»Bitte sag mir noch mal, warum genau wir zum Ostereier Färben Wachs brauchen?«
»Das siehst du dann schon, Jojo.«
Ich seufzte. »Na gut. Solang du nicht die Bude abfackelst bei was-auch-immer-du-vorhast.«
»Keine Sorge!« Rob grinste mich auf genau die Art an, weshalb ich mir im Normalfall Sorgen zu machen pflegte. Doch ich beschloss, abzuwarten. Gänseblümchen, Häschen und Sonnenstrahlen – oder so.
Ich platzierte meinen Einkaufsbeutel auf dem Küchentisch, schnappte die Katze im Flug, bevor sie einen Kopfsprung in den Beutel machen konnte und setzte das Tier auf den Boden. Dann begann ich damit, unsere Errungenschaften auszupacken. Nachdem ich die Katze nur zwei weitere Male vom Tisch verbannt hatte, war ich fertig und räumte den Beutel in den Küchenschrank. Dann kehrte ich zum Tisch zurück, nahm die Katze von selbigem und sperrte sie aus der Küche aus. Ein herzzerreißendes Maunzen setzte ein, sobald ich die Tür geschlossen hatte, aber ich war schon immer gut darin gewesen, so was zu ignorieren.
Rob anscheinend nicht.
»Ach, lass Frieda doch zuschauen!«, meinte er, während er in der Besteckschublade kramte.
»Nein, danke, auf angesengte Schnurrhaare und noch mehr Chaos in der Küche kann ich verzichten.«
Unsere weiteren Vorbereitungen wurden noch eine Weile von Maunzen und Miauen in allen möglichen und unmöglichen Tonlagen begleitet, dann wurde es dem Tier anscheinend zu dumm und ein kurzer Kontrollblick bestätigte mir, dass es sich auf die höchste Ebene des Kratzbaumes gelegt hatte, um zu schmollen. Sollte mir recht sein.
Rob hatte indes die Kaltfarben und den Essig zusammengetragen.
»Wo haben wir eigentlich die Dosen hingetan?«, fragte er und sah sich ratlos um.
»Lass mich mal machen. Ich kümmer mich um die Eier und die Farbtöpfe. Du bereitest den Rest vor, von dem ich keine Ahnung habe.«
Gesagt, getan. Während ich die Eier zum Kochen aufsetzte und die Farbtabletten in die Blechdosen warf – eine Woche mit Dosenravioli konnte wahnsinnig lang sein, wenn man Robs Kochkünste gewohnt war, aber was tat man nicht alles für ein fröhliches Osterfest –, stellte Rob zwei große Stumpenkerzen auf und begann dann, mit zwei Esslöffeln und Gummis zu hantieren.
»Und du bist ganz sicher, dass du weißt, was du da machst?«, fragte ich, als Rob versuchte, die Löffel in bester Uri Geller-Manier zu verbiegen. Er scheiterte kläglich.
»Ja, … aber … ich wusste nicht … dass das … so schwer … geht!«, keuchte er. Entgegen meiner Erwartung schaffte er es aber endlich, die Laffe des ersten Esslöffels etwa im rechten Winkel zum Griff zu verbiegen. Mit einem Gummi befestigte er den Löffel so an der einen Kerze, dass die Mulde genau über dem Docht schwebte. Beim zweiten Löffel klappte es schon besser und das Prozedere wiederholte sich. In der Zwischenzeit goss ich Wasser in die Farbdosen und kippte jeweils ungefähr zwei Esslöffel Essig dazu. Die Eier kochten mittlerweile auch und ich stellte meinen Handytimer auf fünf Minuten.
»Meine Güte, kann ich mich nicht mal zehn Sekunden von dir abwenden, ohne dass du Mist baust?«, fauchte ich, als ich mich zu Rob umwandte und ihn mit einem Messer und einer Bienenwachsplatte in der Hand sah, von der er gerade Wachs abschaben wollte. Sofort nahm ich ihm beides aus der Hand.
»Mann, Jojo, ich bin doch keine fünf mehr!«, maulte er.
»Ja, aber wenn ich dich an den Abwasch vor nicht allzu langer Zeit erinnern darf – da hab nicht ich ins Messer gegriffen und eine Taxifahrt in die Notaufnahme spendiert bekommen.«
Rob murmelte etwas in seinen nichtvorhandenen Bart, aber machte auch keine Anstalten, mir die Utensilien wieder abzunehmen. Besser war das!
»Mach ich das so richtig?«, fragte ich dennoch vorsichtshalber, als ich kleine Stückchen Wachs auf die Löffel fallen ließ, bis die Mulde ungefähr bis zur Hälfte gefüllt war.
Rob nickte zustimmend und verlegte sich darauf, zurechtgeschnittene Federn und Stecknadeln aus einem schmalen Metallkästchen zu holen.
Moment – Federn?!
»Wozu brauchen wir die denn?«
Rob grinste verschwörerisch. »Zeig ich dir gleich!«
Nun ja, Federn war wohl etwas hochgegriffen. Immerhin war der Schaft fast kahl. Das meiste der Fahne war säuberlich abgeschnitten, nur an der Spitze befand sich noch ein kleines Dreieck der Fahne. Andere Federn waren auf noch kleinere oder größere Dreiecke reduziert, manche sahen aus wie ein Vogeltritt. Wieder andere Fahnen waren sogar rautenförmig, rund oder wie ein Drachenviereck geformt.
Langsam dämmerte mir, was wir gleich tun würden.
Mein Handy quakte und ich zog kurz darauf die fertigen Eier vom Herd. Mit kaltem Wasser abgeschreckt und nach Robs Anleitung mit ein bisschen Splümittel gesäubert, standen die Eier kurz darauf fein säuberlich aufgestapelt in einer Schüssel mitten auf dem Küchentisch.
»Also, Sensei, dann schieß mal los«, sagte ich, als wir uns beide setzten und Rob die Kerzen unter den Löffeln entzündete.
In Robs Augen blitzte kindliche Vorfreude. »Also«, hob er an und deutete auf den Topf mit Eiern. »Wir machen heute sorbische Ostereier.«
»Was für Ostereier?«
»Sorbische! Dort, wo ich geboren wurde, gibt es ein Volk, das sich ›Die Sorben‹ nennt und neben vielen anderen Sachen sind die für ihre kunstvoll verzierten Ostereier berühmt. Hier, schau mal!« Rob tippte kurz auf seinem Smartphone herum und hielt es mir dann unter die Nase. Eine Flut von Bildern mit bunten Ostereiern mit filigranen, vielfarbigen Mustern ergoss sich übers Display.
»Du weißt aber schon, dass ich nicht künstlerisch veranlagt bin? Zur Erinnerung: Ich studiere Jura und nicht Kunstwissenschaften!«
»So schwer ist es gar nicht!«, flötete Rob. »Ich hab das mal als Kind gemacht, da war ich noch in der Grundschule oder gerade erst auf dem Gymnasium. Und wenn ich das damals hinbekommen habe, schaffst du das jetzt allemal, Jojo.«
»Das wird aussehen wie Kraut und Rüben …«
»Ach was, das wird schon.«
Nichts, was ich sagte, schien Robs Laune trüben oder ihn von seinem Plan abbringen zu können. Das war wohl der Moment, in dem ich mich in mein Schicksal fügen sollte.
»Na gut. Also, wie funktioniert das nun?«
»Also, zuerst bringen wir Wachs auf die Flächen auf, die weiß bleiben sollen. Dazu benutzen wir die Gänsefedern und die Stecknadelköpfe. Dafür muss man übrigens schnell sein, das Wachs erstarrt schnell. Wenn wir den ersten Teil vom Muster fertig haben, tauchen wir das Ei in eine helle Farbe – Gelb oder Orange zum Beispiel. Wenn das Ei gut gefärbt ist, holen wir es wieder raus und lassen es trocknen. Dann kommen die zweiten Wachsornamente drauf. Wenn wir damit fertig sind, kommen die Eier in eine dunklere Farbe. Rot, Grün oder Blau … was wir haben wollen! Sobald das Ei dann ausreichend gefärbt ist, lassen wir es wieder trocknen. Danach kommt das Wachs runter und dann sieht man das Muster. Man könnte das mit dem Wachs und dem Färben auch dreimal machen, dann sind die Eier dreifarbig, wie auf dem Bild hier!«
»Lass mal, ich bin schon froh, wenn ich zweifarbig hinkriege.«
»Also, ich werd auf alle Fälle was Dreifarbiges machen!«, sinnierte Rob, griff sich ein Ei aus dem Topf und legte los.
Skeptisch suchte ich mir eine Feder aus, die zu einem einfachen kleinen Dreieck geformt war, und griff mir auch ein Ei. Eintauchen ins Wachs, die Feder auf dem Ei platzieren, wieder eintauchen, schneller diesmal platzieren, wieder eintauchen, platzieren, eintauchen, platzieren … nach kurzer Zeit zierte eine mehr oder minder gerade zweireihige Linie aus Dreiecken den dicken Bauch meines Ostereis.
»Hm, gar nicht schlecht«, stellte ich zufrieden fest und hielt Ausschau nach einem anderen Utensil. An die Stecknadel traute ich mich noch nicht heran – auch wenn Rob damit derart behände umging und Punkte und Formen auf sein Ei zog, als würde er das jede Nacht heimlich üben. Sicherheitshalber griff ich mir eine rautenförmige Feder und drückte damit die nächsten Muster auf mein Ei.
Rob saß so tief über sein Ei gebeugt da, dass ich Sorge hatte, seine Haare würden irgendwann Feuer fangen. Aber er hob jedes Mal den Kopf, kurz bevor das passieren konnte. Trotzdem schielte ich ab und an verstohlen zu ihm herüber. Schon faszinierend, wie er sich immer in solchen Detailarbeiten verlieren konnte.
Mein Blick fiel auf mein eigenes Werk. Für einen Erstling nicht schlecht, aber kein Vergleich zu Picasso neben mir.
»Ich geh schon mal färben«, verkündete ich und stand auf. Mehr als ein gedankenverlorenes »Mh« kam nicht, also ließ ich mein Ei in die gelbe Farbe gleiten. Um die Wartezeit zu überbrücken, nahm ich mir ein zweites Ei und tupfte ein paar Vogelfüße darauf.
»Sieht doch klasse aus!«, rief Rob und umarmte mich, als wir das letzte Ei vom Wachs befreit und ins Osterkörbchen gelegt hatten.
»Ja, deine vielleicht, Picasso!«, muffelte ich. Es war offensichtlich, welche der bunten Ostereier von mir waren und welche Rob gemacht hatte.
»Quatsch! Deine sind genauso toll!«
»Hmpf.«
Die kunstvollen – und weniger kunstvollen – Muster wirkten schon toll auf den Eiern, das musste ich zugeben. Bisher hatte ich keine Ahnung gehabt, dass es Leute gab, die einen derartigen Aufwand betrieben, um Ostereier zu verzieren. Ich kannte es bisher nur, dass man sie in Farbtöpfe warf und einfach wartete, bis die Dinger bunt waren.
»Danke, dass du mitgemacht hast, Jojo!«
»Mh. Hat irgendwie auch Spaß gemacht«, gab ich zu.
Rob strahlte mich an, heller als alle Farben in unserem Osterkörbchen, und umarmte mich.
»Das werden ja wirklich mal frohe Ostern, Jojo!«
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Jojo und Rob haben ihre eigene kleine Geschichte »Wie das Feuer zum Wasser kam«: https://belletristica.com/de/books/20331-wie-das-feuer-zum-wasser-kam
So kam Frieda zu ihnen: https://belletristica.com/de/books/20333-frieda
Und hier gibt es noch ein paar 60-Minuten-Geschichten:
Firlefanz: https://belletristica.com/de/books/20354-60-minuten-geschichten/chapter/88195-2020-01-29-firlefanz
Gänseblümchen: https://belletristica.com/de/books/20354-60-minuten-geschichten/chapter/94944-2020-03-18-ganseblumchen
Dämmerlicht: https://belletristica.com/de/books/20354-60-minuten-geschichten/chapter/102794-2020-05-10-dammerlicht
Vergebliche Liebesmüh: https://belletristica.com/de/books/20354-60-minuten-geschichten/chapter/103807-2020-05-17-vergebliche-liebesmuh