Die Zeit war schneller verstrichen, als Anna es erwartet hatte. Und jetzt, kaum schien sie sich von Lukas getrennt zu haben, stand sie direkt vor der Bühne und erwartete mit hunderten Fans den Auftritt der Pagans. Man hatte ihr den Licht- und Bühnenmeister vorgestellt und nachdem sie einige Fachsimpeleien über die geplante Beleuchtung ausgetauscht hatten, bekam sie ihr kleines Schildchen, dass sie als 'staff' auswies und mit dem sie problemlos bis zum Bühnenrand gelangte.
Ein oder zwei Fans hinter der Absperrung hatten gemurrt. Doch das kannte sie schon. Und als sie ihr Stativ so platzierte, dass es die Sicht kaum beeinträchtigte, war Ruhe hinter ihr eingekehrt. Inzwischen hatte sie die Lichtverhältnisse gründlich ausgemessen und auch eine Reihe Testfotos gemacht.
»Na? Alles soweit klar bei dir?« Franz war heran gekommen und betrachtete den Bühnenaufbau. »Nicht so spektakulär wie bei den Corvidae, oder?«
Anna zuckte mit den Schultern. »Die Bühne allein macht ´s noch nicht. Wenn sie auch nur annähernd so gut sind, wie es ihre YouTube -Videos versprechen, haben wir einen interessanten Abend vor uns.«
Franz lachte. »Und wenn Lukas so gut singt, wie er küsst …« Der Journalist klopfte seiner entsetzt dreinschauenden Freundin auf die Schulter. »Ich wollte dir nicht nachspionieren. Jonas hat mir den Tonmeister vorgestellt. Dabei haben wir euch gesehen …« Er streichelte Anna beruhigend über den Rücken. »Du bist erwachsen, Anna, und ich bin mir sicher, dass du weißt, was du machst. Außerdem hast du schon viel zu lang nicht mehr mit einem Mann geflirtet …« Er zwinkerte ihr zu. »Sei halt vorsichtig und lass dir nicht weh tun!«
Anna schnaufte ertappt. »Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist … Ich bin sonst gar nicht so … und schon gar nicht direkt beim Kennenlernen! Ich glaube, Stefan habe ich erst nach dem vierten Date geküsst … Und Lukas …«
Wieder schnaufte Anna verlegen und Franz verzog sein Gesicht zu einem Grinsen. Dieser Lukas Mauren hatte seine Fotografin ja wirklich völlig durcheinandergebracht. Gut für Anna! Ein bisschen Aufwind konnte sie wirklich gebrauchen. Er würde schon ein Auge darauf haben, dass der Musiker sie nicht für ein Spielchen benutzte.
»Genies es einfach, Anna. Man kann sich nicht aussuchen, in wen man sich verliebt und wann. Ob es nun eine Konzertbühne ist oder ein stinkendes Dritte-Welt-Lazarett, wenn es passiert, dann musst du es einfach akzeptieren oder ablehnen. Lass es eben auf dich zu kommen!«
Zu diesen guten Ratschlägen verlegen nickend, versteckte sich Anna erst einmal hinter ihrem Sucher, und auch Franz ließ das Thema auf sich beruhen.
Die Zeit war nun vorangeschritten und hinter ihnen begann das Publikum, seine Idole auf die Bühne zu jubeln. ›Pagans! Pagans!‹ - Rufe wurden laut und ein immer wieder aufflammendes Klatschkonzert heizte die Stimmung weiter an. Dann ging das bisher relativ helle Licht der Bühne in ein geheimnisvolles Blau über, das Anna einen Seufzer der Begeisterung entlockte und ein langgezogener Ton eines Horns oder einer tiefen Flöte ließ das Jubeln der Fans schlagartig verstummen. Eine junge Frau in einem langen, wallenden Gewand betrat die Bühne. Sarah verbeugte sich leicht und nahm dann auf einem Hocker rechts vor Anna Platz. Zarte Töne eines Daumenklaviers in ihren Händen zauberten eine magische Stimmung. Dann betrat ein zweiter Musiker das Podest und der Beifall brandete erneut auf. Jonas, nun nur noch martialisch in Fell und Leder gekleidet, die keltischen Tattoos offen an den Armen tragend, entlockte seiner Geige eine ganze Salve schneller, hoher Töne und sofort erkannte auch Anna eine alte bretonische Weise. Die Heidenpartie hatte begonnen.
Nach Jonas folgten zunächst der Schlagzeuger Tom, den alle wegen seiner abstehenden Ohren Faun nannten und der Pianist der Gruppe – Torsten, der sich allerdings on stage Damon nannte. Luca betrat die Bühne als Letzter, eine einfache Schalmei an den Lippen. Der hohe, eindringliche Klang des alten Instruments lockte wohl jedem auf dem Platz eine Gänsehaut über den Rücken, Anna eingeschlossen. Ähnlich wie Jonas trug auch er Fell und Leder und Anna ertappte sich selber, wie sie den Mann ungläubig anstarrte. Mit jenem Lukas Mauren, der mit ihr den Nachmittag verbracht hatte, schien der Musiker nun kaum noch Ähnlichkeit zu haben.
Das Haar fiel ihm wild offen über die Schultern, die dunklen Augen waren durch das Bühnen-Make-Up kräftig betont und dort, wo bei Jonas die Keltentattoos die Blicke auf sich zogen, trug er bronzene Oberarmringe, die sich matt von seiner Haut abhoben.
Der tosende Applaus der Fans ebbte ab und die Pagans fanden sich nun ernsthaft zu einem ersten Stück zusammen. Die Musik war fantasievoll, eigenwillig und dennoch stilsicherer Folk. Anna verfolgte Lukas' Spiel vollkommen versunken und erst, als Franz ihr in der Pause zum nächsten Lied einen freundschaftlichen Schubs gab, kehrte sie in die reale Welt zurück.
Lukas hatte Anna seinerseits schon beim Betreten der Bühne mit den Augen gesucht und ihre offensichtliche Bewunderung mit einigem Erstaunen beobachtet. Er war es gewohnt, dass Jonas die volle Anerkennung und Begeisterung der Fans traf, und so war es für ihn ein seltsames Gefühl, derartig im Mittelpunkt der Betrachtung zu stehen. Doch er wollte Annas Faszination gar nicht analysieren. Er genoss einfach dieses offensichtliche Kompliment von ihr.
Später, als sie hinter ihrer Kamera verschwand und begann, den Abend im Bild festzuhalten, hatte er ausreichend Gelegenheit, sie erneut bei ihrer Arbeit zu beobachten. Wieder fiel ihm auf, mit wie viel Sorgfalt sie die Szenen aufnahm, die sich ihr boten.
Ohne die Fans mehr als nötig zu stören, streifte sie vor der Bühne hin und her und Lukas war gespannt, was sie wohl von seinen Mitstreitern und ihm festhalten würde.
Anna hingegen gelang es weniger gut als sonst, sich auf ihre Bilder zu konzentrieren. Für das zweite Stück, einen bretonischen Tanz, hatte Luca zum Dudelsack gegriffen, und sie ließ sich immer wieder von den Klängen ablenken und in Bann ziehen.
Dann, als die Gruppe ein Lied mit Gesang vortrug, stellte Anna die Kamera zunächst an die Seite, um das Konzert zu genießen. Jonas und Sarah lieferten gemeinsam ein kleines mehrstimmiges Kunstwerk ab. Doch viel mehr als der wirklich großartige Gesang der beiden faszinierte Anna erneut Luca, der mit einem schönen Bariton den Hintergrund des Liedes abrundete. Ihr war ja schon am Nachmittag aufgefallen, dass seine Stimme einen ausgesprochen angenehmen Klang hatte, doch das war viel eindrucksvoller, fast schon erotisch.
Spätestens jetzt war es Anna endgültig klar: Sie hatte sich in Lukas Mauren verliebt. Dazu waren keine großen Worte oder Gesten nötig gewesen, ja, sie kannte ihn noch nicht einmal richtig. Es waren einfach seine Person und seine unverfälschte Art, die sie für ihn einnahmen.
Hätte irgendwer Anna erzählt, dass es Liebe auf den ersten Blick gab und dass sie, gerade sie, sich derartig Hals über Kopf verlieben würde, sie hätte gelacht und das Ganze als Blödsinn abgetan. Doch nun stand sie hier wie ein schwärmerischer Backfisch und konnte ihre Augen nicht von Luca losreißen. Franz aber, der beide genau beobachtete, sah, dass es auch dem Musiker nicht viel anders erging.
Hiermit möchte ich meine kleine Leseprobe beenden.
Wer mag, kann den Link zum käuflichen Ebook auf meiner Homepage finden:
http://www.sophie-andrae.de/pagans.html
Ich wünsche euch viel Spaß beim Schmökern!
Eure Sophie