatte er sich ein Musikzimmer und ein kleines Studio eingerichtet.
Nachdem er damals vor siebeneinhalb Jahren den Anruf von Stephan Klammer erhalten hatte, war er ein paar Wochen später nach Nürnberg gefahren und hatte sich im Studio von Hansi Bachmann mit ein paar Musikern getroffen. Die Chemie hatte sofort gestimmt, es passte alles und so konnte Danny einige Zeit später sein erstes richtiges Studio-Album aufnehmen.
Der einzige Nachteil, dass sie jetzt in Bayern lebten, war der, dass sie Danny's Eltern und ihren Kumpel Martin nicht mehr so oft sahen. Martin hatte inzwischen auch eine Familie gegründet und sie waren weiterhin gut befreundet.
Wer weiß, ohne Martin's Schnapsideen wären Nicole und Danny vielleicht nie zusammen gekommen? Die beiden Familien trafen sich, so oft es nur irgendwie ging. Wenn sie Urlaub hatten, fuhren sie in die Heimat nach Sachsen oder Martin kam mit seiner Familie zu ihnen an den Chiemsee.
Auch Dietmar und Bärbel kamen so oft zu Besuch, wie es ihnen nur möglich war. Oftmals kamen sie nur für ein Wochenende, aber manchmal verbrachten sie auch eine ganze Woche oder länger bei Ihnen.
Nicole streichelte ihren Bauch. Er war schon wieder ganz schön dick, denn im Herbst erwarteten sie ihr zweites Kind. Diesmal würde es ein Mädchen werden, das wussten sie schon! Einen Namen hatte sie auch schon - Darya würde sie heißen! Natürlich auch benannt nach einer von Nicole's damaligen Vorbildern, nämlich der ehemaligen weißrussischen Biathletin Darya Domracheva.
Sie freuten sich sehr auf ihr zweites Kind, Nicole war so stolz auf ihre kleine Familie und sie liebte Danny noch genau so wie am ersten Tag!
Aber sie hatte wie gesagt noch weitere Pläne, denn nach der Elternzeit hatte sie sich fest vorgenommen, ein Jura-Studium zu beginnen. Nicole wollte selber Rechtsanwältin werden. Das war ihr nächstes, ganz großes Ziel!
"Na Schatz, worüber denkst du denn nach?"
Nicole war so in Gedanken gewesen, dass sie gar nicht gemerkt hatte, dass Danny und ihr Sohn die kleine Musikstunde beendet hatten und ebenfalls auf die Terrasse gekommen waren.
"Ich habe gerade dran gedacht, wie schnell doch die Zeit vergeht. Unser Sohn ist schon fünf! Und ist dir bewusst, dass es im September schon elf Jahre her ist, als wir uns zum ersten Mal begegnet sind? Du weißt schon, damals in Altenberg, die Sache mit dem Bier."
"Oh ja, die Zeit vergeht, ich weiß!", entgegnete Danny. "Wir sind jetzt auch schon seit achteinhalb Jahren zusammen und seit mittlerweile sechseinhalb Jahren verheiratet! Da können wir nichts ändern, da geht's den Menschen wie den Leuten!"
"Recht hast du! Aber diese achteinhalb Jahre waren bis jetzt definitiv die Schönsten meines Lebens!"
"Mama, Papa, ich gehe rein, ein bisschen spielen.", krähte der kleine Ole und verschwand im Haus.
"Ist gut mein Schatz!", rief Nicole ihm hinterher.
Jetzt umarmte Danny seine Frau von hinten und streichelte sanft über ihren Bauch. Gemeinsam blickten sie schweigend über den Chiemsee, der sich direkt hinter ihrem Grundstück erstreckte.
"Es ist so wunderschön hier!", flüsterte er. "Besser hätten wir es gar nicht treffen können!"
"Ja!", sagte Nicole. "Aber es ist nicht so wunderbar wie ihr. Ihr seid mein größtes Glück! Und bald sind wir zu viert..."