Heute ist es also so weit. Mein Bundesland hat als erstes in der Bundesrepublik eine Ausgangssperre für die Bürger verhängt und sie gilt ab Mitternacht. Genau genommen nannte der Ministerpräsident es nicht direkt Ausgangssperre, sondern Ausgangsbeschränkung. Klingt das irgendwie besser? Naja, schon, wenn man genau hinsieht. Die sprachliche Konnotation kann in solchen Fällen wirklich viel aussagen. Immerhin ist es nicht komplett verboten, die eigenen vier Wände zu verlassen. Man darf zur Arbeit, zum Arzt, zum Lebensmitteleinkauf. Außerdem ist es ausdrücklich erwünscht, hinaus an die frische Luft zu gehen und dort auch Sport zu machen, nur halt allein oder höchstens in Begleitung von Mitgliedern des eigenen Haushalts. Natürlich darf man auch noch mit seinem Hund spazieren gehen oder sich um seine Pferde kümmern. Solange man all das eben allein erledigt und ausreichend Abstand zu anderen Menschen einhält.
Uns selbst trifft diese Ausgangsbeschränkung gar nicht so hart. Ein Mitglied der Wohngemeinschaft ist in einem systemrelevanten Beruf tätig und muss natürlich weiterhin in die Arbeit gehen, der Rest ist entspannt im Home Office. Da ich nur Teilzeit arbeite, saß ich die letzten Nachmittage immer in unserem kleinen Garten in der Sonne und habe gelesen oder geschrieben. Für mich persönlich ist das gerade eine Art der Entschleunigung, wie ich sie seit vielen Jahren nicht mehr genießen konnte, aber das hat weniger mit Corona als mit meinem Studienabschluss zu tun und ist deshalb eine andere Geschichte.
Was ich damit sagen will, ist, dass sich für unseren Haushalt ab morgen gar nicht so viel ändern wird. Ich bin sehr beruhigt, dass einsame Spaziergänge immer noch erlaubt sind, aber immer, wenn meine Gedanken eine solche Richtung einschlagen, nagt zugleich das schlechte Gewissen an mir. Immerhin wohnen wir selbst am Rand einer Kleinstadt und haben sogar einen eigenen Garten. Wie viele Leute davon jetzt wohl nur träumen können! Für die ist diese verbliebene Möglichkeit natürlich viel wichtiger, ja geradezu essentiell, um nicht direkt einen Lagerkoller zu bekommen.
Jedenfalls verbringe ich meine Tage gerade sehr entspannt zwischen Home Office und persönlicher Zerstreuung. Nur einen Fußbreit neben mir spüre ich allerdings schon wieder das tiefe Loch der Depression, das mir inzwischen leider viel zu vertraut ist. Ich mache mir einfach Sorgen und das stresst mich. Meine Oma ignoriert meine Hilfsangebote und geht weiterhin natürlich selbst einkaufen, denn “noch sind wir ja nicht eingesperrt!” Unsere betagten Nachbarn ein paar Häuser weiter genauso. Man muss dazu wissen, dass wir hier eine sehr gute und auch freundschaftliche Nachbarschaft pflegen. Und als Studenten-WG sind wir außerdem die jüngsten Erwachsenen in unserem familienfreundlichen Wohngebiet.
Ich selbst gehöre nicht zur Risikogruppe, arbeite noch von meinem Studium her nur in Teilzeit und das jetzt auch noch zuhause. Heißt das nun also für mich, dass ich mich erst mal zurücklehnen, Popcorn futtern und zuschauen werde, wie sich die Lage weiterhin entwickelt?
Nein.
Das kann und will ich nicht. Herumsitzen und einfach Nichts tun? Das tat ich zuletzt nach meinem Abitur und schon damals ist mir die Decke unzählige Male auf den Kopf gefallen. Außerdem haben wir jetzt und hier eine Ausnahmesituation. Eine gesellschaftliche Ausnahmesituation. Ich selbst bin möglicher Überträger einer potentiell tödlichen Lungenentzündung, während ich überall um mich herum einerseits gefährdete Personen und andererseits völlig verzweifelt zwischen Job und Kind balancierende Eltern sehe, egal wohin ich blicke. Dieser Zustand der Untätigkeit, der Nutzlosigkeit zermürbt mich. Ich muss etwas tun, so viel steht fest. Sei es als Einkaufsdienst für andere Leute, sofern sich die Risikopersonen in meinem Umfeld denn nun endlich mal helfen lassen wollen. Oder indem ich Kinder betreue, immerhin habe ich einige Jahre Erfahrung als Nachhilfelehrerin…
So ist das also. Eine Pandemie stellt unsere ach so fortschrittliche Gesellschaft auf die Probe und kehrt das Schlechteste in den Menschen hervor. Die Ausgangsbeschränkung wurde in Bayern schließlich nur angeordnet, weil es die ganzen vermaledeiten Hornochsen auch nach mehrmaliger Aufforderung nicht fertig bringen, das komische, wabbelige Ding zwischen ihren Ohren zu benutzen. Nun ist es an uns, das Beste aus der Situation zu machen. Irgendwo bin ich ja auch froh, dass der Freistaat jetzt mit strenger Hand durchgreift, denn auch ich verfolge die steigenden Infektionszahlen natürlich mit wachsender Beunruhigung. Aus diesem Grund bin ich bereit, mich einzusetzen. Für die Gesellschaft. Für jede Einzelne und für jeden Einzelnen.
Bist du es?