Mit einem selbstgefälligen Grinsen im Gesicht stand der Kapitän auf seiner Brücke und schaute durch sein Fernglas in den dichten Nebel hinaus. Wieder einmal wurde ihm die ehrenvolle Mission zuteil, mit seinem Schiff, der Schild, die Meerenge ins Landesinnere zu verteidigen.
Die Schild war das technologisch fortschrittlichste Schlachtschiff ihrer Zeit, ausgestattet mit der neuesten Bewaffnung und Ortungstechnologie. Vier Kampfeinsätze hatten er und seine Schild bereits erfolgreich absolviert, und nie hatte dieses Schiff mehr als nur ein paar oberflächliche Kratzer abbekommen, obwohl es immer im Zentrum der Gefechte stand.
Auch heute standen sie alleine hier. Dieses Schiff brauchte keine Unterstützung. Wozu auch, wenn der Feind nicht in der Lage war, mehr als nur minimalen Schaden an der Hülle zu verursachen?
Der Kapitän senkte das Fernglas, verschränkte die Hände hinter seinem Rücken und drehte sich zu seiner Mannschaft. Was er dort sah, erzürnte ihn, doch er ließ es sich nicht anmerken. Die Unsicherheit stand seinen Leuten ins Gesicht geschrieben, so, als wüssten sie etwas, das er noch nicht wusste, oder zumindest so, als würden sie etwas ahnen. Hatten sie etwa kein Vertrauen in das Schiff? Oder noch schlimmer; hatten sie kein Vertrauen in ihren Kapitän?
„Hergehört!“, rief er nach einem kurzen Räuspern. „Ich will, dass alle Männer sich auf ihren Posten befinden. Der Fürst selbst hat uns die Verteidigung dieser Meerenge befohlen, und ich bin nicht gewillt, der obersten Admiralität, noch dem Fürsten selbst, ein Versagen aufgrund von Inkompetenz und Unzuverlässigkeit zu melden. Dieses Schiff ist der Schild, der unsere Heimat vor den anrückenden Feinden beschützt, und mit ihm sind auch wir der Schild. Und dieser Schild wird standhalten, wie er es auch schon zuvor tat!“
Die Mannschaft auf der Brücke reagierte leise, aber ihre Minen klarten sich auf, die Unsicherheit wich der Zuversichtlichkeit.
„Ist schon etwas auf dem Schirm zu sehen, Leutnant“?, fragte er den Mann, der direkt rechts unter ihm saß. Der Leutnant war sowohl für die Feindortung als auch für die Befehlsweitergabe auf dem Schiff zuständig.
Der Mann schüttelte den Kopf. „Nein, Kapitän, noch ist nichts zu sehen.“
„Also gut, dann warten wir. Der Nachrichtendienst hat gesagt, dass sie es heute wieder versuchen werden, also werden wir hier ausharren, bis diese Feiglinge sich zeigen.“
Mit diesen Worten drehte er sich wieder zum großen Fenster und blickte erneut durch das Fernglas.
„Kontakt, Kapitän“, rief der Leutnant einige Minuten später, kurz nachdem der Kapitän sein Fernglas gesenkt hatte. „Drei, nein, es sind vier Schiffe auf dem Schirm zu sehen. Sieht aus wie ein Zerstörer und drei Begleitschiffe.“
„Da sind sie ja endlich. Ladet die Geschütze!“
Während der Leutnant den Befehl weitergab, straffte der Kapitän sich ein wenig. Obwohl er siegessicher war, verspürte auch er etwas Aufregung. Das würde ihn jedoch keinesfalls beeinflussen.
Er beobachtet den Feind, wie dieser sich einige Kilometer entfernt positionierte.
Natürlich hätte der Kapitän die Meerenge direkt mit seinem Schiff versperren können. Zwischen den Felsen passten mit Glück zwei Fregatten nebeneinander durch, doch er hatte sich entschieden, sich ein paar Kilometer vor der Enge aufzustellen. Er wollte Präsenz zeigen, Stärke. Und das konnte man am besten, so fand er, wenn man dem Feind entgegenkam und sich nicht an der hintersten Linie verschanzte.
„Wie die Zentrale sagte, es sind nicht mehr als vier Schiffe. Denken sie allen Ernstes, dass sie uns damit überwinden können?“ Der Kapitän grinste. „Geschütze auf den Zerstörer ausrichten. Ich will ihn brennen sehen.“
Der Leutnant gab den Befehl weiter, kurz danach begannen die Geschütze der Schild, sich auf das Ziel auszurichten.
„Geschütze ausgerichtet und geladen, Kapitän.“
Er wartete noch einen Moment. Normalerweise überließ er es dem Feind, sich an dem Schiff die Zähne auszubeißen, aber wie es schien, würde er heute zuerst feuern.
„Also gut, wenn sie sich nicht trauen, heißen wir sie eben willkommen. Feuer!“
Ein Krachen ging durch das Schiff, als die Geschütze feuerten. Lächelnd vernahm er kurz darauf die Explosionen an Bord des feindlichen Zerstörers. Mehrere Feuer brachen dort aus, und er sah durch sein Fernglas die Besatzung über die Decks eilen.
Wie zu erwarten war, dauerte es bis zur Antwort nicht lange. Die Geschütze der Begleitschiffe feuerten, die Geschosse trafen auf die Hülle der Schild. Eine leichte Erschütterung folgte.
„Keine Schäden zu melden, Kapitän“, berichtete der Leutnant, nachdem er Meldung von den Decks erhalten hatte.
„Wie zu erwarten war. Die Geschütze nachladen, wir werden einen nach dem anderen versenken. Das wird ihnen wohl endlich eine Lehre sein.“
Gerade, als der Kapitän den nächsten Feuerbefehl geben wollte, erschütterte ein Beben das Schiff. Der Kapitän griff an das Geländer und fing sich gerade so, während der Alarm in den Ohren der Besatzung dröhnte.
„Leutnant, Meldung!“, befahl er und raffte sich wieder auf.
„Wassereinbruch in den unteren Decks, Kapitän, etwas hat uns unter der Wasserlinie getroffen!“
„Wie soll das möglich sein?“, rief er aufbrausend und schaute durch das Fernglas zu den feindlichen Schiffen. Sie haben nicht geschossen. Also was soll uns getroff-
Erneut ging ein Beben durch das Schiff und unterbrach die Gedanken des Kapitäns. Eine Explosion war zu hören, die Lichter an Deck flackerten.
„Kapitän, der Maschinenraum hat Feuer gefangen! Was auch immer dort schießt, es hat eines der Munitionslager getroffen!“
Ungläubig starrte der Kapitän erst den Leutnant an, dann wandte er seinen Blick zum Feind. In seinem Kopf rasten die Gedanken. Das kann nicht sein! Völlig unmöglich! Nichts kann unsere Panzerung durchdringen!
„Feuer frei!“, rief er, und nur Sekunden später ging eines der Begleitschiffe des Feindes in Flammen auf.
Ein lauter Knall ertönte, und die Schild begann zu kippen.
„Erneute Treffer, wir haben auf allen unteren Decks Wassereinbrüche, die Hülle wurde zerstört!“
Wieder blickte der Kapitän durch sein Fernglas, die Panik ergriff ihn. Wie kann das sein? Das Schiff hat nicht gefeuert, sie haben keine Flugzeuge. Sie können also nur…
Sein Gesicht wurde kreidebleich, als er seinen Irrtum erkannte. „Ladet die Unterwasserbomben, Entfernung fünfhundert bis siebenhundert Meter!“
„Kapitän, wir haben nur noch vier-“, begann der Leutnant, wurde aber von seinem Kapitän unterbrochen.
„Jetzt geben Sie den Befehl und lassen Sie die Bomben abfeuern!“
Der Kapitän verfolgte die Flugbahn der Unterwasserbomben und sah sich kurze Zeit später in seiner Annahme bestätigt. Die Bomben sanken ins Wasser, dann erfolgten die Detonationen, welche große Fontänen Wasser aufstiegen ließen.
„Sie sind unter Wasser“, hauchte der Leutnant fassungslos. „Wie ist das möglich?“
Eine merkwürdige Ruhe überfiel den Kapitän. Seine Aufregung hatte sich längst schon gelegt, er spürte auch keine Angst. Er wusste, dass sie es nicht schaffen würden.
„Lassen Sie eine Nachricht an die Zentrale in der Heimat durchgeben. Warnen sie den Fürst vor … vor was auch immer. Lassen Sie von den Geschehnissen berichten. Dann will ich, dass die Mannschaft in die Rettungsboote steigt.
„Aber, Kapitän, die Schild...“
„Das war ein Befehl, Leutnant!“
Der Leutnant tat wie ihm geheißen und ließ die Evakuierung einleiten. Nur der Kapitän blieb auf der Brücke und schaute hinaus. Nichts war mehr von der Selbstgefälligkeit geblieben. Er hatte seinen Feind und die Arglist unterschätzt, und sich somit täuschen lassen. Dies war der letzte Kampf der Schild, und er hatte ihn verloren.
Jubel brach auf der Brücke des Zerstörers aus, als man sah, wie das vermeintlich unzerstörbare Schiff des Feindes explodierte.
„Sir, feindliches Schlachtschiff zerstört!“, meldete der Leutnant, und auch der Captain atmete erleichtert auf. Es war mehr Glück als alles andere, dass die Fertigstellung der Unterseeboote gerade noch rechtzeitig geschah, sonst hätte er die List, die Schiffe mit minimaler Besatzung als Ablenkung vorauszuschicken, nie anwenden können. Diese neuen Unterseeboote waren stark bewaffnet, aber auch langsam, also brauchten sie Zeit, den benötigten Abstand zum Schlachtschiff zu erreichen.
„Macht die Beiboote klar und rettet die Überlebenden.“
„Zu Befehl, Sir, wir holen unsere Leute aus dem Wasser.“
„Nein, auch die Besatzung unseres Feindes. Denken Sie daran, wir alle sind Menschen, die Befehlen folgen. Aber egal welche Seite, wir lassen niemanden hier auf offener See sterben.“
„Zu Befehl, Sir“, erhielt er leicht verwirrt von seinem Leutnant zur Antwort. Das letzte, was er wollte, war, als Unmensch bezeichnet zu werden. Und vielleicht hatten diese Leute noch wichtige Informationen.
In Gedanken war er bei den Männern, die sich freiwillig gemeldet hatten, als Besatzung auf den Schiffen zu dienen, die zur Ablenkung eingeteilt waren. Er würde dafür sorgen, dass jeder davon erfahren würde.