Du bist Elred Aramys Nuvian.
„Lasst uns lieber keine unnötige Aufmerksamkeit auf uns ziehen“, murmelst du. „Wir sind keine Schauspieler oder Zauberkünstler.“
Die beiden Frauen gucken enttäuscht. Sie haben sich sehr auf diese alberne Idee gefreut, das sieht du ihnen an. Glücklicherweise hat sich die Vernunft durchgesetzt, die beiden zusammen sind unmöglich.
„Dann sollten wir uns überlegen, wie wir möglichst unauffällig an den Stein kommen“, beginnt Brenna konzentriert.
„Ich dachte an eine Art Angel“, schlägst du vor. „Ein langer, möglichst dünner Faden mit einem Haken. Der Obsidianspiegel ist nicht nennenswert befestigt. Wenn wir also eine gute Position über der Bühne erreichen, können wir den Stein einhaken und nach oben ziehen!“
Die beiden anderen nicken.
Karja kann euch sogar noch mehr verraten: „Es gibt mehrere Balkone über der Position. Wir sollten vielleicht einen der höheren nehmen, auch wenn wir den Stein dann weiter hoch ziehen müssen. So sind wir aber weniger von Wachen umzingelt.“
Ihr plant noch eine Weile weiter, dann trennt ihr euch, um alles zu besorgen.
°°°
Als du an das steinerne Geländer trittst, kriegst du mit einem Mal Zweifel daran, dass das alles so eine gute Idee war. Die schwindelerregende Tiefe vor dir bedeutet einen langen Sturz. Das Geländer überragt deine Knie kaum – es ist ja auch für Zwerge geschaffen. Mit einem mulmigen Gefühl im Magen gehst du in die Knie.
Karja und Brenna halten zu deinen Seiten Wache. Hier oben sind nur noch wenige Leute unterwegs. Ihr habt die Wohngebiete der Zwergenstadt unter euch gelassen und befindet euch nun auf höheren Trassen, wo vornehmlich Tiere untergestellt sind. Schafe und Widder, Hühner und rattenähnliche Höhlenwesen, die in vergitterten Höhlen leben oder – weiter oben – durch Tunnel in geschützte Täler zum Weiden können.
Die Tiere werden zwar auch verpflegt, aber trotzdem sind hier nur wenige Zwerge unterwegs. Außer den Pflegern kommen nur Fackelträger vorbei, die die vielen Laternen des Bergreichs am Brennen halten. Doch der letzte ist gerade gegangen, ihr habt Zeit. So gesehen hat Karja die Stelle gut ausgewählt. Was nun den eigentlichen Plan angeht …
Du lässt den langen Faden vorsichtig herab. Der Haken an seinem Ende glitzert leicht im Feuerschein, trotzdem scheint niemand ihn zu bemerken. Du schiebst die Zunge in den Mundwinkel, als der kleine Haken tief unter dir in die Nähe des Obsidianspiegels kommt.
Jetzt müsst ihr hoffen, dass keine Wache sich umdreht. Dir bricht der Schweiß aus, während du versuchst, an der goldenen Kette, die den Obsidianspiegel hält, einen Widerstand zu finden. Der Stein ist tief unten, selbst mit deinen Elfenaugen erkennst du kaum, was du da tust. Hinzu kommt die Übelkeit wegen des Abgrunds, an dem du kniest. Wenn du etwas zu weit nach vorne kippst, wäre es um dich geschehen!
Endlich kippelt der schwarze Stein unter dir leicht, als du am Seil ziehst. Du bist eingehakt! Erleichtert ziehst du und der Obsidianspiegel gleitet hinauf, wobei er sich am Faden zu drehen beginnt.
Hand um Hand ziehst du das Seil wieder ein, so hastig wie möglich, allerdings versuchst du, nicht zu schnell vorzugehen. Du weißt nicht, wie sicher der Haken ist, und möchtest nicht, dass der Schöpferstein sich löst und fällt.
„Hey!“, brüllt eine tiefe Stimme, dass es in der Höhle widerhallt. „Der Stein ist weg!“
Aufgeregte Rufe schallen von unten herauf. Du ziehst schneller.
„Da, da hängt er!“, schreien andere Stimmen. Eure Beute wurde gesehen! Inzwischen reißt du den Faden ohne jede Rücksicht herauf. Brenna kniet neben dir und hilft.
„Diebe!“ Hörner erklingen. „Dort oben!“
Endlich kommt der Obsidianspiegel in Sicht. In deinen Ohren dröhnt das Hämmern der vielen Füße, die zu euch heraufrennen. Mit ausgestrecktem Arm ergreifst du den Stein, lässt Haken und Faden fallen und rennst los. Karja ist bereits ein Stück vor euch. Sie läuft in einen Tunnel, der zwischen den steinernen Ställen hindurchführt.
Am Ende des Tunnels siehst du Licht, als du der Piratin und Brenna folgst. Ihr stürmt an einem erschrockenen Stallburschen vorbei, einem jungen Zwerg, der die Arme voller Heu hat, und hinaus in ein enges Tal mit steilen Berghängen. Ziegen flüchten meckernd über die dürren Wiesen.
„Da vorne!“, ruft Brenna und deutet auf eine Leiter, die wohl zu einem alten Wachturm hinaufführt. Ihr hetzt darauf zu und fliegt nacheinander die Leiter hinauf, dann duckt ihr euch hinter die Brustwehr, die ebenfalls für Zwerge ausgelegt ist, und lauscht angespannt. Ihr macht eure Waffen leise bereit: Du Pfeil und Bogen, Brenna ihre Säbel, Karja das Entermesser.
Atemlos liegt ihr auf den kalten Steinen. Die Luft ist eisig kalt und von Eiskristallen durchsetzt. Dennoch zwitschert ein Vogel.
Mit gerunzelter Stirn siehst du auf. Tatsächlich, es ist deine Amsel, die unverhofft aufgetaucht ist. Der schwarze Vogel hüpft über die steinerne Brustwehr und sieht dich mit schiefgelegtem Kopf an.
„Hast du eine Nachricht für uns?“ Du lächelst. Das weise Tier hat euch sogar hier gefunden! Allerdings scheint der Wachturm unter anderem einen Taubenschlag zu beherbergen, in der runden Säule in der Mitte, die mehrere Öffnungen aufweist. Deine Amsel ist offenbar den anderen Botenvögeln gefolgt.
Nun hüpft sie zu dir. Der Brief an ihrem Bein ist noch versiegelt. Du öffnest das Röllchen und lässt das Papier herausfallen.
„Sie schreiben uns eher als sonst“, bemerkt Brenna. „Ist alles in Ordnung?“
Du überfliegst die Zeilen. „Sie haben den Stein! Allerdings … der Selenit gibt ihnen Zukunftsvisionen. Sie sagen, dass dein Leben in Gefahr ist.“ Besorgt siehst du Brenna an. „Hier steht, dass du in Barkan’dor sterben wirst! Um das zu verhindern, sollen wir auf keinen Fall auf einen Wachturm klettern.“
Brenna ist bei deinen Worten blass geworden. Karja sogar noch blasser. „Sie können doch nicht diesen …“
Sie wird unterbrochen, als eine kindliche Stimme erklingt. „Da sind sie rausgerannt.“
Du unterdrückst einen Fluch. Der Stallbursche hat die Zwerge hergeführt, die euch suchen! Du hättest ihm die Kehle aufschlitzen sollen!
Über den Rand der Brustwehr beobachtest du, wie ein gutes Hundert bewaffneter Zwerge sich auf der Weide verteilt und umsieht. Ihr Blick fällt rasch auf den Turm und du ziehst den Kopf ein.
„Dort oben! Da sind sie!“
„Scheiße …“
Armbrustbolzen pfeifen herauf und prallen von den Wänden des Taubenschlags ab. Einige dringen durch die Höhlen ein, die Vögel fliehen unter panischem Gurren. Eine verletzte Taube landet neben dir: Ihr Flügel wurde getroffen. So sehr sie auch in ihrer Panik flattert, sie kommt nicht weg. Blut verteilt sich über das silbergraue Gefieder.
„Bringt Holz und Öl.“
Karja wird blass. „Sie machen ein Feuer!“
Du versuchst, über die Brustwehr zu schießen, doch der Widerstand ist zwecklos. Du hast nicht einmal genug Pfeile für alle Zwerge. Während Armbrustschützen sie decken, schafft der Rest Holz aus einem nahen Lager, gießt Öl darüber und bringt Fackeln. Sie werden euch einfach ausräuchern, ohne ihr Leben im direkten Kampf zu riskieren.
„Ich gehe runter“, sagt Brenna entschlossen. Sie hält ihre Säbel in beiden Händen. „Ich will nicht zusammengekauert als Feigling sterben! Wer kommt mit mir?“
Karja springt auf, ihren eigenen Säbel in der Hand. Beide nähern sich der Leiter, die hinaufführte. Du legst einen weiteren Pfeil auf die Sehne und trittst zu ihnen.
Ein Armbrustbolzen trifft Brenna in die Brust. Sie taumelt ein paar Schritte zurück, einen überraschten Ausdruck auf dem Gesicht. Umweht von den Rauchschwaden, die vom stetig wachsenden Feuer heraufdringen, dreht sie sich zu euch um. Ihr Blick sucht Karja.
„Aber …“, murmelt sie. Dann kippt sie nach hinten, vom Turm und in das Feuer des Scheiterhaufens. Ihr streckt die Hände aus, doch ihr könnt sie nicht mehr fassen. Der beißende Rauch lässt eure Sicht auf Brennas Sturz verschwimmen, Hitze peitscht euch entgegen.
„Neeeiiin!“, schreit Karja auf, ein Laut, der schon nicht mehr menschlich klingt. Sie springt nach vorne, ehe du sie aufhalten kannst, ohne Rücksicht auf den Sturz, und wirft sich mit gezücktem Entermesser auf die Zwerge unter sich. Dann vernebelt dir der dichte Rauch die Sicht.
Dies ist kein Canon-Ende, deswegen gibt es hier keine Fortsetzung.
Um das Canon-Ende für Elreds Teil der Geschichte zu erreichen, musst du dich für die Aufführung entscheiden.
Vielen Dank fürs Lesen und viel Spaß beim Weiterspielen!