Dallas und der Wolf schliefen zunächst völlig erschöpft und friedlich, ohne dass irgendetwas ihre Ruhe hätte stören können. Andys Kater kamen irgendwann spät nachts auf leisen Pfoten durch die Katzenklappe in die Küche, leerten ihre Näpfe, bemerkten dann aber den großen Hund, der nicht ins Wohnzimmer gehörte und verschwanden wieder nach draußen. Der Wolf räkelte sich einmal, schlief aber weiter. Morgens dann war es Dallas, der auf dem Teppich erwachte, feststellte, dass ein Wolf an der Seite nachts warm hält, auch wenn man nackt schläft und sich fragte, ob es fair wäre, Dugan zu wecken. Wie konnten sie nur so schwer schlafen? War das von dem Cannabis? Wahrscheinlich. Dallas hatte das letzte Mal in irgendeinem Londoner Pub gekifft, auf einer Junggesellen-Abschiedsparty ausgerechnet und hinterher war er mit irgendeinem Typen von den Stadtwerken in dessen Wohnung gelandet. Irgendwie war es beinahe komisch, dass er jetzt hier mit einem Mann lag, der aus einer völlig anderen Welt kam und dessen Existenz Dallas noch vor kurzem für unmöglich gehalten hätte. Dugan war sowas wie die fleischgewordenen Legenden aus seiner Kindheit, etwas, von dem seine Großmutter erzählt hatte, um die Kinder ins Bett zu bringen. Er konnte nicht real sein, war es aber. Dallas begann, ihn hinter den Ohren zu kraulen, die sofort reagierten und zuckten. Im gleichen Moment schlug Dugan die Augen auf und sah Dallas an. Dann stupste er ihn am Kinn. Dallas fragte sich, was er seiner Granny erzählen könnte, wenn es denn je dazu kommen würde. Oder irgendjemandem aus seiner Familie. Mum, Dad, übrigens, das ist mein Freund Dugan. Nachts ist er manchmal ein Wolf. Und er ist nicht bei den Stadtwerken.
Als ahnte Dugan etwas von Dallas‘ Gedanken, reckte und räkelte er sich nun und begann zu hecheln. War das der Beginn der Rückverwandlung? Ganz offenkundig. Das Zucken ging wieder los, sowie das Knacken und Knirschen. Der Wolf wand sich hin und her, der Kopf schlug vor und zurück. Er heulte auf. Dallas schaute schnell zu der Uhr. Dann tat er, was er für richtig hielt, er schnappte sich den Wolf von hinten, zog ihn an sich und versuchte, ihn irgendwie ruhig zu halten. Zumindest verhinderte das, dass sich Dugan den Kopf stoßen würde. Dallas hielt die Vorderläufe, an denen sich bereits wieder Hände bildeten, mit den Hinterläufen strampelte Dugan und suchte Halt auf dem Teppich. Dallas kam der Gedanke, die Umklammerung wäre vielleicht schmerzhafter als alles andere, aber vielleicht wäre sie auch eine Hilfe. Dugans Fell verschwand binnen kürzester Zeit und sein Hecheln begann menschlicher zu klingen. Dann wieder ein Heulen, nein, auch das klang bereits menschlich. Das Zucken, Zerren und Winden hörte auf, der Mann in Dallas‘ Armen atmete nur noch schwer und Dallas spürte die Anspannung in Dugans eben noch verformtem Körper. Etwas mehr als zwei Minuten waren vergangen. Sachte ließ Dallas jetzt Dugans Arme los, denn er lag nur noch leiser atmend in seinen. Er strich ihm sanft über das Haar. Dugan drehte den Kopf und sah ihn an. „Du bist…irre“, begann er, „wie konntest du sicher sein, dass ich dich nicht… beiße oder zerfetze?“
„Würdest du nicht“, fand Dallas vollkommen ruhig.
Dugan stieß ein glucksendes Lachen aus. Es klang etwas gequält.
„Wo ist das Zeug?“, fragte Dallas und deutete in Richtung Bad.
„Roter Kulturbeutel.“
Dugan ließ den Rotschopf aufstehen und blieb selbst auf der Seite liegen. Jede plötzliche Bewegung konnte jetzt noch Schmerzen verursachen, denn seine menschliche Form musste sich erst wieder ans Mensch-sein gewöhnen. Das dauerte einen Moment und er müsste seine Muskeln entspannen. Als Dallas zurückkam, brachte er einen Joint mit, den er für Dugan ansteckte und ihm hinhielt.
„Hier.“
„Danke.“ Nach dem ersten, tiefen Zug fühlte er sich besser und überlegte, was er dem anderen sagen könnte. „Du bist großartig, weißt du das?“
Dallas war etwas überrascht. „Bin ich das?“
„Ja. Das hier ist nichts für die allermeisten deiner Art.“
„Meiner Art?“, wiederholte Dallas etwas ironisch und zog fragend eine Augenbraue hoch.
„Na, so ganz von derselben sind wir nicht. Was nicht heißt, dass ich das genau verstehe, was mit mir passiert.“
Dallas nickte verständig und nahm Dugan den Joint ab. Sogleich machte er ihn aus. „ Das reicht. Ich kann dich besser etwas massieren und wir nehmen ein heißes Bad, okay?“
„Ist mir auch, nein- sehr recht.“
„Beantwortest du mir eine Frage absolut ehrlich?“
Dugan nickte. „Ich bin immer absolut ehrlich.“
„Okay. Dieser Jedi-Trick von dir, den du mit der Krankenschwester und dem Polizisten gemacht hast: hast du den auch bei mir gemacht?“
„Nein. Wie kommst du darauf?“
„Nur, weil es Sinn machen würde. Und… ich hatte diesen seltsamen Traum, dass mich jemand sucht oder sogar ruft.“
„Das ist wohl nicht dasselbe.“
„Hast du nachts nach mir gerufen?“
Dugan zögerte und schien zu überlegen. „Vielleicht, ja. Nicht mit Worten, aber irgendwie habe ich in Vollmondnächten nach jemandem gerufen. Ganz bestimmt sogar. Ich… wollte nicht allein sein.“
„Das bist du nicht.“ Dallas schaute Dugan mit absoluter Sicherheit in die Augen, so, als sei das ein Versprechen, von nun an bei ihm zu bleiben.
„Nicht mehr.“ Dugan lächelte über das ganze Gesicht.
„Nein.“