Du bist Karja Sturmvogel.
Nach einer ganzen Weile bewegst du dich schließlich. Euch hier draußen den Arsch abzufrieren und die ewig gleichen Fragen zu wiederholen, bringt euch auch nicht weiter. Ihr würdet nur hier stehen, bis die Zwerge euch schließlich finden.
Du wendest dich den Höhlen wieder zu. Dort wärt ihr immerhin vor dem schneidenden Wind geschützt. Fröstelnd trittst du an das Kohlenbecken, in dem das Feuer noch tanzt, und beginnst, die Fackeln einzusammeln.
Elred und Brenna kommen zu dir.
„Karja … Eine Frage.“ Der Elf tritt neben dich. „Dieser Drache …“
Du seufzt. Eine weitere Quelle von Fragen, auf die ihr keine Antwort habt. „Ja?“
„Könnte das eine Art Magie der Zwerge sein? Ich weiß, das klingt merkwürdig, aber … Ich glaube nicht länger, dass der Drache real war. Vielleicht sind wir einem alten Schutzmechanismus begegnet. Die Tunnel hier sind verlassen, wovon sollte so eine Bestie leben? Also … ist das etwas, was die Zwerge beherrschen?“
Du schüttelst den Kopf. Elreds Gedanke ist gut. Eine Art Illusion wäre eine Erklärung für das rätselhafte Verschwinden des Drachens. Doch nach allem, was du über die Zwerge weißt, haben sie mit Magie wenig zu tun. Das sagst du auch Elred. „Sie sind Handwerker, mehr nicht. Zwergenmagier sind äußerst selten. Ihre Kunstfertigkeit erinnert zwar manchmal an Magie, aber das ist auch wirklich alles.“
„Hm.“ Der Elf seufzt.
„Vielleicht ist es ein Zauber, der mechanisch ausgelöst werden konnte“, überlegst du. „Dann haben sie ihn womöglich gekauft … aber der wäre teuer. Warum sollten sie ihn in einem vergessenen Minenschacht zurücklassen? Das ergibt keinen Sinn.“
„Vielleicht hast du recht“, gesteht Elred dir zu.
Der Elf hat seine Amsel wieder nach draußen in die Wildnis entlassen, jedoch noch keine Nachricht mit dem Vogel übermittelt. So sollte die Amsel in eurer Nähe bleiben. Von eurer momentanen Notlage müsst ihr euren Verbündeten ja nichts erzählen. Sie brauchen nicht zu wissen, welchen Mist ihr gebaut habt.
Nicht, bevor ihr alles geklärt habt oder bei dem Versuch gestorben seid.
Inzwischen brennt die erste Fackel wieder und ihr macht euch an die erste Aufgabe eurer Liste, die ebenso aussichtslos ist wie alles andere: Ihr müsst den Weg zurück finden.
Mutlos beginnt ihr den Weg in die labyrinthischen Gänge. Ihr markiert euch die Wege mit einem Stück Kohle, sodass ihr euch nicht zu sehr verlaufen könnt, und sucht die Tunnel systematisch ab. Noch immer seid ihr erschöpft von der Flucht, die euch viel abverlangt hat. Nach einer Weile tun euch allen die Füße weh, doch ihr trottet weiter. Unter der Erde ist es schwierig, zu bestimmen, welche Tageszeit ist. Somit habt ihr beschlossen, einfach eine Weile zu suchen. Das Verlangen, sich einfach auszustrecken und zu schlafen, wird jedoch größer.
Du wirst allerdings schlagartig hellwach, als Elred den Finger auf die Lippen legt. Wenig später hörst auch du es: Stimmen.
Ihr tauscht einen Blick und schleicht vorwärts. Du senkst die Fackel. Zwar möchtest du nicht, dass sie erlischt – ihr habt keine Möglichkeit, sie neu zu entzünden und wärt in der Dunkelheit gefangen –, aber die Redenden sollten euch auch nicht bemerken.
Es sind Zwerge, das wird ziemlich schnell offensichtlich. Kein anderes Volk hat so dröhnende Stimmen. Was zu eurem Vorteil ist, denn so müsst ihr nicht besonders nah an sie heran.
„Es kann doch nicht so schwer sein, drei Fremde einzufangen, die sich hier nicht auskennen“, grollt einer der Zwerge zornig.
„Sie werden sich verirren und verhungern“, antwortet ein anderer. „Nich‘ mehr unser Problem.“
„Denkt ihr, die restlichen Schöpfersteine haben sie durch Glück erbeutet?“ Der erste Sprecher schnauft vernehmlich. „Diese Gruppe hat Spione. Vielleicht sind noch mehr von ihnen in der Stadt. Es sollten ja sechs sein. So oder so, wir können das nicht dem Zufall überlassen. Sie sind zu gefährlich. Also sucht weiter!“
Neben dir grinst Brenna mit einem Mal breit.
„Was?“, flüsterst du.
„Das ist unser Weg hier raus“, erklärt sie euch in gedämpftem Tonfall. „Wir folgen ihnen in sicherem Abstand. Irgendwann müssen sie zurück zur Stadt.“
Du hättest beinahe laut gelacht. Die Sorge der Zwerge ist ihr Untergang! Oder jedenfalls euer Weg zurück in die Zivilisation.
„Das könnte klappen“, sagt auch Elred schmunzelnd. „Wir müssen nur sehr vorsichtig sein.“
„Aber das ist es ja! Wir können ihren Stimmen folgen, ohne dass sie uns bemerken.“
„Unser Glück, dass Zwerge ständig so einen Lärm machen müssen!“
°°°
Ihr befolgt den einmal gefassten Plan. Einige Male wird es knapp, da sich die Zwerge aufteilen und ihr nicht immer wisst, wo noch Nachzügler aus den Gängen kommen könnten. Brenna hält den Imperial bereit, um notfalls einzugreifen, doch ihr könnt euch jedes Mal noch rechtzeitig hinter eine Ecke werfen und der Entdeckung entgehen.
Schließlich bringt euch der Suchtrupp nach vielen Stunden auf direktem Wege zurück ins Herz von Barkan’dor. Sobald ihr die Stadt hören könnt, biegt ihr ab, denn ihr könnt natürlich nicht einfach hineinmarschieren. Momentan seid ihr fast am Boden der zylindrischen Höhle, in der auch eure Bühne liegt. So nah an eurem Ziel, doch es könnten auch tausend Meilen sein, denn dort oben gibt es viel zu viele Wachen.
„Und wir sollten generell vorsichtig sein“, fügt Brenna hinzu. „Sie wussten, dass wir in dem Gebiet dort unten waren! Ich weiß nicht, ob wir Spuren hinterlassen haben. Eigentlich eben nicht. Woher wussten sie dann, wo sie uns suchen mussten?“
„Du hast recht“, gibst du zu. Darüber hattest du noch gar nicht nachgedacht. „Das würde für die Theorie sprechen, dass wir über ein altes Alarmsystem gestolpert sind.“
Wenigstens das liegt jetzt hinter euch. Wenn der Drache wirklich nur Teil eines Zaubers war, gibt es nur eine Erklärung dafür, warum etwas so Wertvolles in den verlassenen Minen war: Er ist fest in das Gestein eingebaut und ließ sich nicht entfernen. Selbst als Falle für euch wäre so ein Zauber zu kostbar und selten!
„Es gibt ein Kanalsystem“, sagst du, als der Suchtrupp abgezogen ist. Inzwischen seid ihr auf eurer letzten Fackel.
„Ein Kanalsystem?“ Elred versteht sichtlich nicht, worauf du hinauswillst.
„Um in die Stadt zu kommen!“
Der Elf verzieht das Gesicht. „Auf keinen Fall!“
„Dort wird uns aber garantiert niemand suchen“, wirft Brenna ein.
„Eben.“ Du nickst. „Außerdem ist der andere Weg auch nicht viel besser.“
„Lass ihn mich wenigstens hören!“
„Es gibt kleine Aufzüge, mit denen das Gestein nach oben zu den Schmieden gebracht wird. Wir könnten uns sicherlich hineinschmuggeln, aber es besteht die Möglichkeit, dass wir von Goldbrocken erschlagen werden. Außerdem würden wir, wenn wir falsch abspringen, entweder mitten zwischen den zwergischen Handwerkern oder direkt in den glühenden Hochöfen der Schmelze herauskommen.“
Brenna und Elred schweigen einen Moment.
„Kann ich die andere Option nochmal hören?“
„Die Kanalisation von Barkan’dor ist ziemlich bekannt. Das System verläuft im Stein auf allen Ebenen. Es gibt Verbindungen, durch die wir bis nach oben klettern können. Ausgänge hat die Kanalisation überall, sodass wir sicherlich einen Ort in der Nähe der Trophäen finden. Und bei den Ställen, um unsere Tiere zu finden …“
„Klar. Wir würden nur komplett nach Scheiße stinken.“ Elred seufzt. „Oder vielleicht zwischendurch in der Scheiße ertrinken. Und kriegen wir die Abflüsse oben überhaupt auf? So, wie ich die Zwerge einschätze, sind die fest verschlossen.“
Darüber weißt du leider nichts. Es wäre gut möglich, dass sich die Kanalisation als Sackgasse herausstellt. Als eine gefährliche Sackgasse mit algenbesetzten Wänden, buchstäblich mörderischem Gestank und eisigem Wasser. Ihr könnt ertrinken, erfrieren oder abrutschen und euch den Hals brechen.
Aber ob der Erzaufzug so viel besser ist? Dort könntet ihr euch verraten oder ein höllisches Ende finden, doch es gibt eine Chance, sicher abzuspringen, wenn ihr die richtige Stelle abpasst. Dann wärt ihr in der Maschinerie oben in Sicherheit …
Ihr diskutiert lange und wählt schließlich …
- … die Kanalisation. Lies weiter in Kapitel 20.
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- … den Aufzug. Lies weiter in Kapitel 21.