“Es ist so weit. Unsere Bemühungen tragen die ersten Früchte”, verkündete der Stadtteilsverwalter zufrieden, “bald schon werden sie sich nicht mehr ohne ausdrückliche Erlaubnis auf die Straße trauen!” Der Triumph in seiner Stimme war kaum zu überhören.
Bevor eine oder einer der anderen Teilnehmenden der Versammlung die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnte, ergriff die Chefin der Stadtteilsaufsicht das Wort. “Ich bitte euch dennoch, euch weiterhin an den Plan zu halten. Es stimmt, dass der Moment, auf den wir alle seit so langer Zeit hinarbeiten, uns unmittelbar bevorsteht. Das bedeutet aber auch, dass wir gerade jetzt auf keinen Fall nachlässig werden dürfen. Achtet genau auf eure Umgebung. Setzt eure Schritte mit Bedacht. Verhaltet euch wie immer, aber seid innerlich in allerhöchster Alarmbereitschaft. Das Gelingen dieser Mission hängt von jeder und jedem einzelnen ab.”
Zustimmendes Gemurmel machte sich im Raum breit.
“Freundinnen und Freunde, die Zeit ist gekommen! Endlich werden wir diese unfähigen Idioten auf ewig unterjochen!”, tönte eine kratzige Stimme irgendwo aus der Menge, begleitet von lauten Beifallsrufen.
“Wir werden sie alle umbringen!”, erwiderte eine hohe Stimme aus einer dunklen Ecke des Raumes. Die Menge begann zu johlen.
“Wir werden sie aufschlitzen! Zerfleischen!” Die Stimmung heizte sich immer mehr auf.
“Wir werden sie jagen!”
“So lange, bis niemand mehr übrig bleibt!”
“Es wird unser Sieg!”
“Endlich wird unsere Herrschaft anerkannt werden!”
Die Menge war kaum mehr zu bändigen. Die Sicherheitskräfte hatten große Mühe, die Aufregung und Euphorie wieder etwas zu besänftigen, sodass sich die Chefin der Stadtteilsaufsicht erneut Gehör verschaffen konnte.
“So beruhigt euch doch bitte!”, rief sie aufgebracht, “bitte beruhigt euch! Niemand wird unter meiner Verantwortung umgebracht. Und gejagt schon gleich garnicht – jedenfalls keine Menschen. Wir sind keine Monster und auch keine Tyrannen. Außerdem brauchen wir ihre Dienste und Fähigkeiten, das wisst ihr doch alle. Sie werden bedingungslos für uns arbeiten.”
“Aber wann werden wir nun zuschlagen?”, fiel endlich die Frage, die alle so sehr beschäftigte.
Die Aufsichtschefin straffte ihre Körperhaltung und blinzelte aufmunternd in die Runde. “Es wird nicht mehr lange dauern. Sie sind bereits so weit, dass Viele ihre Häuser und Gärten nur noch selten verlassen. Unsere Botenläufer vermelden ähnliche Zustände aus den anderen Stadtteilen. In ein paar Tagen werden wir die Straßen komplett unter Kontrolle haben. Dann schlagen wird zu. Keinen Augenblick früher.
“Ich denke, damit ist alles gesagt”, schaltete sich der Stadtteilsverwalter ein, der in der Zwischenzeit in den Hintergrund getreten war und den Tumult stillschweigend verfolgt hatte. “Wenn es soweit ist, werdet ihr alle über die üblichen Treffpunkte und Kontaktleute informiert. Jede und jeder weiß, was zu tun ist. Kehrt nun zurück auf eure Posten und wartet auf die weiteren Anweisungen.” Mit diesen Worten drehte er den Zuhörenden sein Hinterteil zu und verschwand durch ein kleines Loch in der Wand in die Finsternis.
Die Chefin der Stadtteilsaufsicht dagegen blieb noch lange unbewegt sitzen und beobachtete, wie sich das düstere Haus leerte, das sie meistens für ihre Zusammenkünfte nutzten.
Als nur noch sie allein übrig geblieben war, stieg sie mit flinken Sprüngen die Treppe hinauf und kletterte durch einige fehlende Dachziegel hinaus ins Freie. Der kühle Wind fuhr durch ihr nachtschwarzes Fell, als sie sich auf dem Dachgiebel niederließ. Ihre grünen Augen glitten über die umstehenden Häuser, die durch reich bepflanzte Gärten und schmale Straßen voneinander getrennt wurden. Durch all diese Gärten und Straßen schlichen in diesem Moment unzählige Katzenpfoten auf dem Weg zu ihren Familien.
Die Aufsichtschefin leckte sich genüsslich über die Vorderpfote. Auch sie fieberte den Ereignissen entgegen, die ihnen nun unmittelbar bevorstanden. Die ewige Heuchelei, die andauernden Berührungen an den unmöglichsten Stellen, das Betteln um Futter, all das würden sie sich nicht mehr lange gefallen lassen. Die mühsam aufgebaute Kontrolle aus dem Untergrund wird schließlich zur allumfassenden Herrschaft.