»Was willst du mit dem ganzen Firlefanz?«
Rob schob die Unterlippe vor. »Hey! Es soll doch schön werden!«
»Ja, deshalb frag' ich ja.«
»Ach, sei doch nicht so. Du heißt doch Jojo und nicht Scrooge.«
»Pah, Humbug!«, zitierte ich mit bester, schnarrend-beißender Scrooge-Stimme, konnte aber ein Grinsen nicht unterdrücken. »Die Analogie hinkt im Übrigen, schließlich ist nicht Weihnachten. Und außerdem bist du der einzige, der mich so nennt«, gab ich zurück. Rob quittierte es mit einem Lächeln und fuhr damit fort, unsere Küche mit bunten Girlanden und Papierschlangen zu verunstalten. Ich stieß mich vom Türrahmen ab und ging ein paar Schritte näher an das vielfarbige Grauen.
»Wenn du das alles aufhängst«, ich deutete auf den Plastikbeutel neben Rob, der noch zu einem guten Teil gefüllt war, »krieg ich Augenkrebs oder mir fallen meine überaus wichtigen Sehorgane direkt aus den Höhlen. Du wirst ja wohl weder das eine noch das andere wollen.«
»Ach, komm schon, Jojo. Nur noch ein paar. Ich werde schließlich nur einmal 22.«
»Zum Glück!« Ich seufzte. »Häng wenigstens nicht die rote neben die pinke, das ist wirklich widerlich.«
»Aye, aye!«
Rob dekorierte weiter fröhlich vor sich hin und förderte dabei ein paar Partyhütchen zutage, die für meinen Geschmack eindeutig zu viel Glitzer abbekommen hatten, während ich nur in meiner Küche – okay, in unserer Küche – herumstand wie ein Grufti im Kinderparadies. Ein Kinderparadies, in das sich ebenjene Küche nach und nach verwandelte. Fehlten nur noch ein Bällebad und eine Hüpfburg. Aber ich hütete mich, das laut auszusprechen. Ich war mir sicher, dass Rob das für eine gute Idee halten würde.
Wurde der wirklich 22 und nicht 12?!
»Ich geh mal einkaufen«, beschloss ich, um dem Feenreich des farbigen Firlefanzes für eine Weile zu entkommen.
»Super! Kannst du noch Sekt mitbringen?«
»Kindersekt?«, entglitt mir schneller als ich nachgedacht hatte, aber Rob erwiderte nur »Nee, schon richtigen Sekt. Rosé oder so.« und drapierte eine regenbogenfarbige »HAPPY BIRTHDAY«-Girlande direkt an der Wand über dem Balkonfenster.
Ich hielt es für besser, mich zu verkrümeln, bevor ich Rob fragen konnte, woher er von der Existenz von Rosé-Wein wusste. Ich hatte ihn in den letzten anderthalb Jahren nichts anderes als Mate und Bier trinken sehen. Bestenfalls mal einen Orangensaft oder ein Wasser.
Ich nahm den Schlüssel vom Haken und machte mich auf den Weg zur girlandenfreien Zone mit den vier großen roten Buchstaben.
Als ich vom Supermarkt zurückkam, war der Zustand der Küche ordentlich eskaliert.
»Ernsthaft, Rob? Ich war nicht mal 'ne halbe Stunde weg!«
»Was denn? Ist doch super geworden.«
Ich stellte die Einkäufe auf die Arbeitsfläche neben der Spüle und atmete tief durch.
»Du willst aber schon, dass ich mitfeiere, oder?«
Rob sah mich verwirrt an. »Ja, klar!«
»Was soll das dann?!«
Ich machte eine Geste, die den Girlanden-Dschungel samt Papierschlangen in augenkrebserregenden Kombinationen, den Konfetti-bestäubten Küchentisch, die Bouquets aus knallbunten Luftballons mit jeweils einer »2« drauf und den Glitzerhütchen-tragenden Rob mit einbezog. Zu allem Überfluss war Rob offenbar gerade dabei, die fünfhundert nervigsten Geburtstagsplaylists des Jahrtausends auf Spotify am Handy durchzugehen, denn aus unserem Bluetooth-Lautsprecher quäkte DJ Bobo heiter-nervig »Happy birthday! Celebration! Party night, come feel the vibration, lights are bright, we're feeling alright«. Ich fühlte mich aber alles andere als »alright«!
Offenbar stand mein Gemütszustand deutlich genug in meinem Gesicht, denn Rob drehte die Musiklautstärke auf ein Minimum runter und sah mich an wie ein geprügelter Hund.
»Sorry, Jojo, ich hab's vielleicht doch ein bisschen übertrieben …«
»Ja, vielleicht hast du das.« Ich atmete angestrengt aus und dann ein paar Mal durch. »Mann, Rob, wieso können wir nicht stilvoll feiern? Beim Weihnachtsdinner hast du das doch auch hinbekommen! Warum jetzt so ein Firlefanz?«
»Aber Weihnachten war doch nur für uns beide«, wandte er kleinlaut ein. »Nachher kommen doch Natascha und Ben und Lina und Frank und da wollte ich halt was anderes machen … weil … weil das andere doch nur uns beiden gehört.«
Für einen Moment war ich sprachlos. Im nächsten fuhr ich mir mit der Hand übers Gesicht und massierte meine geschlossenen Augen.
»Meine Güte, manchmal frage ich mich echt, was da drin vor sich geht.« Ich tippte Rob an die Stirn, ging an ihm vorbei und nahm mir ein Bier aus dem Kühlschrank.
»Ich feiere mit, aber nur unter zwei Bedingungen.«
Rob blickte mich an, als hätte ich ihm versprochen, nackt aus einer Torte zu springen. Was ich definitiv nicht tun würde.
»Erstens: Du machst auf gar keinen Fall so eine scheußliche Musik an. Niemand auf der Welt, der auch nur ein Fitzelchen Geschmack besitzt, findet so was gut. Nicht mal betrunken!«
Rob nickte wie ein Wackeldackel.
»Und zweitens: Sobald die anderen weg sind, versetzt du die Küche sofort wieder in den Normalzustand. Und damit meine ich: Umgehend. Ich will am nächsten Morgen kein einziges Stück Konfetti mehr unterm Tisch finden.«
»In Ordnung.«
Ich seufzte ergeben. Meine Augen schmerzten jetzt schon. Aber ich hoffte, dass es nach zwei oder zwanzig Bier besser werden würde. Wenn Rob unbedingt so feiern wollte und einen Kontrast zu unseren privaten Feiern schaffen wollte, sollte er halt. Vielleicht konnte ich ja auch irgendeine Augenkrankheit vortäuschen und den ganzen Abend mit Sonnenbrille verbringen.
»Danke, Jojo. Das wird der beste Geburtstag aller Zeiten. Ich freu mich jetzt schon!«
Rob strahlte mich an und mein Ärger schmolz wie Eis in der Sonne.
»Mh«, machte ich nur und schnippte ihm gegen die Stirn. »Das solltest du auch, du alter Kindskopf.«
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Die Vorgeschichte von Jojo und Rob könnt ihr in »Wie das Feuer zum Wasser kam« nachlesen: https://belletristica.com/de/books/20331-wie-das-feuer-zum-wasser-kam/chapter/84514-1-advent
Und so kam Frieda zu ihnen:
https://belletristica.com/de/books/20333-frieda
Hier gibt es noch andere Jojo und Rob-Geschichten:
Gänseblümchen: https://belletristica.com/de/books/20354-60-minuten-geschichten/chapter/94944-2020-03-18-ganseblumchen
Ostereier: https://belletristica.com/de/books/20354-60-minuten-geschichten/chapter/97661-2020-04-08-ostereier
Dämmerlicht: https://belletristica.com/de/books/20354-60-minuten-geschichten/chapter/102794-2020-05-10-dammerlicht
Vergebliche Liebesmüh: https://belletristica.com/de/books/20354-60-minuten-geschichten/chapter/103807-2020-05-17-vergebliche-liebesmuh