CN: Tod, Angst/Panik, Psychoterror
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»Wohin gehörst du, mein Herz? Wo gehörst du nur hin?«
Der leise Singsang drang zu ihr wie durch Watte. Er klang gleichzeitig fern und nah. Alles lag im Nebel.
»Wo gehörst du nur hin, mein Herz? Wohin?«
Sie fühlte ein Prickeln auf der Haut, wie von Regentropfen.
Plitsch.
Plitsch.
Ein Tropfen rann an ihrem Kinn hinab.
Es roch nach feuchter Erde und verrottendem Laub.
»Wohin gehörst du, mein Herz? Wo gehörst du nur hin?«
Der Singsang wurde deutlicher. Langsam lichtete sich der Nebel.
Die Geräusche wurden deutlicher. Das Rauschen. Das Rascheln. Das Schaben und Graben.
Die wabernden schwarzen Schlieren vor ihren Augen zogen sich zurück. Über ihr spannte sich der Himmel, eingerahmt von Zweigen, die vereinzelte Bäume ihm entgegen streckten. So schwer und grau waren die Wolken, so nah, als schwebten sie nur eine Armlänge von ihr entfernt. Als könnte sie sie berühren.
Allein, sie konnte den Arm nicht bewegen.
Auch nicht den anderen. Auch nicht die Beine, nicht die Brust. Nicht einmal den Kopf. Nur die Augenlider.
»Wo gehörst du nur hin, mein Herz? Wohin?«
Panik grub sich in ihre Eingeweide. Sie blickte an sich herab. Ihr Körper war da. Schultern, Brust, Bauch, Arme, Hände, Oberschenkel, Knie, Unterschenkel, Füße. Alles da. Doch sie gehorchten ihr nicht. Sie waren nur schmutzig. Nutzlos und schmutzig.
Sie wollte schreien.
Nur ein ersticktes Wimmern kroch aus ihren geöffneten Lippen. Versickerte im Rauschen des Regens.
Plitsch.
Ein Regentropfen stach sie ins linke Auge. Sie kniff die Augen zu.
Als sie sie wieder öffnete, lehnte sich jemand über sie.
Ein Mann; schwarze Haare – kurzgeschoren – fahle Haut – stahlgraue Augen – grauer Pullover – brauner Schmutz. Er lächelte wissend.
Er bewegte die Lippen. Der Singsang setzte wieder ein.
»Wohin gehörst du, mein Herz? Wo gehörst du nur hin? Dort in die Erde, mein Herz, dort gehörst du nur hin.«
Ihre Brust schnürte sich zusammen, sie schnappte nach Luft.
Der Mann verschwand wieder aus ihrem Sichtfeld. Das Schaben und Graben kehrte zurück. Erst jetzt realisierte sie, dass es aufgehört hatte.
Die Panik biss in ihren Magen, machte ihre Kehle eng.
»Wo gehörst du nur hin, mein Herz? Wohin? In der Erde ruhst du, mein Herz, dort drin.«
Ein Brocken feuchter Erde traf sie an der Wange, ein zweiter landete auf ihrer Brust. Kurz darauf fühlte sie einen Ruck. Die Bäume und Wolken und Regentropfen zogen an ihr vorbei. Ganz langsam. In Intervallen.
»Wohin … gehörst du, … mein Herz? Wo gehörst … du nur … hin?«
Der Singsang mischte sich mit einem leisen Keuchen.
Sie versuchte zu schreien. Noch einmal. Noch einmal.
Nur das Rauschen. Das Rascheln. Der düstere Kanon.
Kein Schrei.
Der Mann tauchte wieder über ihr auf. Schweißtropfen standen auf seiner Stirn. Seine Wangen hatten rötliche Flecken. Er lächelte. Sein Blick war sanft.
»Dort in die Erde, mein Herz, dort gehörst du nur hin. Du wirst mir fehlen, mein Herz, doch du musst nun dorthin.«
Er griff nach ihren Füßen und drehte sie daran herum, bis ihr Körper eine Vierteldrehung beschrieben hatte.
Ihr Herz raste, Schweiß trat ihr aus jeder Pore.
Doch ihr Körper gehorchte ihr nicht. Nur ihre Augen ruckten hin und her, vom Grauhimmel zu dem Mann zu den Ästen der Bäume zu dem Mann zu dem im Boden steckenden Spaten zum Grauhimmel zum Mann zu der Grube, die neben ihr klaffte.
»Wo gehörst du nur hin, mein Herz? Wohin? In der Erde ruhst du, mein Herz, dort drin.«
Damit gab er ihr einen Stoß. Wie ein Stein fiel sie hinab. Landete mit einem dumpfen Aufschlag am Boden der Grube. Nicht einmal einen Meter unterhalb der Blätter auf der Lichtung.
Es tat nicht weh.
Sie lag auf der Seite. Vor ihren Augen nichts als braunschwarze Erde. Eine Wurzel. Würmergänge.
»Dorthin gehörst du, mein Herz. Dort gehörst du nur hin. In der Erde ruhst du, mein Herz, dort drin.«
Dann traf sie eine Ladung Erde an der Schulter. Dann noch eine Ladung – im Gesicht.
»Ich komm dich besuchen, mein Herz, bestimmt. In der Erde dort ruhst du, mein Herz, ich besuch dich bestimmt.«
Dann war es dunkel und still.