Das Lied, um das es hier geht, gehört zum Genre „Melodic Power Metal“, heißt „Angels on Neon Wings“ und ist von der Band Dragony.
https://www.youtube.com/watch?v=K2oAwr62eQU
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Das Lied beginnt, und vor meinem geistigen Auge entstehen sofort wieder die phantastischen Szenen, die mich nicht mehr loslassen. Ich stelle mir eine Dystopie vor, mit erschöpften, verletzten und doch schlicht überlebenden Fantasykriegern. Doch wer mögen sie nur sein?
In the shape of things to come
With our visions and memories undone
After Third Impact a new age begins
As we are clensed from all our sins
All ihre Erinnerungen und Träume sind zerstört worden. Der dritte Einschlag läutet ein neues Zeitalter ein, ein Zeitalter, in dem alles und jeder von vorne beginnt. Ich komme nicht umhin, die Stadtruine, in der sie stehen, bildhaft vor mir zu sehen. Eingestürzte Hochhäuser in der Ferne, ein brennendes Wohngebiet, zerstörte Fabrikgebäude nahe eines Flusses, der mit träger Gleichgültigkeit Trümmer in Richtung Meer trägt.
And now our eyes will shine in the darkness
In the magic and mystery of night
Winter has come with evangels of madness
And all these shadows will turn into light
Doch etwas hat die Krieger verändert – oder hat sich die Welt verändert? Ihre Augen werden von nun ab in der Dunkelheit erstrahlen. Vermutlich liegt das eher daran, dass ewige Finsternis herrscht, den dass der Winter angebrochen ist, wäre ein Hinweis auf fehlendes Sonnenlicht. Doch warum kam der Winter mit den Botschaften des Wahnsinns?
Irgendetwas muss es mit dieser Dunkelheit auf sich haben, denn dass am Ende der Strophe alle Schatten zu Licht werden, spielt auch wieder mit der Hell-Dunkel-Thematik. Aber ich kann mir darauf einfach keinen Reim machen, obwohl ich das Lied gute zweihundert Mal angehört habe.
Das Licht bringt aber offenbar Hoffnung in die Welt, denn ab hier verändert sich die Melodie, wird weniger melancholisch, energetischer, steigert sich und bereitet damit den Refrain vor.
Light up all the stars in the heavens
And see how they shine
Our dreams are forever and our souls are entwined
Let all your hearts now unwind
Alle Sterne am Himmel sollen entzündet werden und Licht über die Welt entsenden – selbst sie scheinen also zu Beginn des Lieds verdeckt zu sein. Und dann kommt für mich diese Hoffnung auf, als es heißt, dass die Träume ewig währen und die Seelen der Krieger miteinander verflochten sind, sie ihre Herzen nun öffnen sollen. Wenn es zu Beginn noch heißt, dass alle Erinnerungen und Zukunftsvisionen zerstört wurden, so ist hier doch von ewigwährenden und damit unzerstörbaren Träumen die Rede.
Und dann, dann kommt der Refrain. So verrückt die Bilder auch sind, die er in meinem Kopf erzeugt, so sehr liebe ich ihn.
And we fly high
Into the sky
Our wings shining neon
It’s do now or die
Rise high
In sapphire light
Angels on fire
Burn through the night
Sie fliegen hoch hinauf in den Himmel, getragen von ihren neonfarbenen Schwingen, um zu tun, was getan werden muss, denn der Tod ist die einzige Alternative. Sie steigen höher und höher, dem saphirblauen Licht entgegen – wie brennende Engel, die die Dunkelheit der Nacht durchschneiden.
So widersprüchlich die Bilder auch sind, die dabei in meinem Kopf entstehen – Höhenflug und verbrennen, saphirblaues Leuchten und brennende Flammen, Tun und Tod – , irgendetwas an diesem Refrain berührt mich, lässt eine Entschlossenheit und Energie durch mich fließen, die die Krieger des Lieds auch verspüren müssen. Was mag nur ihr Ziel sein?
We have fought in desperation
Castigated and chastised
Prayed in vain for our salvation
In the plans that we devised
Just like puppets to a master
We all danced on silver strings
Going fast yet falling faster
Angels on our neon wings
Sie haben in völliger Verzweiflung gekämpft, wurden gegeißelt und kasteit, haben beim Pläneschmieden vergeblich um ihre Errettung gebetet. Wie die Marionetten eines Puppenspielers tanzten sie an den silbernen Fäden, die sie führten, kamen rasch voran, fielen jedoch noch schneller. Sie waren Engel mit neonfarbenen Flügeln.
Es hört sich an, als seien sie nur Schachfiguren in einem großen Krieg gewesen, die zwar dem Ziel ihrer Führer immer näher kamen, doch dabei immer tiefer ins Unglück stürzten.
And now the lights are fading to darkness
Feel it coming, and start to give in
Leaving behind all your sorrows and sadness
As the dawn of a new day creeps in, let it begin
Doch jetzt verblassen die Lichter in der Dunkelheit, sie fühlen etwas kommen und beginnen, dem nachzugeben. Was mag es nur sein, das sie da ruft, sich ihnen nähert? Sie jedenfalls fordern einander auf, es zuzulassen, alle Sorgen und die Traurigkeit abzustreifen, neu zu beginnen, sobald das Licht des neuen Tages langsam in die Welt dringt.
Was auch immer genau diese Strophen aussagen – für mich hört es sich so an, als wären die Krieger endlich frei. Als dürften sie auf einen Neuanfang hoffen, als würde ihnen nun all das vergeben werden, was sie getan haben. Ein neuer Tag bricht an und vertreibt die Schwärze der Nacht, die nach dem Krieg hereingebrochen ist.
Und dann wieder der Refrain, bevor ein Zwischenspiel beginnt, dessen Melodie völlig anders ist als die der anderen Strophen.
You would do anything for love
Love wouldn‘t do anything for you
Like a bat straight out of hell
Into the midnight skies you flew
But the walls are closing in
Tell me what it is you see
It is you or it is me
It is flesh or fantasy?
Don’t know what’s right
Don’t know what’s wrong
But in the dark of the night
Is where we will both now belong
Die Sänger wenden sich an jemanden, den sie direkt ansprechen. „Du würdest alles für die Liebe tun, doch die Liebe würde nichts für dich tun“, eröffnen sie der Person. „Wie eine Höllenfledermaus bist du in den schwarzen Nachthimmel hinaufgeflogen – doch die Wände kesseln dich immer weiter ein. Sag mir, was siehst du? Dich selbst oder mich? Wirklichkeit oder Fantasie? Ich weiß nicht, was richtig oder falsch ist. Aber wir gehören jetzt beide ins Dunkel der Nacht.“
Immer wieder erinnern mich diese Worte an den Tanz der Vampire, doch ich kann nur die Höllenfledermaus und die Tatsache, dass die Personen nun ins Dunkel der Nacht gehören, als Belege dafür anführen. Andererseits singen auch die dortigen Protagonisten davon, dass sie kaum noch wissen, was richtig und was falsch ist.
Doch ich kann nicht glauben, dass das ganze Lied sich um den Tanz der Vampire dreht. Die dystopischen Bilder passen nicht dazu.
Ich zerbreche mir seit vielen Monaten den Kopf darüber, wovon genau dieses Lied handelt. Es muss sich dabei um einen Film, eine Serie, ein Computerspiel, ein Buch, ein Spiel oder etwas in dieser Art handeln – das ganze Album „Masters of the Multiverse“ ist eine Hommage an die Dinge, die die Künstler durch ihre Jugend begleitet haben. „Eternia Eternal“ ist He-man gewidmet, „Flame of Tar Valon“ der Buchreihe „Rad der Zeit“, „Evermore“ der gleichnamigen Reihe, „Fallen Star“ dem Computerspiel Diablo, „The Iron Price“ könnte sich auf „Das Lied von Eis und Feuer“ beziehen, „Days of High Adventure“ huldigt dem Rollenspiel an sich. Doch wofür stehen die übrigen Lieder?
Am meisten fasziniert mich aber weiterhin „Angels on Neon Wings“. Und ich fürchte, ich werde es noch mehrere hundert Male hören, bis ich endlich jemanden finden, der versteht, was Dragony da verehrt.
Du hast eine Idee? Ich freue mich über jeden Hinweis :-)