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Zwei Jahre später
Die Autotür knallt lautstark zu.
Ein adrett gekleideter Mann im stattlichen Anzug wirft seinen Aktenkoffer und sein Handy neben sich auf den Rücksitz.
»Fahren Sie los! Schnell, wenn´s geht!« Diese Anweisung klingt äußerst fordernd.
Mit einem leisen schmatzenden »Plopp« und einem Blick in den Rückspiegel ziehe ich die unangebissene Banane aus dem Mund.
»Eigentlich beende ich gerade meine Schicht! Außerdem sind ein Bitte und Danke keinesfalls zu viel verlangt, oder?«
Meine Antwort kam etwas zu mürrisch.
Ich spüre, wie er tief Luft holt, bevor er zu einer Antwort ansetzt. Meine forsche Art und die gezielt eingesetzte Banane zeigen wohl ihre Wirkung.
»Ich habe es wirklich eilig! Ich werde Sie für diese Extrafahrt auch gut entlohnen!« Ein Schmunzeln umspielt meine Lippen. Die Banane lasse ich auf den Beifahrersitz sinken, dann starte ich den Motor. Schnell gebe ich per Funk an die Station bekannt, dass ich noch eine letzte Fahrt mache. Es ist ohnehin meine Allerletzte. Denn ich hänge meinen Nebenjob endgültig an den Nagel. Inzwischen habe ich meine Stunden im Buchladen aufgestockt, um mich nicht weiter durch die Nächte quälen zu müssen.
»Wo darf es denn hingehen, Sir?« Mein Blick trifft den seinen im Rückspiegel. Ich sehe diese blitzblauen Augen die mich haargenau mustern. Wow! Die sind einfach der Hammer. Ich könnte in diesem Blau versinken! Sofort kribbelt es gewaltig in meiner Magengegend.
Seine Augenpartie kommt mir bekannt vor. Trotzdem kann ich ihn nicht zuordnen.
»Schnellstmöglich zum City-Flughafen!«, entgegnet er mir kühl.
Er scheint eher ruhig zu sein. Nicht so wie andere Gäste, die ihr ganzes Leben in fünf Minuten vor einem, während der Fahrt ausbreiten.
Die Fahrt zum Flughafen wird etwas dauern. Egal wo man lang fährt, man landet mit Sicherheit in einem Baustellenstau.
»Wann geht denn Ihr Flieger?«, frage ich, um die unangenehme Stille zu durchbrechen.
»Ich muss in einer Stunde am Terminal einchecken.«
Sein Blick haftet an mir. Keine Kundschaft hat es bis jetzt geschafft, mich mit seiner bloßen Anwesenheit nervös zu machen. Er sitzt doch nur da und sieht mich weiter interessiert an.
Nein, er starrt! Deswegen ist mir so kribbelig zumute.
Ich weiche seinem Blick im Spiegel wieder aus. Wage es aber nach einer kurzen Abkühlphase, erneut hinzusehen und erkenne ein amüsiertes Grinsen, das von einem zum anderen Ohr reicht. Es gefällt ihm also, wenn er mich beobachten und mit seiner Anwesenheit nervös machen kann. Ein frischer Duft steigt mir in die Nase. Mhm… sein Aftershave. Herb aber fruchtig, ein Hauch von Lavendel und Zitrone. Ein Prickeln durchzieht meinen Körper. Wie kann mich sein Geruch, seine Anwesenheit nur so durcheinanderbringen?
Mit einem wagen Kopfschütteln, verwische ich meine Gedanken so gut es geht. Die Straße! Besser, ich konzentriere mich weiter auf die Straße. Minuten vergehen stillschweigend, als ich verdutzt beobachte, wie ein Wagen sich immer wieder meinem Taxi nähert, sich zurückfallen lässt und wieder aufschließt. Seine Stimme reißt mich aus meinen Gedanken: »Etwas Beunruhigendes zu sehen?«
Etwas leiser, vielleicht sogar verunsichert antworte ich ihm: »Entweder habe ich einen neuen Verehrer, oder Sie haben Verfolger. Der schwarze Van zwei Autos hinter uns. Aber vielleicht fährt er auch nur zufällig diese Strecke zum Flughafen. Ich bin gern etwas paranoid.« Mein Blick erfasst den seinen im Rückspiegel.
»Lass es uns herausfinden!« Er gibt mir zu verstehen, dass ich ein wenig Gas geben und die nächste Abzweigung nehmen soll. Die Strecke führt allerdings entgegengesetzt der Richtung des Flughafens. Und hat er mich da eben geduzt? Ich ignoriere es einfach und mache, was er sagt.
Immerhin werde ich dafür angeblich gut bezahlt. Kaum den Kurs geändert, gibt auch der schwarze Van hinter uns Gas. Mein Herz beginnt etwas schneller zu schlagen und sein angespannter Blick verheißt mir nichts Gutes, nachdem er erkennt, dass der Wagen hinter uns weiter aufschließt. Plötzlich telefoniert er hinter mir: »…ja, ich muss etwas umdisponieren! ... Ich werde wohl nicht rechtzeitig eintreffen! … Ich melde mich wieder. Besorgen Sie einen Wagen, der mich dann abholt. Das hat man davon, wenn man Taxis nutzt, anstatt auf den Chauffeur zu warten.«
Er beendet sein Gespräch. Irgendwie fühle ich mich gekränkt. So schlimm fahre ich dann auch wieder nicht. Aber vielleicht sollte ich das? Kurz spiele ich mit dem Gedanken, und bevor ich noch genauer darüber nachdenke, trete ich aufs Gas.
Kurzerhand überfahre ich eine rote Ampel und nehme eine Abkürzung. Verdutzt aber seelenruhig mustert er mich weiter im Spiegel.
»Was wird das denn nun?«
Wie kann er mich das so seelenruhig fragen?
»Ich bringe Ihnen die Vorzüge von Taxis näher!«, spotte ich ein wenig höhnisch und fahre ein weiteres Mal über eine rote Ampel einer kaum befahrenen Kreuzung. Das Hupen fremder Autofahrer hallt uns nach. Der Verfolgerwagen scheint von meinen Fahrmanövern überrascht. Im Rückspiegel ist er vorübergehend nicht zu erkennen. Deswegen schlage ich erneut den Weg zum Flughafen ein. Am Rand der Stadt fahre ich weiter über ein Betriebsgelände einer Firma, die direkt an den Flughafen grenzt.
»Wo genau wollen Sie abgesetzt werden, Sir?«
»Das Parkhaus B, in der unteren Etage, wenn es möglich ist!«
Das ist nicht weit und in wenigen Minuten werden wir dort sein.
Die Anspannung meines Körpers lässt nach, als ich den Motor neben einer schwarzen Limousine abstelle. Schnell steige ich aus, um die Tür für meinen besonderen Gast zu öffnen. Aber er ist schneller und steht bereits neben mir. Er nickt seinem Chauffeur, der neben dem Luxusschlitten steht, zu und deutet ihm einzusteigen.
»Ich danke dir für diese aufregende Fahrt! Hoffentlich hat es nicht allzu viele Umstände gemacht, mich zu chauffieren.«
Bei diesen Worten grinst er, tritt näher an mich heran. Steht ganz knapp vor mir. Sein Duft steigt mir wieder in die Nase und erneut steigt Nervosität in mir hoch. Dabei versuche ich, seinen durchdringenden Blicken verlegen auszuweichen.
»Ich danke Ihnen!«, flüstere ich beinahe, weil er mich mit seiner Ausstrahlung dermaßen einschüchtert. Kurz holt er tief Luft, dann dreht er sich zurück zum anderen Auto.
»Du solltest ein Auto mit mehr Stil fahren! Das wäre passender für deinen Fahrstil.« Grinsend streicht er über das polierte Dach des Wagens und zwinkert mir verführerisch zu. Verlegen wende ich meinen Blick ab, muss aber dennoch ein wenig schmunzeln, auch wenn ich die Mittelklasselimousine in der er abgeholt wird, nicht als stilvoll empfinde. Wenn er wüsste, welches Auto ich sonst fahre. Mein Gehalt reicht gerade so um mein kleines Auto, einen alten Austin Healey, den ich geerbt habe, zu erhalten. Als hätte er meine Gedanken gelesen, nimmt er meine Hand und drückt mir ein paar Geldscheine in die Hand. Beim Anblick des Geldes bin ich sichtlich erstaunt. Das sind hundertfünfzig Pfund! Die Fahrt hat nicht mal die Hälfte ausgemacht.
»Das ist eindeutig zu viel!«, will ich erwidern. Er öffnet die Tür an seinem Wagen. Schon ist er beim Einsteigen, dreht sich aber spontan noch einmal um und kommt eilig auf mich zu. Presst entschlossen seine Lippen auf die meinen.
Er drückt mich fest mit seinem Körper gegen das schwarze Taxi. Seine Zunge bahnt sich gierig den Weg in meinen Mund.
Fest und bestimmt küsst er und schmeckt dabei einfach himmlisch. Das Prickeln im Unterleib flammt stichflammenartig erneut auf, bahnt sich köstlich den Weg hinab bis in mein Lustzentrum. Kräftig zieht er mich an der Hüfte an sich heran. Knabbert an meiner Lippe sanft mit seinen Zähnen. Während ich kaum realisiere, was er hier mit mir anstellt, löst er sich auch schon wieder von mir. Seine Nase streift äußerst langsam an meiner Wange entlang, bis hin zum Ohr. Haucht sanft und außer Atem: »Das war für die Banane!« Kurz hält er inne, grinst selbstgefällig: »Und für deinen Sprung vom Dach, von vor zwei Jahren!« Mit aufgerissenen Augen starre ich ihn ungläubig an. Mir fällt es wie Schuppen von den Augen. Wie konnte ich ihn nicht sofort erkennen! Er ist der sexy Bulle vom Dach! Nur sein Haar trägt er etwas länger. Es reicht ihm bis in den Nacken, fällt ihm ein klein wenig lockig in die Stirn und er sieht noch durchtrainierter aus. Zufrieden steigt er in die Limousine, lässt mich total überwältigt in der halb dunklen Tiefgarage stehen. Und weg ist er.
Wow! Nun kann ich sicher nicht mehr ruhig schlafen.
Zurück im Betrieb sticht mir beim Aufräumen des Wagens unter dem Beifahrersitz ein Aktenkoffer ins Auge. Der muss bei der wilden Fahrt nach unten gerutscht sein. Es kommt selten vor, dass Geschäftsmänner, derart wichtige Dinge bei mir im Taxi vergessen. Vielleicht habe ich ihn auch etwas nervös gemacht, oder der ungewöhnliche Verfolger hat ihn seinen Koffer vergessen lassen. Kurz überlege ich, wie ich ihm seine Aktentasche zukommen lassen kann. Aber ich kenne nicht mal seinen Namen. Der Koffer ist nicht mit einem handelsüblichen Zahlenschloss, sondern mit einem Fingerprintsensor gesichert. Keine Chance legal an seine Daten zu kommen. Nur zu gerne würde ich in seinen Sachen stöbern und mehr über ihn in Erfahrung bringen. Bei der Chefin abgeben ist das Einzige, was ich in dieser Situation machen kann. Wenn er den Koffer vermisst, wird er sich bestimmt melden.
Jetzt muss ich allerdings nach Hause, um endlich etwas Schlaf nachzuholen. Ich bin mir sicher, dass mich seine eisblauen, leuchtenden Augen heute Nacht im Traum verfolgen werden. Die gesamte Fahrt über nach Hause, im Austin Healy Sprite, kann ich die wirren Gedanken um den stürmischen Kuss nicht abschütteln. Der unbekannte Typ geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Sein dunkles widerspenstiges, leicht gelocktes Haar, die leuchtenden blauen Augen. Seine weichen, rosigen Lippen. Ich spüre noch das Prickeln im Unterleib köstlich nachhallen.