Du bist Allyster der Sehende.
Schweren Herzens wartest du gemeinsam mit deinen beiden Verbündeten in einer kleinen Spelunke darauf, dass sich euer ausgewähltes Opfer zeigt. Siraku Tamiko hat seine Wohnung im Äußeren Ring, in einem gemütlichen, kleinen Häuschen gegenüber der zwielichtigen Kneipe, in der ihr euch vor einigen Minuten niedergelassen habt.
Tamiko geht einer ordentlichen Arbeit in einem kleinen Vertrieb für Botenschiffe nach. Karja hat einen seiner Mitarbeiter bestochen, um zu erfahren, dass die Schicht eures Mannes bald zu Ende ist und er dementsprechend hier auftauchen müsste. Dir wäre es lieber gewesen, Tamiko auf seiner Arbeit zu überfallen, doch die Poststation wird streng bewacht und der ganze Sinn der Übung besteht ja darin, dass ihr möglichst kein Risiko eingeht.
So sitzt ihr nun gegenüber von Tamikos Holzhäuschen und seht die beiden Töchter im Garten spielen, grazile, schwarzhaarige Mädchen, die vielleicht sieben und fünf sind.
Noch während du beide beobachtest, fällt die Kleinere hin und beginnt zu weinen, worauf eine Frau aus dem Haus eilt und das Mädchen verarztet. Die Frau ist blass und blond, weswegen du vermutest, dass es sich um ein Hausmädchen handelt.
Sie bringt beide Kinder ins Haus.
„Da ist er!“, flüstert Karja und stößt dich an. Beinahe hättest du dein Bier verschüttet. Du siehst einen hellhäutigen Mann mit schwarzen Haaren und fremdartigen, schmalen Augen, der die Straße hinauf kommt. Er ist noch ein Stückchen entfernt.
„Trinkt aus, Piraten!“ Karja grinst und sie und Brenna leeren ihre Krüge mit je einem langen, sabbernden Zug.
„Oh nein!“ Du hältst Aji fest, der es den Frauen nachmachen will. Entgegen deiner strikten Befehle hat sich der Junge heimlich einen Krug Bier an der Theke geholt und dir grinsend erklärt, dass die Gesetze von Kalynor, nach denen Minderjährige kein Bier trinken dürfen, in den Jenseitslanden nur Aufsehen erregen würden. Damit hatte er natürlich Recht, doch du bezweifelst, dass er dabei nur an eure Mission gedacht hat. Jetzt nimmst du ihm den Krug weg, bevor er mehr als einige Schlucke von dem Bier trinken konnte.
Karja wirft dem Wirt einige Münzen zu und ihr verlasst das Lokal. Ruhig überquert ihr die Straße, wo Siraku Tamiko gerade die Tür aufschließt. Neben ihm stehen zwei Leibwachen, kräftige, dunkelhäutige Sklaven, vermutlich aus Oylen ja Bereenga. Sie haben goldene Ringe in Nasen und Ohren und schwere Säbel an den Seiten.
Du wirfst Karja und Brenna einen Blick zu. Beide Frauen haben je einen der Leibwächter im Visier und zücken ihre Waffen. Du bedeutest Aji, hinter dir zu bleiben, und tastest nach einem kleinen Dolch, den du von Karja erhalten hast.
Doch noch bevor ihr heran seid, drehen sich die Leibwächter plötzlich um und fixieren euch mit gelben Augen. Es sind keine Menschen, wird dir zu spät klar, sondern Tierlinge. Schon blecken sie die Zähne, denn statt Münder haben sie das Gebiss von Großkatzen.
Tamiko wirbelt etwas verspätet herum und seine Augen weiten sich. „Was, bei Areste, soll das?“
„Cereceri!“, ruft Karja warnend und hechtet zur Seite, als einer der Tierlinge sich mit zu Krallen gekrümmten Händen auf sie stürzt. Brenna weicht nicht aus, sondern blockiert den Schlag ihres Gegners mit dem Säbel.
Tamiko erkennt die Lage sofort, schließt die Tür auf und flieht ins Innere. Du hörst, wie er zwei Namen ruft – die Namen seiner Töchter, vermutest du. Du folgst ihm, denn Brenna und Karja halten die Tierlinge für den Moment in Schach.
„Allyster!“, quiekt Aji und rennt dir nach. „Wir müssen ihnen helfen.“
Du wirfst einen Blick zurück. Die Tierlinge sind schnelle und starke Gegner. Mit einem Fluch auf den Lippen rennst du wieder nach draußen und schleuderst einen Blitz auf die dunkelhäutigen Krieger. Passanten schreien auf und fliehen in Panik. Einen Moment sind die Tierlinge verwirrt. Brenna nutzt den Moment zur Flucht, Karja versenkt ihre Waffe bis zum Griff im Hals ihres Gegners, ehe sie folgt.
Noch bevor der zweite Tierling euch erreicht hat, schlägst du die Tür zu und Brenna schiebt eine Kommode davor.
„Wo ist Tamiko?“, fragt sie keuchend.
„Nach oben gerannt“, erklärt Aji.
Ein Schlag erschüttert die Tür und ihr hört Knurren und Kratzen von der anderen Seite.
„Tut mir leid“, sagt jetzt Karja. „Ich wusste nicht, dass er Cereceri als Wachen hat.“
Du winkst ab und ihr lauft die Treppe hinauf durch ein erstaunlich spärlich eingerichtetes Haus. Im Vorbeilaufen siehst du kaum Möbel in den großen Räumen, und wenn, so sind diese niedrig. Stühle beispielsweise bestehen nur aus Kissen auf dem Boden.
Oben gibt es nur einen einzigen, großen Raum, der jedoch von Raumteilern aus Papier in einzelne Bereiche abgetrennt wird. Es gibt einen kleinen Garten vor einem runden Fenster sowie zwei Schlafplätze aus flachen Matten im hinteren Teil des Raums, der vordere Teil wird von zwei großen Schränken aus rotem Holz und mit goldenen Verzierungen eingenommen.
In einer Ecke hockt das blasse Kindermädchen, die beiden Kinder im Arm. Alle drei sehen euch verschreckt an.
Siraku Tamiko ist nicht zu sehen, doch Karja lässt sich nicht beirren. Sie geht zum ersten Schrank und reißt ihn auf. Im nächsten Moment stößt sie einen Schrei aus, als sich ein Monster aus Kleidungsstücken auf sie stürzt. Karja geht zu Boden und Tamiko springt über sie hinweg. Er rennt direkt auf euch zu und Brenna spring nach vorne. „Halt!“
Sie zielt mit dem Säbel direkt auf Tamikos Brust, doch der Mann bremst nicht. Ein schmatzendes Geräusch ist zu hören, ehe der Mann in Brenna hineinläuft und euch beinahe mit sich die Treppe herunter reißt.
Einen Moment ist es totenstill. Du siehst Blut hervorsprudeln.
Dann beginnt das ältere Mädchen zu kreischen. „Nein! Papa!“
„Was hast du getan?“, fährst du Brenna an. Tamiko gleitet leblos auf den Boden, sein Gesicht wird bereits blass und seine Augen sind gebrochen.
„Ich … ich weiß nicht.“
Zum ersten Mal in deiner gemeinsamen Zeit mit ihr siehst du Brennas Hände zittern. Die Söldnerin wirft dir einen verstörten Blick zu.
„Verdammte Scheiße!“ Karja hat sich aus der Kleidung befreit und kommt auf euch zu. „Los, wir müssen hier weg! Bevor die Wachen kommen!“
Nur am Rand bemerkst du, dass der Lärm vor der Haustür aufgehört hat – der Leibwächter ist fort, vermutlich, um Verstärkung zu holen.
„Aber … der Schöpferstein!“, stammelt Aji.
„Die Chance ist vorbei“, knurrt Karja und fasst Brenna an der Hand, um die Kriegerin mit sich zu ziehen.
Wie betäubt folgst du den Frauen, Aji im Schlepptau. An die Flucht kannst du dich später kaum noch erinnern, nur das Gefühl des Versagens bleibt dir überdeutlich im Gedächtnis.
Und der Blick der Mädchen, als sie ihren Vater sterben sahen.
Dies ist kein Canon-Ende, deswegen gibt es hierzu keine Fortsetzung.
Um das richtige Ende zu erreichen, musst du dich für den Einbruch entscheiden.
Vielen Dank für's Lesen und viel Spaß beim Weiterspielen!