Hinweis: Dieses Kapitel dient mir dazu, die Charaktere für mein Hauptwerk "Mondscheinserenade" zu entwickeln bzw. zu verfeinern. Falls ihr die hier vorgestellten Personen mögt, schaut doch mal rein!
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Seufzend saß er auf seinem Bett und spürte in sich hinein. Ein unbestimmtes Gefühl der Unzufriedenheit nagte seit Tagen in ihm, doch er konnte es einfach nicht fassen, begreifen, definieren. Es war wie eine innere Unruhe, ein Sehnen, ein Bedürfnis, aber er konnte es nicht stillen, ohne es zu verstehen ...
Er atmete bewusst aus, stützte die Ellbogen auf die Knie und legte das Gesicht in seine Hände. Was war denn nur los mit ihm ...? Er mochte doch, was er tat. Auch hier im Ausland, weit fort von zuhause.
Zuhause ... war es vielleicht das, was ihm fehlte? Er war schon viel zu lange nicht mehr dort gewesen. Seine Eltern und deren Freunde, seine Cousins und Cousinen ... War es normal, dass man noch als Erwachsener diese Art Heimweh verspürte, wenn man seine Familie eine Weile nicht gesehen hatte? Obwohl er sich hier unter seinen Kameraden befand, fühlte er sich auf eine bedrückende Art ... einsam. Als sei er tief in seinem Innern unvollständig. Als fehle ein Teil seines innersten Wesens. Es war nicht viel, nur ein kleiner Splitter. Doch je länger er dieses Stück seiner Selbst vermisste, desto intensiver wurde das Gefühl.
Er war jetzt schon fast ein Jahr hier, unter der sengenden Sonne Afrikas, viel näher am Äquator als üblich. Ihm fehlte der Geruch der Wälder, der Duft des morgendlichen Taus auf den Wiesen, der Geschmack der Luft, wenn man tief einatmete und förmlich schmeckte, wie sich die Erde nach einem Regenguss mit Wasser vollgesogen hatte. Die Geräusche der Vögel und Insekten.
Aber vor allem die Menschen, die er liebte.
Es war wohl ein Fehler gewesen, den sechsmonatigen Auslandseinsatz übergangslos um ein weiteres halbes Jahr zu verlängern.
Nicht, dass er etwas bereute. Er hatte sich dieses Leben ausgesucht. Er war glücklich hier, mitten unter seinen Kameradinnen und Kameraden, hatte Freude an der Tätigkeit eines Sanitätssoldaten. Er liebte die dankbaren Augen der Leute, denen sie halfen, die sie medizinisch versorgten. Selbst, wenn sie in voller Kampfmontur und mit Bewaffnung unterwegs waren, kamen oft Kinder auf sie zugestürmt und jubelten ihnen zu, weil sie wussten, dass diese Personen ihre Familien und Freunde gesund machten. Oder beschützten. Je nachdem, was erforderlich war.
Und auch die Auseinandersetzungen mit denen, die anderer Ansicht waren, gefielen ihm. Natürlich sagte er das nie laut, doch insgeheim genoss er das Adrenalin, das ihn erfüllte, wenn sie angegriffen wurden. Einmal hatte er sich in seiner Verteidigungsstellung sogar zusammennehmen müssen, sich vom Kampfrausch nicht so sehr überwältigen zu lassen, dass er von der Verteidigung zum Gegenangriff überging. Im Nachhinein hatte ihm diese Reaktion sogar ein wenig Angst gemacht. Er war Unteroffizier – er durfte sich keinesfalls zu solchen Aktionen hinreißen lassen. Seine Gruppe würde ihm, ihrem Fahrzeugführer, folgen. Er war für sie und ihre Patienten verantwortlich. Er musste vernünftig bleiben.
Doch je länger er das Fehlen dieses kleinen Teils in seinem Inneren ertrug, desto reizbarer wurde er. Letzte Nacht hatte er sogar davon geträumt. Er war in seinem Traum so aggressiv gewesen, dass er bei einem Angriff die Deckung verlassen hatte, sich auf den Gegner gestürzt und ihn mit dem Messer getötet hatte. Nicht verletzt, nicht außer Gefecht gesetzt – er hatte ihn umgebracht. Und es hatte sich verdammt gut angefühlt.
Er durfte es keinesfalls so weit kommen lassen, dass dieser Traum Realität wurde.
Noch zwei Wochen. Die musste er durchhalten. Dann flog er nach Hause.
Hoffentlich würde das helfen. Hoffentlich war es das, was ihm fehlte: seine Familie. Sein Seelensplitter, der ihn wieder vollständig machen konnte.
Hoffentlich.