Hinweis: Dieses Kapitel dient mir dazu, die Charaktere für mein Hauptwerk "Mondscheinserenade" (https://belletristica.com/de/books/16666-mondscheinserenade) zu entwickeln bzw. zu verfeinern. Falls ihr die hier vorgestellten Personen mögt, schaut doch mal rein!
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„Wir müssen uns ernsthaft überlegen, was wir deswegen unternehmen“, erklärte Barbara. „Es wird immer schwieriger, hier unerkannt zu bleiben. Dass sie jetzt schon Kinfolk jagen, ist wirklich bedenklich.“
Sebastian, der stellvertretende Leitwolf, nickte. „Wir müssen unbedingt herausfinden, woher sie wussten, dass es sich bei ihnen um Kinfolk gehandelt hat. Es wäre gut möglich, dass sie irgendwie auch vom Rudel erfahren haben – und dann wären wir alle in Gefahr. Hat jemand eine Idee, wo sie die Namen erfahren haben könnten?“
Barbara ließ ihren Blick umherschweifen.
Jonathan sah betrübt aus, hing aber wie immer an den Lippen seines großen Bruders Sebastian. Dem hätte er einen möglichen Verdacht längst mitgeteilt, falls er einen haben sollte.
Ralf sah aus, als habe sie ihn persönlich beleidigt. „Ich habe ganz sicher nichts verraten“, grummelte er vor sich hin. „Hat auch niemand behauptet“, erklärte Sebastian, dessen Tonfall klar erkennen ließ, dass Ralf seine Geduld gehörig strapazierte. Immer nahm er alles persönlich.
Barbaras Blick wanderte weiter zu Drifa. Die würde es sofort sagen, wenn sie auch nur einen Verdacht hätte. Die Wolfsgeborene war dafür bekannt, alles direkt und ungefiltert auszusprechen, doch sie sah Barbara nur mit offenem Blick an und bliebt stumm.
Auch Volker hatte nichts zu sagen. Er war nervös, das sah Barbara schon allein an seiner verkrampften Haltung.
Barbaras Sohn Johannes war ebenso ratlos wie die übrigen. Er war noch ein junger Werwolf, hatte sich erst wenige Male verwandelt, und die Tatsache, dass die Jäger jetzt möglicherweise ganz explizit Jagd auf ihr Rudel machten, flößte ihm sichtbar Angst ein. Barbara würde später in Ruhe mit ihm darüber sprechen müssen.
Margot war Barbaras Hoffnung. Sie war die neugierigste Person, der Barbara je begegnet war. Kein Gerücht ging an ihr vorbei, sie sammelte Informationen, als würde sie für jedes Wort bezahlt. Und tatsächlich nickte sie Barbara zu. „Sie waren nicht besonders vorsichtig, was manche Äußerungen betraf. Ich kenne Menschen, die sich schon laut gewundert haben, was für eine blühende Phantasie die beiden doch hatten. Und andere haben sich gefragt, ob die beiden geistig ganz gesund sind. Auf einer Party haben sie wohl mal zu viel getrunken und die Gäste versucht, davon zu überzeugen, dass Werwölfe existieren – manche haben das für die Ausgeburt einer besoffenen Fantasie gehalten, andere glauben seitdem, die beiden wären Anhänger einer Werwolf-Verschwörungstheorie. So wie die Flat-Earthler.“
„Flat-Earthler?“ Barbara hatte noch nie von dem Begriff gehört.
„Die glauben, die Erde sei flach und die Regierung belügt uns mit dem Globusmodell“, erklärte Margot, als sei das die größte Selbstverständlichkeit.
Barbara fielen fast die Augen aus dem Kopf. „Wie bitte? Wer glaubt denn so einen Mist? Was hätten die denn davon?“
Margot grinste. „Jaaaa, das ist der Haken an der ganzen Verschwörungstheorie. Jede dieser Theorien hat ja einen Schwachpunkt, aber die meisten glauben zu wissen, wer davon profitiert. 9/11, Echsenmenschen, Hollow Earth, Ancient Aliens, Chemtrails, die Mondlandungsskeptiker – die haben da alle eine zwar verquere, aber bei oberflächlicher Betrachtung halbwegs plausible Erklärung. Aber die? Alles völliger Quatsch.“
Jetzt mischte Jonathan sich ein. „Sagen die nicht was davon, dass der Rand schwer bewacht wird und dahinter die Supermächtigen irgendwas Geheimes machen?“
Margot lachte. Sie war jetzt ganz in ihrem Element. „Oh ja, genau! Sie behaupten, man wird aufgehalten, wenn man sich dem Rand nähert, deshalb sei der Eisring um die Erde, die wir für Arktis oder Antarktis halten, Sperrgebiet.“
Sebastian hob eine Hand. „Lasst uns mal nicht abschweifen, bitte. Über solcherlei Firlefanz können wir uns später auch noch unterhalten, wenn die Pizza kommt. Du hast also gehört, dass die beiden Getöteten die Existenz von uns Werwölfen öffentlich diskutiert haben?“
„Na ja, was heißt ‚öffentlich‘ ...“ Margot hob die Schultern. „Auf Parties und so, im Freundes- und Bekanntenkreis. Gut möglich, dass es da irgendwie an die falschen Leute geriet.“
Barbara nickte ihr dankbar zu. Das war ein vielversprechender Hinweis. Außerdem deutete er darauf hin, dass sie nicht unbedingt in Gefahr waren.
Dann fiel ihr Blick auf Adrian. Der junge Mann saß gelangweilt auf seinem Stuhl, wippte damit leicht vor und zurück, und strahlte absolutes Desinteresse aus. „Hast du eine Idee, Adrian?“, versuchte sie, ihm eine Brücke zu bauen.
„Pffff, nö.“ Er gab sich noch nicht einmal mit dem Schulterzucken Mühe, deutete es nur an, anstatt die Schultern wirklich anzuheben.
Bevor Barbara etwas sagen konnte, fuhr Jonathan Adrian an. „Sag mal, interessiert es dich überhaupt nicht, dass Jäger das Rudel bedrohen?“
Adrian wandte betont langsam den Kopf in Jonathans Richtung. „Hey, wir wissen nicht mal, ob das nicht nur Zufall war. Es war ein Scheißautounfall.“
„Bei dem rein zufällig die Reifen auf der Autobahn geplatzt sind!“, brüllte Jonathan plötzlich. „Na klar! Das ist genau das Vorgehen von Werwolfjägern! Machst du dir nicht mal um Mareike Sorgen? Sie ist deine verdammte Cousine!“ Seine Brust hob und senkte sich heftig, doch Adrian sah ihn nur mitleidig lächelnd an.
„Reg dich mal ab, Mann. Nur, weil sie meine Cousine ist, heißt das nicht, dass ich ihr den Arsch hinterhertragen muss, so wie du. Willst du jetzt was von ihr oder nicht? Du solltest dich langsam echt mal entscheiden, sonst schnappt sie dir noch einer weg.“
Bevor Jonathan eine gepfefferte Erwiderung geben konnte, legte Sebastian ihm die Hand auf die Schulter. „Hey, beruhig dich. Damit hat er tatsächlich Recht – komm runter. Wir tun, was wir können, um auf unser Kinfolk aufzupassen, das weißt du.“
Mit einem schicksalsergebenen Nicken ließ Jonathan sich wieder auf den Stuhl fallen. Er sah betont nicht in Adrians Richtung.
Als endlich die Pizza geliefert wurde, entspannte sich die Stimmung spürbar. Man war zu dem Konsens gekommen, dass mehr Nachforschungen nötig waren, um sicherzugehen, dass der Autounfall tatsächlich ein Anschlag auf das Leben der beiden Kinfolk gewesen war. Außerdem war man sich recht sicher, dass dem übrigen Rudel keine direkte Gefahr drohte. Die Gespräche drehten sich wieder um andere Themen, unter anderem um abstruse Verschwörungstheorien, von denen besonders die der hohlen Erde viele Lacher hervorrief.
„Also, Leute, ich geh dann. Hab heute noch was vor“, erklärte Adrian augenzwinkernd und stand auf. „Bis nächstes Mal!“
Als er im Flur stand, um seine Jacke anzuziehen, trat Barbara zu ihm und schloss die Tür zum Wohnzimmer.
„Was ist los, Adrian?“
Er gab sich erstaunt. „Was soll los sein? Du hast mir letztendlich doch Recht gegeben – wir wissen nicht sicher, ob es nicht einfach ein Unfall war!“
Doch die Leitwölfin war nicht überzeugt. „Was hast du jetzt noch vor?“
Er stellte ein sorgloses Grinsen zur Schau. „Na was wohl – ein bisschen Party in einem Club, ein paar heiße Mädels für heute Nacht klarmachen!“
„Du weißt, dass du jederzeit mit mir reden kannst, oder?“
„Klar. Bis dann!“ Rasch wandte Adrian sich ab und verließ das Haus.
Er hatte keinen Bock auf diesen „Du kannst mir vertrauen“-Talk. Er hatte nur eins im Sinn, und das war, sein Leben zu genießen. Er wollte sich keine Gedanken über Werwolfjäger oder solche Dinge machen – er wusste, wie schnell es vorbei sein konnte. Und sein erklärtes Ziel war es, bis zu seinem Tod so viele Parties zu feiern, so viele Cocktails zu trinken, so viele Mädchen im Bett zu haben, wie es irgendwie möglich war. Werwölfe lebten fast nie besonders lang. Er würde seine Zeit auskosten.