Staunend schaute ich umher. Hier würde eine Kathedrale hineinpassen! Wie tief wir wohl unter der Stadt sein mochten?
Am anderen Ende der Höhle befand sich eine hohe Wand, die den gesamten hinteren Teil ausmachte. Sie war mit eigenartigen Schnitzereien und Schriftzeichen versehen, die ich nicht erkennen konnte. Eine steinerne Treppe mit zwölf Stufen führte zu ihr empor, zu deren Seiten es schroff in einen ungewissen Abgrund abfiel. Penny stürmte direkt los und blieb mit in die Seiten gestemmten Armen vor der Treppe stehen, zur Wand hochsehend. Sie wirkte begeistert.
Ich machte einen Schritt nach vorne. Dabei wäre ich fast auf einer schwarzen Schmiererei ausgerutscht und sicherlich hingefallen, hätte Nighton mich nicht zum wiederholten Male mit seinem Schraubstockgriff im allerletzten Moment davor bewahrt. Er warf mir einen Du-Tollpatsch!-Blick zu. Entschuldigend hob ich die Schultern an, ehe ich auf den Schleim zu meinen Füßen blickte und angewidert das Gesicht verzog. Was war denn das? Die Pampe klebte an meinen Turnschuhen und sah aus wie eine Mischung aus Kaugummi und Igel.
»Was ist das?«
»Blut. Ich schätze, von den Arbeitern«, antwortete Nighton schlicht, ließ mich los und steuerte auf Penny zu. Dabei ließ er wachsam den Blick durch die Höhle schweifen, als rechnete er jederzeit mit einer Falle oder Gegnern, die uns angreifen könnten.
Ein Seufzer entwich mir, ehe ich mich runterbeugte und Freddie aufheben wollte, der wie gebannt in Richtiung Penny starrte. Doch sobald ich ihn berührte, kullerte er drauf los, laut quietschend und auf die Treppe zuhaltend. Ich sah die Fellkugel schon in den Abgrund rollen, also rief ich lauthals: »Oh nein, nein, nein, nein, haltet ihn auf!« Die Höhle verstärkte den Klang meiner Stimme noch. Nighton, der schon bei der Wand stand und sich gerade vorgebeugt hatte, raufte sich die Haare und fauchte mit unterdrückter Stimme: »Sei sofort still, verflucht!«
Erschrocken legte ich mir beide Hände auf den Mund und lauschte in den Gang hinter mir.
Nichts. Aufatmend suchte ich mit meinen Augen den Boden ab, ehe ich Freddie ausmachen konnte. Schleifendrehend rollte der an Penny vorbei. Nighton knurrte etwas Unverständliches, trat von der Wand zurück und versuchte tatsächlich, den Quimchay einzufangen, aber das kleine Wesen entwischte ihm, hüpfte an ihm vorbei und rollte auf die Wand zu, durch die es einfach hindurchschlüpfte.
Für einen Moment war ich so baff, dass ich vergaß, mich so sorgen. Wie war Freddie durch den massiven Stein gekommen, der doch laut Fineas versiegelt war?
Nighton und Penny schienen sich genau dasselbe zu fragen. Da wanderte Nightons Blick zu mir und blieb auf mir haften. Ich sah fragend zurück. Der nachdenkliche Blick seiner verengten Augen gefiel mir nicht. Er betrachtete mich, dann winkte er mich heran.
Unsicher schaute ich zwischen ihm und Penny hin und her, die nun ihrerseits die Schultern hochzog und ebenso drauf zu warten schien wie ich, dass Nighton sich erklärte.
Etwas unsicher lief ich auf die beiden zu, erklomm die Treppe und blieb vor Nighton stehen, hinter dessen Stirn ich es arbeiten sehen konnte. Er ergriff mich an den Schultern und parkte mich wie ein Fahrrad vor der Wand, ging zwei Schritte zurück, verschränkte die Arme und schaute mich erwartungsvoll an, als würde er auf ein Kunststück warten.
Nicht nur ich starrte Nighton nun perplex an. Auch Penny hatte die Stirn in Falten gezogen. Keine von uns hatte eine Idee, was das sollte.
»Nighton?«, begann sie, aber der gab ein paar abwehrende Zischlaute von sich und wedelte mit der Hand, ohne den Blick von mir zu nehmen. Pennys Fragezeichen wuchs, so wie meines. Schließlich erbarmte Nighton sich, zeigte auf die Wand und meinte mit einer Mischung aus Anspannung und erwartungsvoller Aufregung: »Freddie ist durch die Wand verschwunden. Ich finde, du solltest ihn wiederholen.«
Ich war verblüfft. Wer war dieser Mann und wo hatte er den echten Nighton gelassen?
»Wie, ich? Die Wand ist versiegelt, dachte ich!«
Ich erhielt keine Antwort, nur einen auffordernden Blick.
Also drehte ich mich um, sah auf die stabil wirkende Mauer vor mir und dachte an Freddie. Wie war er da durchgekommen? Und warum sollte ausgerechnet ich gegen die Wand laufen? Ja, war ich denn hier in einem gewissen Zaubererbuch?
Besorgt äußerte ich: »Was ist, wenn ich nicht wieder durch die Wand zurückkomme?«
»Wirst du. Ich habe den Mechanismus der Wand durchschaut, da bin ich mir verdammt sicher. Ein alter, aber durchschaubarer Spruch liegt auf ihr. Ich würde es dir demonstrieren, aber ich glaube, von uns kommst nur du dort durch, also versuch es.«
Ich schnappte nach Luft. »Und wenn da unbeseelte Dämonen warten?! Hey, wenn das hier eine verspätete Lektion in Sachen-«
»Wenn es gefährlich wäre, würde ich dich wohl kaum vorschicken. Da sind keine Dämonen, versprochen, geh schon!«, fiel Nighton mir ungeduldig ins Wort. Also schloss ich den Mund. Na gut. Fein! Dann würde ich mich halt opfern!
Ganz fest presste ich die Augen zu und wankte auf die Wand zu, jederzeit damit rechnend, dass meine Schuhspitzen gegen den Stein stießen. Aber nichts dergleichen geschah. Stattdessen überkam mich das Gefühl, durch zähen Pudding zu laufen, wie schon vorhin bei der Kuppel. Nur war das hier... anders. Dann streifte mich ein eiskalter Windstoß, der mir den Atem raubte. Ich riss die Augen auf und starrte nach unten in einen unendlich tiefen, schwarzen Abgrund, der sich vor meinen Füßen auftat. Sofort stolperte ich zurück.
Der schmale Felsweg, auf dem ich rausgekommen war, maß kaum mehr als einen Meter. Er war stellenweise rissig und ausgehöhlt, was mein Gefühl von Unsicherheit verstärkte, als ob der Boden unter mir jeden Moment nachgeben könnte. Hinter mir befand sich die kalte, raue Wand, vor mir gähnte die unheilvolle Tiefe. Die Schatten in den Ecken der Höhle schienen sich zu bewegen, als ob die Wände selbst lebendig wären und beobachteten, wer hier vorüberging. Mir wurde schnell bewusst, diese Höhle war anders als die zuvor. Sie war kreisrund, und ein Pfad wand sich spiralförmig entlang der Wand nach unten. Das Licht war schwach und gedämpft; alle zwanzig Meter waren in die Wände kleine, leuchtende Steine eingelassen, die ihre Umgebung nur dürftig erhellten. Feiner Staub schwebte in der Luft, tanzte in den schwachen Lichtkegeln und verstärkte meinen Eindruck, dass dieser Ort alt, vielleicht sogar vergessen war, obwohl er vor Aktivität nur so wimmelte. Hinzu kam ein merkwürdiger Sog, der alle paar Sekunden die Höhle zu erfüllen schien. Es wirkte, als würde meine Umgebung selbst atmen – ein langsames, tiefes Ein- und Ausatmen, das die Luft erfüllte und einen Hauch von Panik in mir aufkeimen ließ. Doch was meine Aufmerksamkeit vollständig in ihren Bann zog, war der Anblick in der Mitte der Höhle.
Dort, an massiven Eisenketten hängend, schwebte ein hausgroßer, blassgrüner Edelstein in der Luft, als wäre er das Herz dieser unterirdischen Welt. Die Ketten, dick wie Baumstämme, spannten sich unter der Last des gigantischen Kristalls, und trotzdem hing er bedrohlich still. Das leise Klirren der Ketten hallte in der Stille wider, ein unheimliches Echo, das sich mit den dumpfen Schlägen der Spitzhacken vermischte. Rings um den Stein waren zahlreiche, wackelige Gerüste aufgebaut, die jeden Moment unter ihrem eigenen Gewicht zusammenzubrechen schienen.
Überall wuselten Wesen umher, die in emsiger Hektik den Edelstein bearbeiteten. Ich sah beseelte und unbeseelte Geschöpfe, sowohl Engel als auch Dämonen. Ihre Gesichter waren von Schmutz und Schweiß verkrustet. Sogar Kinder entdeckte ich, doch ob es Menschenkinder waren, konnte ich nicht sagen. Sie alle wurden von grobschlächtigen, stierähnlichen Dämonenmonstern angetrieben, die mit wachsamen Augen die Gerüste und Brücken patrouillierten. Ihre Präsenz war einschüchternd, bedrohlich, als hätten sie die Aufgabe, jeden Fluchtversuch gnadenlos zu vereiteln.
Hin und wieder durchbrach ihr unheimliches Brüllen die wortlose Stille, während der massive Edelstein in der Mitte der Höhle in einem kalten, grünen Glanz erstrahlte.
»Ach du Scheiße«, ächzte ich, als mir klar wurde, was das da für eine gewaltige Menge an Yagransin war.
Und wo war jetzt Freddie?
Ein kleiner Stupser an meinem Knöchel ließ mich nach unten sehen. Zu meinen Füßen kauerte der Quimchay und glupschte mich aus seinen Äuglein an. Ich seufzte und hob ihn auf.
»Toll gemacht«, grummelte ich und ließ Freddie in meine Umhangtasche gleiten. Dann schloss ich die Augen und ging rückwärts wieder durch die Wand zurück. Bloß weg hier.
Auf der anderen Seite empfingen mich Penny und Nighton.
»Es hat geklappt! Hast du was erkennen können?« Aufgeregt schaute Nighton mich an. Ich atmete tief ein, ehe ich runterratterte, was ich gesehen hatte. In Nightons Gesicht stand der Schock geschrieben, und auch Penny wirkte entsetzt.
»Das ist schlimmer, als ich gedacht habe!«, stöhnte Nighton und fing angespannt an, auf- und abzugehen. Penny indes legte eine Hand an die Wand und drückte.
»Ich würde es ja gern selbst sehen, nur wie kommen wir da durch?«, wollte sie wissen und strich nun auch mit der anderen Hand über den Stein, der unter ihrer Berührung jedoch nicht nachgab.
»Ist nicht schwer. Sieh mal.« Nighton trat auf die Wand zu und legte nun selbst eine Hand an sie. Kurz schloss er die Augen, dann rutschte seine Hand ein wenig in die Mauer hinein. Er öffnete die Augen und betrachtete sein gerade noch sichtbares Handgelenk.
»Das ist so einfach, dass es schon wieder schlau ist«, behauptete er und fügte erklärend hinzu, als Penny nur bei der Wiederholung des Wortes 'einfach' mit den Augen rollte: »Jeder, der die Absicht hat, sie zu durchschreiten, um zu dem Yagransin zu gelangen, scheitert. Aber Freddie ist bloß ein Quimchay ohne irgendwelche Absichten. Und du, Jennifer, du hattest die Absicht ihn wiederzuholen, und deswegen hat die Wand dich durchgelassen.«
Was für eine dämliche Idee einer Versiegelung. Von wegen schlau!
»Ich find's beknackt«, äußerte ich meine Meinung gerade heraus. »Dann kann ja jeder durch. Das ist alles andere als ein guter Schutz.«
Nighton schüttelte den Kopf und widersprach: »Eben nicht. Weil keiner auf die Idee kommt, an etwas anderes zu denken als hier durch zu wollen.«
»Nein, das ist total besch...«
Pennys Kopf ruckte zum Höhleneingang. Ihre Augen veränderten sich schlagartig – tiefes Bernsteingelb flutete sie, und ich konnte beobachten, wie sie wuchs und wie ihre Tattoos pulsierend aufleuchteten. Auch Nighton horchte auf. Beide schienen etwas wahrzunehmen, das mir noch verborgen blieb.
Neugierig und zunehmend nervös blickte ich zwischen ihnen hin und her, und dann hörte auch ich es: ein seltsames Schleifen, als ob jemand einen schweren Karton über rauen Asphalt zog. Es schien von allen Seiten gleichzeitig zu kommen und wurde mit jedem Moment lauter.
»Was ist das?«, rief ich, während eine Welle der Angst in mir aufstieg. Nighton zog mich abrupt hinter sich, seine Arme beschützend ausgestreckt, während er mich rückwärts gegen die kalte Felswand drängte.
»Penny, komm her!«, forderte er sie angespannt auf. Im nächsten Augenblick stand Penny schon neben uns, in einer lauernden Haltung, und ihre Augen glühten vor Alarmbereitschaft. Eine Bewegung an der Höhlendecke zog meine Aufmerksamkeit nach oben. Ich packte Nightons Arm und zeigte darauf.
Aus dem Fels waren seltsame Gebilde hervorgekommen – sie sahen aus wie... Duschköpfe? Ein Zittern lief durch diese Dinger, die über die gesamte Decke verteilt waren, und ihr Auftreten brachte dieses unheimliche Schleifen mit sich. Nighton drehte sich langsam zu mir um, als hätte er begriffen, was uns bevorstand.
»Das ist eine Falle«, murmelte er mit dunkler Stimme.
Pennys Augen weiteten sich, ihre Stimme überschlug sich: »Eine Falle? Aber – wie...?«
Plötzlich begann es zu regnen. Eiskaltes Wasser prasselte in dichten Sturzbächen auf uns herab, setzte den Boden der Höhle binnen Sekunden unter Wasser. Ich trat ungläubig nach vorn, umrundete Nighton und blickte hoch in den unerbittlichen Regen, der mich innerhalb von Sekunden durchnässte. Der Umhang half da nicht viel. Mit dem Wasser kam ein seltsamer, stechender Geruch, der mir vertraut vorkam, doch ich konnte ihn nicht sofort einordnen.
»Das ist ja Wasser!«, rief ich erstaunt, doch ein erschrockener Ausruf von Penny ließ mich herumfahren. Nighton stand da, sein Körper zitterte heftig, und er krümmte sich unter Schmerzen. Sofort stürzte ich zu ihm und griff nach seinem Arm.
Seine Haut war übersät mit kleinen Wunden, die in Sekundenbruchteilen heilten, nur um sofort wieder aufzureißen. Ein schrecklicher Gedanke schoss mir durch den Kopf: Es war der Regen. Er war durchsetzt mit Yagransin. Ich erinnerte mich unwillkürlich an die Höllenschmerzen und schauderte. Wer auch immer sich so eine Konstruktion ausgedacht hatte - er hatte gewusst, dass wir kommen würden.
»Nighton, wir müssen hier raus, komm schon!« Meine Stimme war verzweifelt, doch Nighton reagierte nicht. Stattdessen sackte er vor meinen Augen zusammen, erst auf die Knie, dann auf alle Viere. Ein tiefes, gequältes Stöhnen entfuhr ihm, das mir durch Mark und Bein ging. Sein Körper zuckte heftig, während plötzlich ein gleißendes Licht durch seine Adern schoss, nur um sich wieder zurückzuziehen. Er versuchte, sich zu verwandeln, aber es gelang ihm nicht.
Ich ließ mich vor ihm auf die Knie fallen und packte sein Gesicht mit beiden Händen, in der Hoffnung, ihn irgendwie zu erreichen. »Sekeera!«, rief ich flehentlich.
Nightons Blick ruckte zu mir hoch, sein Atem schwer und schmerzverzerrt. Das sonst so lebendige Grün seiner Augen wich innerhalb weniger Augenblicke dem vertrauten Sturmgrau. Sekeera war da, aber auch sie schien zu kämpfen.
»Du musst ihn hier rausbringen! Sekeera, bitte!«, flehte ich, meine Stimme kaum mehr als ein verzweifeltes Flüstern.
»Kann... nicht!« Nightons Stimme war zweistimmig, ein unheimlicher Mix aus seiner und Sekeeras panischer, messerscharfer Stimme. Das Grau in seinen Augen flackerte bedrohlich, als ob sie im Angesicht des Yagransins bereits an ihre Grenzen stieß.
Plötzlich griff Nighton nach meinem Knöchel, seine Finger krallten sich in meine Haut, und sein Gesicht war eine Maske des Schmerzes. Es tat weh, doch ich ignorierte den Schmerz.
»Greif in meine Hosentasche!«, keuchte er, mit einer Stimme brüchig vor Qualen.
Doch ich war wie gelähmt, unfähig, mich zu rühren. Nighton so zu sehen, riss alte Wunden auf – Erinnerungen an den Tag, an dem der Speer ihn getroffen hatte, nicht mich.
»Nighton!« Pennys Stimme durchschnitt die angespannte Stille, ihre Augen weit vor Panik. »Wir kriegen gleich Gesellschaft!« Sie hielt sich die Hände schützend über den Kopf, während das bedrohliche Schleifen lauter wurde.
Nighton bäumte sich ein letztes Mal auf und seine Muskeln zitterten unter der Belastung, ehe der unbarmherzige Regen ihn niederzwang. »Nimm das Feuer, Penny, und schaff Jennifer hier raus!« Seine Stimme war ein raues Brüllen, verzweifelt, und ich konnte sehen, wie seine Flügel unter seiner Haut zuckten, als ob sie durchbrechen wollten, aber nicht konnten.
Ich schüttelte wild den Kopf. Tränen der Hilflosigkeit stiegen mir in die Augen, als ich verzweifelt versuchte, den Umhang über Nightons zuckenden Körper auszubreiten. Doch es war vergebens – das Wasser brannte sich weiter in seine Haut, zerschmetterte ihn mit jedem Tropfen etwas mehr.
»Ich gehe nicht weg!«, protestierte ich mit abbrechender Stimme. Es war mir egal, was da auf uns zukommen mochte! Ich - ich konnte doch nicht gehen, ihn nicht zurücklassen, was dachte er denn?! Doch Nighton stieß mich mit seiner letzten Kraft von sich. Sein Blick war flehend und unerbittlich zugleich.
»Lauf, sofort, du hast es... versprochen!« Seine Worte waren ein Befehl, und dann kippte er endgültig zur Seite, während sein Körper sich unter jedem einzelnen Tropfen wand, der ihn traf. Der Umhang bot ihm keinerlei Schutz, da er selsbt vollgesogen war. Ich musste mitansehen, wie sich seine Haut zu schälen begann und in blutige Fetzen auflöste. Ein unvorstellbares Grauen packte mich.
Penny nutzte den Moment und riss den Flakon mit dem flüssigen Feuer aus Nightons Hosentasche, da ich nur dasaß. Dann zerrte sie mich weg, weg von Nightons Seite, doch ich sträubte mich, konnte nicht fassen, was geschah.
»Lass mich!«, schrie ich und versuchte, mich aus ihrem Griff zu befreien. »Wir müssen ihn mitnehmen!«
Penny blickte mir unentschlossen ins Gesicht, und ich wusste, sie würde nachgeben, also packte ich Nightons rechtes Bein. Wir konnten ihn schließlich nicht einfach so liegen lassen!
»LOS!«
Da hörte der Regenfall auf. Einfach so. Entgeistert schaute ich hoch zu den Duschköpfen, die in die Decke zurückfuhren. Das Schleifen ertönte wieder. Ich sah hinab zu Nighton, den bereits die Ohnmacht ereilt hatte. Auf meinen Wangen spürte ich, wie sich meine Tränen mit dem Wasser vermischen. Auf einmal ertönte eine mir bekannte Stimme, die vom anderen Ende der Höhle herrührte. Ich musste mich nicht umdrehen, um zu wissen, wer das war.
»Na, wen haben wir denn da?«
Meine Hände krampften sich um Nightons Hosenbein.
Oh nein.
Penny ballte die Hände zu Fäusten.
»Riakeen!«, zischte sie und baute sich schützend vor mir und Nighton auf. Auch ich richtete mich nun auf, um Riakeen anzuschauen. Die Dämonin stand hinten beim Ausgang der Höhle. Ihre dunklen Augen glitzerten vor Triumph. Dorzar sah ich nirgendwo, was aber nicht hieß, dass er nicht auch hier war. Riakeen grinste.
»Hallo ihr drei. Kaum zu glauben. Als mein Bruder letzens vorschlug, die Höhle so zu präparieren, hielt ich ihn für verrückt - nun sieh mal an, was uns ins Netz gegangen ist.« Langsam und bedächtig, ihren langen Zopf in einer Hand, kam sie näher. Ihr Blick haftete sich auf Penny, die sie abschätzig musterte. »Du musst die kleine Überfliegerin sein, von der mein Bruder berichtet hat. Tritt beiseite, Jungengel, und dir widerfährt kein Leid. An dir bin ich nicht interessiert.« Ihr Blick richtete sich auf mich, und ein ungutes Gefühl breitete sich in mir aus. »Meine Herrin will sie.«
Ein Adrenalinschub durchzuckte mich. Sie brauchten mich, mein Blut, weil sie Asmodeus zurückholen wollten.
Mit zitternder Stimme rief ich zurück: »Ihr kriegt mich aber nicht!«
»Sprich nicht mit ihr, Jennifer!«, befahl Penny, aber ich ignorierte sie. Riakeen warf den Kopf in den Nacken und lachte schallend. Doch dann hörte sie abrupt auf.
»Niedlich, deine Weigerung. Aber ich mache dir die Entscheidung leicht: Komm her, oder ich lasse die da-« sie wies an die Decke, »-wieder einschalten, und du wirst zusehen müssen, wie dein geliebter Nighton vor deinen Füßen krepiert.«
Penny schoss in die Höhe, gänzlich in das beeindruckende Abbild ihres Engels transformiert.
»Du hast mich vergessen, du dämonische Bitch!«, rief sie aggressiv. An ihrem Rücken entfalteten sich mit einem Rauschen ihre gigantischen Flügel, mit denen sie mir fast einen Kinnhaken versetzt hätte. Es schien heller in der Höhle zu werden.
Riakeen hob verächtlich lachend eine Augenbraue.
»Scheint so«, zischte sie und machte einen Satz auf Penny zu, die mit einem mächtigen Satz an die Wand auswich und an ihr entlangkletterte. Lachend setzte Riakeen ihr nach. Penny stieß sich ab, griff in ihre Tasche und warf etwas in meine Richtung, was ich instinktiv auffing. Es war die Phiole mit dem Höllenfeuer!
»Lauf, Jen, ich halte sie auf!«, rief sie und flog auf Riakeen zu, die in dem Moment auf mich zu sprang.
Sofort wirbelte ich herum und rannte auf das Portal in die andere Höhle zu, doch kurz vor ihm hielt ich ein letztes Mal an und schaute verzweifelt zum reglosen Nighton. Ein Stich fuhr durch mein Herz, aber ich zwang mich zum Weitergehen. Ich hatte keine Wahl - nun lag es an mir. Ich hatte es versprochen. Aber ich würde den Teufel tun und ihn oder Penny dem Schicksal überlassen.
Ich wusste nur noch nicht, wie und ob ich das überhaupt schaffen würde. So ganz allein. Ich war doch bloß Jennifer! Bloß Jennifer...