Ein Klopfen an der Tür. Das konnte nur einer sein.
»Herein!«
Die Tür öffnete sich und Severus Snapes finstere Gestalt erschien.
»Guten Abend, Severus«, begrüßte Remus Lupin ihn freundlich und erhob sich umständlich von seinem Schreibtischstuhl.
»Remus«, gab Severus nur mit einem missmutigen Gesichtsausdruck zurück und trat näher. In der Hand hielt er einen Becher mit einer bläulich dampfenden Flüssigkeit.
»Ist es schon wieder Zeit für meinen Schlummertrunk?«
»Wenn du ihn so bezeichnen willst.« Severus' Lippen kräuselten sich. »Ich bin überzeugt, ein echter ›Schlummertrunk‹ ließe sich deutlich einfacher herstellen als der Wolfsbanntrank.«
Remus setzte ein entschuldigendes Lächeln auf. »Ich weiß, Severus. Ich wollte gewiss nicht deine Fähigkeiten denunzieren.«
Er nahm ihm den Trank ab und roch daran. Ein Schaudern lief ihm über den Rücken. »Manchmal gefällt es mir nur, mir einzureden, dieser Trank würde mir einfach helfen, in einer Vollmondnacht gut schlafen zu können.«
»Zumindest hilft der Trank allen anderen in deiner Umgebung, das zu tun.«
»Wohl wahr.«
Remus leerte den Becher mit ein paar kräftigen Zügen. Heiß und bitter floss der Trank über seine Zunge seine Kehle hinab und wogte wie Magma in seinem Magen umher.
»Ich danke dir«, sagte er und kämpfte gegen den Drang an, sich an die gereizte Kehle zu fassen.
Severus schnaubte nur und nahm den leeren Becher wieder entgegen.
»Morgen ist es so weit. Vergiss nicht, vor dem Anbruch der Dämmerung in der Heulenden Hütte zu sein. Ich bringe dir die letzte Dosis wie immer direkt dorthin.«
»Gewiss«, versicherte Remus und ließ sich schwer wieder auf seinen Stuhl fallen.
Entgegen seiner Gewohnheit, wandte sich Severus nicht sofort zum Gehen, sondern trat einen Schritt auf Remus zu.
»Geht es dir nicht gut?«
Remus winkte ab. »Morgen ist Vollmond. Natürlich geht es mir …«
»Das meine ich nicht.«
Severus kam noch näher und blieb schließlich genau vor Remus sitzender Gestalt stehen. Seine dunklen Augen fixierten ihn genau.
»Du siehst schlecht aus.«
Remus lachte kurz humorlos auf. »Ich weiß. Dieser Umhang ist längst hinüber. Und graue Haare bekomme ich auch immer me…«
»Das meine ich nicht.«
Remus zuckte zusammen, sah auf und begegnete Severus' ernstem Blick. Unerwartet legte der Zaubertränkemeister Remus die Hand auf die Stirn. Sie fühlte sich rau und trocken und angenehm kühl an.
»Du hast Fieber. Wie ein Muggel«, stellte Severus fest und seine Lippen kräuselten sich erneut. Er zog die Hand weg. »Wieso gehst du nicht zu Madam Pomfrey und lässt dir etwas dagegen geben? Wenigstens so viel Verstand hätte ich dir zugetraut.«
»Ach was, Severus, wegen so einer Lappalie werde ich sie doch nicht behelligen.«
»Lächerlich.« Severus schnaubte erneut missbilligend. »Ich wusste ja, dass du verantwortungslos und nicht ganz beisammen bist. Aber zumindest für undankbar hätte ich dich nicht gehalten. Ich habe keine Lust, noch einmal deinen Unterricht bei den Drittklässlern zu übernehmen.«
»Keine Sorge, Severus, dazu wird es schon nicht kommen. Sicher sind das nur die Vorboten des W… der morgigen Nacht. Nach einer Nacht in der Heulenden Hütte bin ich wieder ganz der Alte, wie immer.«
»Wie du meinst.«
Snape wandte sich nun doch um und schritt mit wehendem Umhang zur Tür.
»Bevor die Dämmerung anbricht bist du in der Hütte«, schärfte er ihm noch einmal ein.
»Gewiss«, erwiderte Remus und bemühte sich um ein Lächeln. »Danke noch einmal und gute Nacht.«
Severus schloss grußlos die Tür.
Den nächsten Tag verbrachte Remus in seinem verschlossenen Büro. Zweimal hatte es an seiner Tür geklopft und jemand hatte ihm Frühstück und Mittagessen angeboten, doch er hatte abgelehnt. Er brachte nichts herunter.
Als die Schüler in ihren Gemeinschaftsräumen waren und vor dem Abendessen ihre Hausaufgaben erledigten, schlich Remus aus seinem Büro und nahm den alten Geheimgang, der ihn direkt in die Heulende Hütte führen würde. Wie jedes Mal kam ihm der Weg durch den engen, niedrigen Lehmgang endlos vor. Keuchend erreichte er schließlich die hölzerne Klappe, die in den Boden der Hütte eingelassen war. Dahinter hörte er das Heulen des Windes, der durch die Ritzen der alten Hütte pfiff. Schon bei dem Gedanken schüttelte sich Remus. Aber für Werwölfe gab es nun einmal keine warmen Kaminzimmer in einem Luxushotel.
Er stemmte sich gegen die Falltür und schob sie auf. Kälte schlug ihm entgegen und ein modriger Geruch. In der Hütte war es dunkel, auch wenn es noch eine Stunde bis zum Einsetzen der Dämmerung war.
Remus kroch hinauf und steuerte die Ecke an, die er schon als Hogwarts-Schüler als die gemütlichste in der Hütte ausgemacht hatte, wenn man diese überhaupt so bezeichnen konnte. Immerhin war sie ein bisschen weniger zugig als die anderen und er mochte das Gefühl der ebenen hölzernen Planken in seinem Rücken. Sie gaben ihm ein Gefühl von Sicherheit.
Umso überraschter war er, als er zwei große Decken in ebenjener Ecke liegen sah. Daneben standen ein Becher Kürbissaft und ein großer Teller mit weichen Brötchen. Ganz am Rand gewahrte er zudem einen kleinen Kessel, unter dem ein verzaubertes Feuerchen prasselte. Im Kessel befand sich derselbe bläulich dampfende Trank, den er vor jeder Verwandlung zu sich nehmen musste. Und dann, in den tanzenden Schatten, die das Feuer warf, sah er noch ein kleines Fläschchen. Es war ordentlich verkorkt und enthielt eine dunkelrote Flüssigkeit, die Remus als Aufpäppeltrank erkannte. Darunter befand sich ein Stück abgerissenes Pergament mit den Worten »Mindestens eine Stunde vor dem Schlummertrunk trinken« in Severus' markanter Handschrift.
Ein Lächeln schlich sich auf Remus Lippen.
»Danke«, flüsterte er in das Heulen des Windes und das Knarzen des Holzes. Dann ließ er sich neben dem Feuer nieder, hüllte sich in eine der Decken und entkorkte den Aufpäppeltrank.