Mit einem innerlichen Seufzen richtete er seine Uniform und zog den Kragen etwas zurecht. Ihm war heiß in seiner Haut, jedoch nicht wegen des sommerlichen Wetters, sondern wegen der Informationen, die in der Mappe steckten, die gerade unter seinem Arm klemmte. Und wegen einer Frage, die er stellen musste, vor der es ihm jedoch graute. Natürlich hatte er gewusst, dass dieses Amt Schwierigkeiten mit sich bringen würde, lieber jedoch wäre ihm dieser Tag erspart geblieben.
Er straffte sich, räusperte sich einmal und klopfte drei mal gegen die breite Doppelflügeltür. Die Wachen, zwei an der Zahl, die stur geradeaus schauten, beachtete er nicht.
„Herein!“, rief die herrische Stimme, und er öffnet die Tür. Noch ein kurzes Räuspern, seine trockene Kehle machte ihn zusätzlich verrückt.
„Mein Fürst“, grüßte er seinen Vorgesetzten und vollführte dabei eine formvollendete Verbeugung. Er mustere den Fürsten, einen Mann, dessen Stärke nicht in seiner Körperkraft, dafür jedoch in seinem Kopf lag. Nicht umsonst wurde er als der brillanteste Stratege dieser Zeit gehandelt. Doch auch ihm passierten Fehler, nur noch immer fragte er sich, warum ausgerechnet er sie heute seinem Fürsten berichten musste.
So in Gedanken versunken übersah er beinahe, dass der Fürst ihn mit einem Lächeln zu sich heran winkte.
„Kommt, General, kommt und schaut, was heute für ein vorzüglicher Tag ist.“
Der General trat neben seinen Fürsten an einen Tisch, auf dem eine große Karte ausgebreitet war, die die Welt abbildete. Überall darauf verstreut standen kleine Figuren unterschiedlichster Formen, die sich ständig verändernden Grenzen der Nationen waren mit verschiedensten Farben gekennzeichnet.
„Mein Fürst, ich habe hier die neu-“, begann der General, wurde jedoch von einem Wink des Fürsten unterbrochen.
„Schaut es Euch an, General. Die Truppen sind auf dem Vormarsch, und es scheint, dass niemand uns mehr aufhalten kann. Im Norden haben wir die alten Grenzen längst passiert, im Süden stießen wir kaum auf Widerstand.“ Der Fürst verschob zwei kleine Figuren im östlichen Teil der Karte. „Im Osten sind wir mit unseren gepanzerten Einheiten auf dem Vormarsch, und auch der Westen wird sich alsbald uns ergeben müssen. Wie Ihr seht, unsere Strategie geht auf, und bald gehören uns die alten Grenzregionen wieder. Dann wird niemand mehr unser Land in Frage stellen.“
Der General sah das siegessichere Lächeln auf den Lippen seines Fürsten, der zur Karte griff und eine Flagge im Westen einem Fingerschnippen umstieß. Das machte es dem General nicht einfacher. Er schluckte, einerseits, um das Unvermeidliche noch kurz herauszuzögern, andererseits, um seine trockene Kehle irgendwie zu befeuchten.
„Mein Fürst, ich fürchte, diese Informationen sind veraltet“, begann er. „Der Nachrichtendienst hat eben gerade neue Informationen erhalten und sie direkt an mich weiterleiten lassen.“
Er händigte seinem Fürsten die Mappe aus, das siegessichere Lächeln war längst von dessen Lippen verschwunden.
„Was soll das bedeuten? Veraltet?“ Der Fürst schlug die Mappe auf. „Fasst es für mich zusammen, General.“
„Natürlich, mein Fürst. Im Norden werden unsere Truppen derzeit von Schnee und Eis vom Vormarsch abgehalten. Die Waffen der Truppen sind nicht für diese Temperaturen ausgelegt und versagen den Dienst“, begann er seine Ausführungen und deutete dann auf den Osten. „Im Osten sind unsere Maschinen zum Erliegen gekommen, durch die schweren Gefechte sind viele Fahrzeuge ausgefallen, und durch den weiten Versorgungsweg können Ersatzteile erst in den kommenden Wochen erwartet werden. Der Westen hat eine unerwartet starke Verteidigungslinie an diesem Fluss am Grenzübergang aufgebaut und hält unsere Soldaten in dem Gräben in Schach, und der Süden ist von der Versorgung abgeschnitten. Wie es scheint haben sich einige Splitterzellen des Widerstandes in den Tälern eingenistet und führen Überraschungsangriffe auf die hintersten reihen aus, bevor sie sich wieder zurückziehen.“
Nun stand der Zorn dem Fürsten ins Gesicht geschrieben.
„Wie kann das sein?“, brüllte er unvermittelt den General an. „Wie alt sind diese Informationen?“ Der Fürst deutete auf die Karte vor sich.
„Dem aktuellen Stand nach kommen die Boten nur schwer durch die Reihen zurück, sodass wir damit rechnen müssen, mindestens zwei Wochen hinter den aktuellen Ereignissen zu liegen, mein Fürst.“
Dem General ging es immer schlechter in seiner Haut. Unauffällig versuchte er die Hände hinter dem Rücken zu verschränken, in der Hoffnung, der Fürst würde sein Zittern nicht bemerken. Seine Frage zu stellen traute er sich schon nicht mehr.
„Was für ein inkompetenter Haufen von Schwachköpfen und Vollidioten! Dann hat der Nachrichtendienst seine Bemühungen zu verstärken und mehr Leute zu entsenden, wenn sie es mit den regulären Kräften nicht schaffen! Es heißt wir gegen den Rest der Welt, General. Da bleibt kein Platz für Fehler!“ Der Fürst rammte seinen reichlich verzierten Brieföffner wutentbrannt in das Holz seines Schreibtisches und griff nach einer kleinen, gelben Dose. Er entnahm zwei Pillen, schluckte sie und atmete tief durch. Dem General befiel eine Sorge, die Krankheit musste schon weiter vorangeschritten sein.
„Kümmert Euch darum, General“, sagte der Fürst dann durch zusammengebissene Zähne. „Ich will ab jetzt tägliche Berichte auf meinem Schreibtisch finden, mir egal, wie der Nachrichtendienst das anstellt. Ihr dürft wegtreten.“
„Wie Ihr wünscht, mein Fürst.“
„Und bestellt den Verantwortlichen des Nachrichtendienstes zu mir, dieses unsägliche Verhalten darf nicht länger toleriert werden.“
Der General deutete eine Verbeugung an und setzte sich in Bewegung. In Gedanken verfluchte er sich dafür, die Frage nicht gestellt zu haben, andererseits wollte er dafür nicht am Schafott enden. Es gab wahrlich bessere Zeitpunkte, auch wenn es dafür dann zu spät kam. Doch als er die Stimme seines Fürsten noch einmal vernahm, blieb er abrupt stehen.
„Bevor ich es vergesse, General. Ich gewähre euch drei Tage Auszeit. Die Geburt eines Kindes ist ein besonderes Ereignis, und ein Vater sollte die Möglichkeit haben, bei seiner Familie zu sein. Danach erwarte ich Euch wieder mit vollem Einsatz im Dienst. Habt Ihr verstanden?“
„Natürlich, mein Fürst. Vielen Dank.“ Erneut verbeugte er sich und verließ das Büro. Die Erleichterung war ihm anzusehen.