Fortsetzung von "dunkel"
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Einer der Wachleute öffnete den beiden den „Safe“ und begleitete sie hinein. Niemand, nicht einmal die Angehörigen der Museumsdirektion, durften diesen Raum allein betreten. Zu wertvoll waren die Stücke, die hier aufbewahrt wurden.
Tanja ging sehr behutsam mit der Styroporbox um, in der sie den Schädel wieder transportierten. Sie unterhielt sich mit der freundlichen Wache, die sich sehr für das neueste Stück des Museums interessierte und allerlei laienhafte, aber kluge Fragen stellte.
Jessica beteiligte sich nicht an dem Gespräch. Schweigsam folgte sie ihrer Kollegin und versuchte, den Gedanken zu fassen zu bekommen, der sich irgendwo in der hintersten Ecke ihres Verstands beharrlich ihrem Zugriff entzog. Was war es, das ihr an dem Loch im Schädel aufgefallen war?
Sie hielt die beiden Löcher nicht unbedingt für die Todesursache der Person. Ja, die Verletzungen waren nicht unerheblich, doch wenn ansonsten alles gut ging und die Mitglieder der wie auch immer gearteten sozialen Struktur, die damals vorherrschte, sich um die verletzte Person kümmerten, war solch eine Wunde auch zu jener Zeit schon überlebbar. Die heutigen Menschen neigten stets dazu, ihre Vorfahren und deren Fähigkeiten maßlos zu unterschätzen.
Was könnte der Person wohl zugestoßen sein? Niemals würde sie es zugeben, doch Jessica liebte es, sich in ihrer Fantasie in die Welt von damals hineinzuversetzen. Es war eine ganz und gar unwissenschaftliche Methode, aber sie hatte oft das Gefühl, dass ihr Instinkt sie leitete, wenn sie sich nur ausreichend tief in die Lebenswelt ihrer Untersuchungsobjekte hineinbegab. Und dieser Schädel war genau so ein Fall. Sie war sich sicher, dass sie ihrem Bauchgefühl hier nachgeben sollte – sie würde die Geschichte des Todes dieser Person nachvollziehen können, wenn sie die Löcher verstand. Oder umgekehrt. Je nachdem, welche Erkenntnis ihr zuerst kam.
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Fortsetzung mit "Fang"
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