Erschöpft ließ sich Linda in ihren alten Lieblingssessel sinken und schloss die Augen. War sie eine Rabenmutter? Hatte sie wirklich das Richtige getan? Emma war am Ende ziemlich gedrückt und klang so verzweifelt. Sie fuhr sich durch ihr dunkles Haar und seufzte langgezogen.
Nein, sie hatte richtig gehandelt, Ihre Tochter konnte nicht erwarten, dass sie, ohne einen triftigen Grund zu nennen, wochenlang in ihrem Zimmer dahinvegetieren konnte. Und das zu Lasten ihrer Schulnoten. Jede Mutter hätte so gehandelt!
Warum nur wurde Linda dann von solchen Schuldgefühlen geplagt?
Stöhnend erhob sie sich und machte sich auf, in die Küche zu gehen. Der letzte Kaffee war zwar keine Stunde her, aber in Stress- und Frustsituationen konnte Linda ihn literweise in sich hineinkippen. Was für Ann Kuchen war, war für sie selbst eben eine heiße, dampfende Tasse Kaffee.
Während sie großzügig den Kaffeefilter mit zermahlenen Bohnen füllte, rutschten ihre Gedanken wieder ab zu einem gewissen Italiener. Und bevor sie sich versah, schwirrte noch dazu ein Paar schokoladiger Augen durch ihren Kopf.
Mit Schwung schloss sie ihre Kaffeemaschine wieder und knallte den kleinen Löffel auf die Arbeitsplatte, so als ob ihr Kopfkino durch lautes Geschepper und die Anwendung willkürlicher Gewalt verpuffen würde.
Hatte sie nicht eigentlich genug Probleme, mit denen sie sich geistig auseinandersetzen konnte? Anscheinend war immer noch Platz für sinnloses Geträume...
Aber dafür war jetzt keine Zeit. Linda sah auf die eiförmige Küchenuhr, schon fast fünf. In einer Stunde würde ihre Mutter die Jungs vorbei bringen.
Noch schnell die Abrechnung machen, Überweisungen beschriften, kochen und den Tisch für die Kleinen decken...
Linda sah auf die Uhr, der Countdown zum Marathon begann und Emilio saß wieder im hintersten Winkel ihres Kopfes. Perfekt.
Eine dreiviertel Stunde und 3 Tassen Kaffee später, klingelte es an der Tür.
Linda stand am Herd und rührte langsam in einem kleinen Topf herum. Ach, da kamen sie ja schon! Schnell stellte sie ihn auf eine kalte Herdplatte, die Erfahrung lehrte sie, dass unbeobachteter Milchreis eine tickende Zeitbombe war.
Mit Milchfleck am Pulli und leicht geröteten Wangen joggte Linda aus der Küche, an der Garderobe vorbei zur Haustür und riss diese kurz darauf auf.
"Guten Abend, Signora..."