Ronja spürte, wie die erste Träne ihre Wange hinablief. Energisch wischte sie sich mit dem Ärmel über ihr Gesicht. Der Abschied war schon schwer genug, heulen konnte sie auch danach. Notdürftig richtete sie ihre etwas aufgelöste Frisur, bevor sie sich zu den anderen nach draußen gesellte. Mitten im Hof stand der Hengst Ludwig, bereits gesattelt und aufgetrenst. Johann war gerade dabei, sein restliches Gepäck in den Satteltaschen zu verstauen und mit geübten Griffen zu verschnallen. Seine Bewegungen strahlten Ruhe und Gelassenheit aus. Da Johann ihr den Rücken zudrehte, verharrte Ronja in einiger Entfernung und saugte diesen letzten Anblick ihres Mannes geradezu in sich auf. Offenbar hatte er Ronjas Anwesenheit jedoch längst bemerkt, denn als alle Riemen festgezurrt waren, drehte er sich zu ihr um und bereitete die Arme aus. Wie in Trance lief sie auf ihn zu und legte den Kopf an seine Brust.
"Versprich mir, dass du zurückkommst." Mit ihrer Stimme spürte Ronja ein Schluchzen in ihrer Kehle aufsteigen, das sie mit aller Kraft zurückdrängte.
"Du weißt, ich würde dich niemals allein lassen." Johanns Hand strich sanft über ihre Haare.
Ronja hob den Kopf an, um ihm ins Gesicht zu blicken. "Bitte nimm das. Trage ihn als deinen Talisman. Tust du das für mich?"
Mit diesen Worten drückte sie ihm einen dezent verzierten, goldenen Ring in die Handfläche. Ein zweiter Blick verriet Johann, dass es sich um ein Erbstück handelte, das einzige, was seine Frau noch von ihrer viel zu früh verstorbenen Mutter besaß.
"Ronja, nein. Das kann ich nicht annehmen. Ich weiß, wie viel dir dieser Ring bedeutet. Außerdem weißt du doch, dass ich nicht an solche Dinge glaube."
"Bitte. Wenn ich den Ring bei dir weiß, fühlt sich die Entfernung nicht ganz so groß an. Tu es deiner hysterischen Frau zuliebe."
In Johanns Augenwinkeln zeichnete sich ein trauriges Lächeln ab. Ronja war alles andere als hysterisch. Mit diesem scherzhaften Ausdruck versuchte sie nur, ihre eigene Angst zu überspielen. Seine Finger schlossen sich um das warme Metall. "Wenn es dir so wichtig ist, werde ich den Ring bei mir tragen."
In der Ferne erklang ein scharfer Pfiff. Johann schloss Ronja noch einmal in die Arme und drückte ihr einen zärtlichen Kuss auf die Stirn. Dann drehte er sich um und ergriff die Zügel des Pferdes.
"Der Krieg wartet nicht. Mach dir keine Sorgen, wir werden uns bald wieder sehen!" Mit diesen Worten schwang er sich in den Sattel. In seiner Rechten hielt er noch immer den Ring seiner Frau. Er schloss seine Finger zur Faust und führte sie zu seinen Lippen, dann winkte er damit seinen Abschied.
Als sie Johann zum Tor hinausreiten sah, konnte Ronja ihr Schluchzen nicht mehr unterdrücken. Es war, als würde ein Teil ihres Selbst auf dem Pferderücken sitzen.
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Teil 1/2