Meine Beta-Leserin Chibi und ich haben uns zum Spaß für ein kleines Crossover entschieden, weil unsere Geschichten das identische Thema behandeln, also Engel, Dämonen und Hybride. Ich verwende in den nächsten ca. 7-8 Kapiteln manches aus ihrer Story bei mir, kratze aber natürlich nur an der Oberfläche von dem, was sie geschaffen hat. Für alle Interessierten, die mehr über das Universum ihrer Figuren wissen wollen, spreche ich an dieser Stelle eine Empfehlung für Chibis Geschichte 'Eren - Geheimnisse der Turanos' aus: https://belletristica.com/de/books/56199-eren-geheimnisse-der-turanos/chapter/318810-vorwort-und-gedons
Schaut gern mal bei ihr rein!
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Langsam öffnete ich die Augen. Ich blinzelte mehrmals und versuchte dabei, den Druck in meinem Kopf zu ignorieren. Alles tat mir weh, selbst das Atmen fühlte sich an, als hätte jemand meine Lunge in einen Schraubstock geklemmt. Stöhnend rollte ich mich auf die Seite.
Wo war ich?
Ich drehte den Kopf ein Stück, aber mein Blick blieb an der Decke hängen. Sie war weiß und makellos. Stirnrunzelnd durchforstete ich mein Gedächtnis, suchte nach einer Erklärung für alles. Erinnerungen stoben wie zerrissene Schatten durch meinen Kopf – ein weißer Lieferwagen, bewaffnete Männer, ein Tuch auf meinem Gesicht, dieser stechende Geruch...
Freitagabend.
Die Zwillinge.
Neumond.
Asmodeus.
Dorzars Drohung.
Meine Familie!
NEIN!
Panik schoss durch meinen Körper. Ich war nicht mehr im Lieferwagen. Ich war nicht mehr draußen auf der Straße. Ich war ganz woanders, und bestimmt sicher nicht da, wo ich hatte sein wollen. Nämlich in Harenstone.
Sofort zwang ich mich zum Aufstehen, aber meine Beine gaben überraschend unter mir nach. So krachte ich hart zurück auf den Boden. Ein Keuchen entwich meinen Lippen, als der Schmerz durch meine Knie fuhr.
Hektisch schaute ich umher. Die Wände waren glatt und metallisch, ohne Ecken, in denen sich Schatten verstecken konnten. Nicht mal eine Tür schien es zu geben. An einer Seite erstreckte sich eine makellose, bodenlange Glaswand. Dahinter lag ein Gang, auf dessen anderer Seite sich ein Raum befand, der ein Spiegelbild von diesem hier sein könnte. Er war leer.
Die folgende Erkenntnis kam wie ein Faustschlag – ich war eingesperrt.
Eingesperrt.
Das Wort wiederholte sich in meinem Kopf, wie ein Trommelschlag, lauter und lauter werdend, bis ich nichts anderes mehr hören konnte. Ich legte mir die Hände auf die Ohren, als könnte das etwas nützen. In der nächsten Sekunde fuhr ich mit den Händen über den Boden, doch ich fand nur kaltes Metall. Wo zur Hölle war ich? Und was hatte ich da an? Jemand hatte mich in eine Art grauen Trainingsanzug gesteckt. Er hatte ein paar orangefarbene Akzente, und auf den Armen sowie auf der Brust prangte eine Kennzeichnung, die aus den Buchstaben HS und einer Zahlenkombination bestand.
»Ist da jemand?«, flüsterte ich. Alles fühlte sich plötzlich so eng an, und die Wände schienen näher zu rücken. Kurzerhand rutschte ich über den Boden auf die Scheibe zu, gegen die ich zu klopfen und zu hämmern begann, so fest ich konnte. Sie wackelte nicht einmal.
»Hallo? Kann mich jemand hören? Lasst mich raus!«
Keine Antwort. Nichts. Nur mein eigener verzweifelter Atem, der von den Wänden zurückgeworfen wurde. Meine Panik wurde zur Verzweiflung. Ich musste doch zu den Zwillingen...
»Bitte«, flüsterte ich, meine Worte kaum mehr als ein Flehen. Tränen brannten in meinen Augen und liefen heiß und salzig über meine Wangen. Mein Kopf dröhnte. Ich schloss die Augen und versuchte trotzdem ruhig zu atmen, doch mein Herz pumpte so schnell, dass es mir die Luft abschnürte. Ich war gefangen. Und ich hatte keine Ahnung, wie ich hier herauskommen sollte. Ich presste die Stirn gegen das kühle Glas. Immer wieder stieß ich meinen Kopf leicht gegen die Scheibe, als könnte ich damit die Panik bändigen. Ich musste nachdenken, musste einen Weg finden, hier rauszukommen!
Plötzlich hörte ich ein gedämpftes Geräusch von draußen. Es waren Schritte, die sich näherten, Schwere Stiefel auf Metall und ein rhythmisches Klirren von Schlüsseln. Ich hob sofort den Kopf und spähte durch die Glaswand. Zwei Wachen, beide in gepanzerten Uniformen, schleppten jemanden zwischen sich her. Mein Herzschlag beschleunigte sich erneut, diesmal aus einer Mischung aus Angst und neugieriger Hoffnung. Wer auch immer das war, er schien genauso gefangen zu sein wie ich. Ein Mitgefangener, jemand, der vielleicht wusste, wo wir waren und was hier vorging! Jemand, der mir helfen könnte!
Doch der Zufall war drauf und dran, vorbeizukommen und mir mit schallender Wucht ins Gesicht zu schlagen. Ich kannte denjenigen, der sich mit einem trockenen Grinsen auf den gesprungenen Lippen durch den Gang karren ließ.
Es war Gil. Der Dämon aus Unterstadt. Sein einst wildes, dunkles Haar war zerzaust und hing ihm ins Gesicht, als hätte er seit Tagen keinen Kamm mehr gesehen. Blutige Kratzer zogen sich über seine bleiche Haut, und dunkle Flecken unter seinen Augen erzählten von einer harten Zeit. Seine auffallende Kleidung war verschwunden; stattdessen trug er denselben grauen Einteiler, den ich auch anhatte, mit denselben orangenen Farbakzenten und einer Nummer auf Brust und Armen. Um seinen Hals befand sich eine Art Metallbügel, wie ein Halsband, das einige blinkende Symbole besaß. Was es darstellen sollte, konnte ich nur erahnen.
Mit aufgerissenen Augen und zugleich ziemlich ungläubig verfolgte ich, wie die Wachen die Glaswand der gegenüberliegenden Zelle öffneten und Gil unsanft hineinwarfen. Er stolperte, fiel fast hin, fing sich aber im letzten Moment, indem er sich an der Wand abstützte. Dann ließ er sich schwer auf den Boden sinken, das Gesicht nach unten, als wollte er die Welt aussperren.
»Macht's gut, Jungs, war nett mit euch!«, rief er den Wachen atemlos und lachend zugleich hinterher, die wortlos die Glaswand schlossen, indem sie einen kleinen Kasten außerhalb der Zelle mit einer Schlüsselkarte berührten.
Ich starrte Gil an, unfähig, etwas zu sagen. Er war der Letzte, den ich hier erwartet hatte. Und jetzt war er hier. Mit mir. In dieser Hölle.
Sobald wir allein waren, rief ich seinen Namen. Er hob langsam den Kopf und blinzelte mich durch seine zerzausten Haare hindurch an. Für einen Moment sah es so aus, als würde er mich nicht erkennen. Dann aber weiteten sich seine Augen, und ein halb amüsiertes, halb fassungsloses Lächeln huschte über sein Gesicht.
»Also das glaube ich jetzt nicht.« Seine Stimme klang heiser, als hätte er tagelang geschrien oder geraucht – oder beides. »Jennifer? Bist du das wirklich? Wo kommst du denn plötzlich her? Oder hab ich mir den Kopf so hart angehauen, dass ich jetzt halluziniere?«
Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Auch wenn meine Lage aussichtslos zu sein schien, irgendwie beruhigte es mich, ein vertrautes Gesicht zu sehen.
»Gil, was machst du hier?«
Er schnaufte und rieb sich das Kinn, das mit frischen Blutergüssen übersät war. »Tja, schwierige Frage. Ich wollte nach meinem wortwörtlichen Hammerjob in Unterstadt Urlaub machen, und plötzlich lande ich in diesem Fünf-Sterne-Gefängnis. Komme gerade übrigens aus dem Spa-Bereich. Die haben's heute bisschen mit der schwedischen Massage übertrieben.«
Wie konnte er nur in einer Situation wie dieser Witze machen?
Eindringlich fragte ich, mich an die Scheibe pressend: »Im Ernst, wie bist du hierhergekommen? Hast du eine Ahnung, was das für ein Ort ist?«
Gil rieb sich mit schmerzverzerrter Miene den Nacken, bevor er grinste und antwortete: »Wie ich hergekommen bin? Ich dachte mir, 'Hey, lass uns ein bisschen Spaß haben, wie wäre es mit einem Ausflug in ein von Menschen erbautes Verlies?« Er schüttelte den Kopf, dann wurde sein Gesicht ernster. »Aber ernsthaft, ich weiß nicht, was das hier ist. Ein Labor oder so. Irgendwas Experimentelles. So ein Arschloch da draußen hat mich letzte Woche gefangen, das ist alles, was ich weiß.«
»Wer sind diese Leute?«, fragte ich, beide Hände flach auf das Glas legend. »Und was wollen sie von uns? Sind das alles Dämonen- und Engeljäger?«
Gil zuckte mit den Schultern und antwortete: »Keine Ahnung, wie die heißen, aber sie sind alle ziemlich... unfreundlich.«
Ich schluckte krampfhaft. »Wir müssen hier unbedingt raus! Irgendwie!«
Er sah mich an, sein übliches Grinsen war verschwunden, ersetzt durch etwas Dunkleres.
»Kein Witz, Menschenmädchen. Wir werden beobachtet. Abgehört. Die haben hier überall Kameras und Mikrofone. Sie sehen uns, und sie hören jedes Wort. Also, spar dir die Fluchtpläne. Das wird nichts.«
Ich zog die Schultern hoch und verkrampfte umgehend, als ich das hörte. »Woher weißt du das?«, flüsterte ich, jetzt noch leiser.
»Weil ich nicht blind bin«, seufzte er und deutete in eine der oberen Ecken seiner Zelle. »Und weil ich schon ein paar Mal mit diesen Leuten zu tun hatte. Sie spielen nicht fair. Nicht mal ein bisschen.«
Plötzlich waren wieder Schritte zu hören. Gil verstummte direkt, und auch ich hielt in stummer Panik die Luft an. Im nächsten Augenblick tauchten die zwei maskierten Wachen von eben vor meiner Zelle auf und schauten auf mich hinab. Es handelte sich um zwei große, starke Männer. Ihr eintöniges, stummes Starren ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Sie waren direkt auf mich fixiert. Einer von ihnen benutzte das Kartengerät außerhalb meiner Zelle, und auf einmal glitt die Glaswand beiseite. Ich wich sofort zurück, der kalte Boden unter meinen Händen ließ mich fast rutschen, als ich versuchte, mich so weit wie möglich von ihnen wegzudrücken. Bodenlose Panik breitete sich in mir aus, als die beiden meine Zelle betraten. Zwischen ihnen hin- und hersehend presste ich mich an die Wand.
»Was wollt ihr von mir?«, stieß ich hervor.
Ohne mir zu antworten, ergriffen die beiden mich mit ihren groben Händen und packten mich. »Nein, lasst mich los!«, schrie ich und versuchte mich mit Händen und Füßen zu wehren. Trotzdem zogen sie mich unerbittlich weiter in Richtung des Gangs.
»Nein!« schrie ich schrill weiter und kämpfte gegen die Wachen an, so fest und wild ich nur konnte. »Ich will nicht!«
Da schien die Geduld der beiden am Ende zu sein. Ehe ich mich versah, griff die eine Wache unter meine Arme und die andere schnappte sich meine Beine. Zusammen trugen sie mich aus der Zelle, als wäre ich ein Paket. Ich strampelte und versuchte, mich zu befreien, aber sie bewegten sich unbeeindruckt und schrittfest weiter. Das hielt mich aber nicht davon ab, mir die Kehle wund zu schreien.
Doch schnell hörte ich mit Schreien auf, denn das, was ich sah, ließ mir die Stimme im Hals ersterben. Die Wachen trugen mich an lauter Zellen vorbei. Eine reihte sich an die andere, und jede von ihnen war besetzt. Aus den Zellen schauten mir Augenpaare aus den verschiedensten Gesichtern entgegen. Einige waren weit aufgerissen vor Furcht, andere blickten mich resigniert an, als hätten sie längst jede Hoffnung verloren. Diese Augenpaare gehörten Engeln und Dämonen, die hier genauso gefangen zu sein schienen wie Gil und ich. Es waren Dutzende.
Wie war es den Menschen gelungen, so viele von ihnen fangen? Das war doch unmöglich... oder? Vor allem, seit wann machten sie schon Jagd? Das hier war doch kein Projekt der letzten Wochen!
Nighton... suchte er nach mir? Würde er herausfinden, wo ich war? Oder war ich nun genauso verloren wie diese armen Seelen hinter den Glasscheiben?
Eine der Wachen öffnete eine schwere Metalltür am Ende des Gangs, und ich wurde in einen sterilen, grell beleuchteten Raum getragen. Der Geruch von Desinfektionsmittel war so stark, dass ich fast würgen musste. Meine Gedanken rasten immer noch, als sie mich unsanft auf einen harten Stuhl setzten und mich mit metallenen Klammern festmachten. Die kalten Fesseln schnürten sich schmerzhaft um meine Handgelenke und Knöchel, und die Angst stieg wieder in mir auf. Ich versuchte, mich zu wehren, aber es war sinnlos.
»Lasst mich gehen!«, flehte ich. Die Wachen schwiegen weiterhin. Meine Stimme hallte einsam im Raum wider, ein leeres Echo in der sterilen Stille. Was würde jetzt passieren? Warum war ich hier? Wieso hatten sie mich festgebunden? Ich spürte Tränen der Hilflosigkeit aufsteigen, heiß und unaufhaltsam, und blinzelte sie weg. Ich wollte nicht weinen, nicht jetzt, auf gar keinen Fall. Aber die Verzweiflung war erdrückend, und ich fühlte mich kleiner und zerbrechlicher als je zuvor.
Eine der Wachen beugte sich vor und straffte die Fesseln um meine Handgelenke, bevor sie zurücktraten und mich mit meiner Angst und meinen unzähligen Fragen alleinließen. Hinter mir fiel eine Tür klickend ins Schloss. Es dauerte allerdings nicht lange, bis sie sich wieder mit einem leisen Summen öffnete. Ich zuckte zusammen und presste mich in den Stuhl, als könnte ich darin verschwinden. Mein Atem kam nur noch flach, während ich gegen die überwältigende Panik in mir ankämpfte. Jemand setzte sich vor mir, und mein Magen verkrampfte sich, als ich erkannte, wer es war.
Owen.
Aber es war nicht mehr der Owen, den ich kannte. Etwas war anders, als hätte er seine komplette Persönlichkeit und sein Äußeres ausgetauscht. Er trug einen eleganten Anzug, der maßgeschneidert wirkte. Seine Schuhe glänzten im grellen Licht des Raumes, und eine Brille mit schwarzem Gestell saß auf seiner Nase. Die Augen, die mich anstarrten, waren eisgrau und kalt, und sein Gesichtsausdruck distanziert und berechnend, als wäre das hier nicht mehr als ein alltägliches Meeting für ihn. Die Aura des sorglosen Playboys war verschwunden, ersetzt durch eine undurchdringliche Kälte, die mir einen Schauer über den Rücken jagte.
Er warf eine Mappe auf den Tisch gegenüber meinem Stuhl, die er aus einer teuer wirkenden Aktentasche hervorzog. Dann setzte er sich auf einen anderen Stuhl, sodass der Tisch nun zwischen ihm und mir war - eine klare Trennung, als wäre ich die Angeklagte und er der Richter.
Ich zwang mich, zu sprechen, und währenddessen gewann meine Wut an Stärke, sodass ich mit einigermaßen gefestiger Stimme zischen konnte, Owen hasserfüllt anblitzend: »Owen, du verdammter Bastard, du hast kein Recht, mich hier festzuhalten. Das ist Entführung!«
Doch Owen ignorierte mich, schlug die Mappe auf und begann, scheinbar beiläufig, in den Dokumenten zu blättern. Ich konnte sehen, wie seine Augen die Zeilen durchgingen, als würde er absichtlich langsam lesen, jede Seite länger als nötig betrachtend. Es war ein Machtspiel, ein Zeichen seiner Kontrolle.
»Guten Abend, Jennifer«, sagte er schließlich, als wäre es die selbstverständlichste Begrüßung der Welt. »Mein Name ist Timothy Kellahan, oder für dich einfach nur Mr. Kellahan oder I-001. Such es dir aus. Der Name Owen Delaney ist nur mein behördlich bekannter Deckname. Du solltest von nun an die richtige Anrede für mich verwenden.« Sein Lächeln war kalt und unehrlich. Er schien schon fortfahren zu wollen, doch ich kam ihm zuvor und presste hervor: »Du musst mich wieder gehen lassen! Die Zwillinge… zwei Dämonen, sie warten auf mich! Wenn du mich nicht rauslässt, werden sie meine Familie umbringen!« Ich weiß nicht, wieso ich annahm, dass es ihn interessieren könnte. Aber ich musste es versuchen.
Owen, ich meine, Kellahan hob die Augenbrauen hoch.
»Erst nennst du mich einen Bastard und dann erwartest du, dass ich dir deine Wünsche erfülle? Offenbar bist du nicht nur dumm, sondern auch noch unverschämt. Vor allem, wieso glaubst du, dass deine persönlichen Probleme für mich von Bedeutung sind? Dieses extraterristrische Duo ist mir egal, und deine Familie ist es auch.«
»Aber… aber sie werden sie umbringen!« Ich konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten, sie liefen mir über die Wangen. »Wenn ich nicht rechtzeitig zurückkomme, wird meine Familie sterben!«
»Das ist nicht mein Problem«, antwortete Kellahan mit einem Gleichmut, der mir die Luft zum Atmen nahm. »Deine Familie ist für mich ebenso wenig von Interesse wie die Zwillinge. Du bist hier, um einen Zweck zu erfüllen, und das ist alles, was zählt.« Ich konnte nicht glauben, dass er so gefühllos war. Deshalb versuchte ich es auf andere Art und Weise.
»Wenn du mich nicht gehen lässt«, begann ich, »werden die Zwillinge hier auftauchen und alles auseinandernehmen. Sie werden alles tun, um mich zurückzubekommen, weil sie mein Blut brauchen. Dafür würden sie über Leichen gehen! Das wird nicht nur dir, sondern allen hier schaden!«
Kellahan gluckste und entgegnete: »Nette Drohung, Jennifer. Aber ich vertraue auf unsere Abwehrsysteme. Die Gefahr, die von den beiden ausgeht, interessiert mich nicht. Jetzt verschwende nicht noch mehr meiner Zeit, wir sind nicht hier, um über den Verbleib deiner Familie oder diese zwei Wesen zu reden. Was sagst du zu deiner neuen Umgebung? Gefällt es dir?«
Ich wollte ihn anschreien, aber ich wusste, dass meine Worte keinen Unterschied machten. Ich war hier gefangen, und jede Hoffnung auf Rettung meiner Familie schwand. Wut stieg in mir auf, die ich Kellahan in Form eines aggressiven »Ach, fick dich doch!« entgegenschleuderte.
Der grinste nur und zog einen Kaugummi aus seiner Tasche. Den schob er sich in den Mund, als wäre das alles hier nichts weiter als ein belangloser Zeitvertreib. Dann blickte er mir wieder direkt in die Augen, seine Miene unverändert gleichgültig. Das Kaugummi machte ein leises Geräusch, als er es zerkaute, ein Geräusch, das in der Stille des Raumes fast ohrenbetäubend wirkte.
»Du bist ein ausgesprochen unhöfliches Miststück. Aber das warst du ja schon immer. Genau aus dem Grund wird es mir noch mehr Freude bereiten, was wir mit dir vorhaben«, entgegnete er. Seine Worte klangen amüsiert, als würde er sich über meine Situation lustig machen. Ich spürte, wie meine Wut wieder stieg, trotz der Angst, die bei seinen Worten wie ein schwerer Stein in meinem Magen entstand.
»Was willst du von mir? Und wo bin ich hier?«
Er seufzte gespielt und legte die Mappe beiseite. »Was glaubst du denn, was das hier ist?«, fragte er zurück.
Ich schluckte. »Es ist ein Gefängnis. Ein Labor. Ihr habt... Du hast Engel und Dämonen gefangen. Aber warum? Was hast du mit ihnen vor?«
Er lachte leise und schüttelte den Kopf, als wäre ich ein Kind, das eine dumme Frage gestellt hatte.
»Deine Naivität und Blindheit sind wirklich erfrischend. Es ist fast lustig, dass du so wenig verstehst.« Er lehnte sich zurück, als hätte er alle Zeit der Welt, legte die Fingerkuppen zusammen und sah mich an. Seine Augen funkelten vor kaltem Amüsement. »Ich gehöre zu einer geheimen Organisation aus einer anderen, menschlichen Dimension, die übernatürliche Wesen züchtet und jagt. Ich bin ein Jäger, wenn du es so willst. Da, wo ich herkomme, gibt es keine Dämonen oder Engel, wie du sie kennst. Dort bauen wir uns unsere eigenen übernatürlichen Wesen, genannt 'Experimente', formen sie nach unserem Willen. Aber diese Welt hier, diese Verknüpfungen, die es zu Himmel und Hölle gibt, sind einzigartig. Hier züchten wir euch nicht, hier fangen wir euch nur, um euch zu studieren. Jedenfalls war das der Auftrag, bis du letztes Jahr auf den Plan getreten bist.«
Seine Worte klangen kalt und geschäftsmäßig, und mir drehte sich der Magen um. Die Vorstellung, dass all das hinter meinem und dem Rücken aller anderen passiert war, ließ mich schaudern. Wie viel hatten diese Leute beobachtet? Wie viel wussten sie? Und was bedeutete 'andere, menschliche Dimension'? Redete er etwa von einer Art zweiter Erde?
»Ich?«, wiederholte ich entsetzt. Owen - Kellahan, nickte. Sein aalglattes Lächeln ließ meine Haut prickeln.
»Ja. Ich erinnere mich noch, als wäre es gestern gewesen. Es war im Dezember, wenn ich nicht irre. Plötzlich drehten unsere Geräte am Londoner Standort durch, empfingen Schwingungen von ungekannter Intensität, sodass uns klar wurde: Irgendwo in der Stadt läuft ein mächtiges übernatürliches und zweifelsohne gefährliches Wesen frei herum. Nähere Nachforschungen ergaben dann recht schnell, dass es ein Wesen ist, dessen Existenz wir bisher nur einmal in ähnlicher Ausführung gesehen haben. Ja, du hast ganz richtig gehört. Es gibt noch einen Hybrid, wie du es warst. Doch er wurde im Gegensatz zu dir nicht so geboren, sondern durch ein jahrzehntelanges, gefährliches Experiment geschaffen. Natürlich zeigte der Kopf meiner Organisation ein immens hohes Interesse an dir, und von da an lautete unser Auftrag, dich zu fangen. Nun ja. Bis du auf einmal auf unerklärliche Art und Weise wieder zum Mensch geworden bist, und der neue Hybrid namens Nighton auf den Plan getreten ist.«
Diese Informationsflut war fast zu viel für mich. Mein Kopf fühlte sich an, als würde er platzen. Ein weiterer Yindarin, gezüchtet durch Experimente in einem Labor, das in einer anderen Dimension stand? Wie viele Geheimnisse gab es noch, die ich nicht wusste? Alles, was ich dachte, alles, was ich über mich selbst und meine Welt zu wissen glaubte, wurde in einem Augenblick hinweggefegt.
»Und ihr wollt über mich an Nighton herankommen? Das ist euer Masterplan? Ich weiß ja nicht, welche Maßstäbe eure kleine Yindarin-Laborratte bietet, aber ihr könnt euch verdammt nochmal warm anziehen. Wenn Nighton kommt, um mich zu holen, wird das keiner hier drin überleben!« Meine Worte kamen härter heraus, als ich beabsichtigt hatte, doch das Zittern in meiner Stimme verriet meine Unsicherheit.
»Oh, aber genau darauf baue ich doch!«, erwiderte Kellahan mit übertriebenem Erstaunen. »Du bist der Köder, und der Hybrid wird dich wiederhaben wollen, was ihn herrlich angreifbar macht. Er soll nur kommen, und wenn es Monate dauert. Die Zwischenzeit können wir ganz wunderbar füllen. Wir sind vorbereitet und warten schon auf ihn. Sobald er hier auftaucht, wird die Falle zuschnappen, und glaub mir, das wird ein Spektakel. Turano Industries ist nicht irgendeine dahergelaufene Organisation aus dilettantischen Ärzten, steifen Anzugträgern und knüppelschwingenden Wachmännern, falls du das dachtest. Wir sind TI, eine Weltmacht, unsere Kontrolle weitet sich über Dimensionen hinweg aus. Wir nehmen uns, was wir wollen, ungeachtet jeglicher Konsequenzen, und wir können Dinge, die du dir nicht mal ansatzweise ausmalen kannst.«
Die ganze Zeit über wurde mir immer kälter, als ob die Temperatur im Raum sank.
»Damit werdet ihr nicht durchkommen«, flüsterte ich, aber ich zwang mich, seinem Blick standzuhalten, um nicht zu zeigen, wie tief meine Angst wirklich ging.
Kellahan lächelte nur. Es war ein leeres, emotionsloses Lächeln, das mir eine Gänsehaut über den Rücken jagte.
»Das werden wir ja noch sehen.«