Hatte es geklappt?
Der dunkle Nebel zog sich langsam zurück. Nach und nach fügten sich die verschwommenen Konturen zu festen Formen zusammen. Einzelne Lichter glommen auf in der Dunkelheit und von einer Sekunde auf die andere verwandelte sich die Szenerie in einen riesigen Ballsaal. Unter der Decke hing ein funkelnder, dreißigarmiger Kronleuchter, der übervoll war mit Kerzen. Am Boden waren unzählige weitere Kerzen verteilt, die den Saal in einen flackernden Schein tauchten und ihm Wärme spendeten. Hinter den hohen Fenstern zu beiden Seiten des Raumes war nichts als die Schwärze der Nacht zu erkennen. Und inmitten des Kerzenflammenmeeres, genau in der Mitte des Saales, stand sie.
Es hatte funktioniert.
Er war hier.
Und sie erwartete ihn bereits mit einem sanften Lächeln.
»Komm her«, formte sie stumm mit ihren Lippen, streckte auffordernd die Hand nach ihm aus. Auch in dieser Nacht trug sie die feinen, roséfarbenen Seidenhandschuhe, die bis über ihre Ellenbogen reichten und am oberen Rand mit funkelnder Spitze besetzt waren. Auch in dieser Nacht trug sie dieses betörend schöne roséfarbene Kleid mit dem aufwendig bestickten Oberteil aus Spitze und diesem wallenden Rock aus Tüll.
Sie war seine Traumprinzessin.
Er konnte gar nicht anders, als ihrer Aufforderung zu folgen. Wie in Trance überwand er die kurze Distanz bis zu ihr, ergriff ihre Hand, verwob seine Finger mit ihrer und legte ihr schließlich die freie Hand um die Hüfte.
Als wäre diese Geste der Einsatz für die unsichtbaren Musiker gewesen, flutete der Klang einer Violine den Saal, begleitet von einer Pianomelodie, die er bereits Ton für Ton auswendig kannte. Der Schmetterlingswalzer von Pachelbel.
Er fasste die Hüfte seiner Prinzessin fester, nahm den Rhythmus der Musik auf und machte den ersten Schritt.
Es war, als hätte er einen Schritt in eine andere, eine neue und doch allzu vertraute Welt gemacht.
Die Umgebung verschwamm, er blickte nur in das lächelnde, von goldenen Locken umrahmte Gesicht seiner Prinzessin und tanzte. Führte sie sicher auf den Akkorden durch den Raum. Beinahe war es, als fühlte er tatsächlich die Flügelschläge von Schmetterlingen, während er tanzte und sich im Takt mit ihr wiegte.
Als das Lied sich dem Ende neigte, setzte die Geige aus und das Piano trug sie allein in das Gänseblümchenfeld, das sich wie immer an den Schmetterlingswalzer anschloss. Hätte er nicht gewusst, dass sie noch immer in dem kerzenerleuchteten Ballsaal waren und auf dem glatten Parkett Runde um Runde tanzten, er hätte sich tatsächlich inmitten eines ganzen Feldes duftender Gänseblümchen gewähnt. Der Wind würde einzelne Blütenblätter aufwehen und mit dem Haar seiner Prinzessin spielen und ihr Kleid aufbauschen und sie würden lachen und weiter durch den Blütenregen tanzen. Doch noch immer glitten sie lautlos durch den Ballsaal, vorbei an hunderten von Kerzen, deren Licht sich in den Augen seiner Prinzessin brach und auf den funkelnden Kristallen, die in ihr Kleid und ihre Handschuhe eingewoben waren.
Wehmut überkam ihn, als die Geige wieder einzusetzen begann und damit den letzten Tanz einleitete. Die Melodien des Kanons in D-Dur fluteten über ihn hinweg und obwohl sein Herz immer schwerer wurde, wurden seine Schritte leichter, schneller, wieder Schmetterlingen gleich. Das Lächeln seiner Prinzessin blieb so sanft und warm wie zuvor, er wollte darin versinken und ertrinken und sich nie wieder von ihr lösen, auf ewig in diesem Saal mit ihr tanzen zu den Klängen von Musikern, die er noch nie gesehen hatte, in einer Welt, die er schon so gut kannte und doch nicht das Geringste über sie wusste.
Kaum war der letzte Pianoton verklungen, löste sich seine Prinzessin von ihm und wie tausendmal zuvor verneigten sie sich voreinander.
»Bis morgen«, sagten ihre Lippen und er erwiderte den stummen Gruß mit einem Nicken. Sie winkte ihm zu und schon begann der Saal zu verblassen, wurden die Kerzenflammen trüber und verloschen schließlich ganz.
Dunkelheit umfing ihn.
Dann, nach einem Blinzeln, nahm er die vertrauten Konturen seines Zimmers wahr. Ein auf dem Rücken liegender Halbmond zeichnete die Umrisse seines Nachttisches, seines Schrankes, der Bilder an der Wand nach. Er war wieder in seinem Haus auf dem Hügel, zurück in seiner Welt.
Schon jetzt konnte er die nächste Nacht kaum erwarten. Diesen Traum der Träume, den er nun schon so oft geträumt, aus dem er nun schon so oft erwacht war. Er wurde ihn nicht müde. Er liebte es, sich zu ihr zu träumen. Er liebte es, mit ihr zu tanzen. Er liebte seine Traumprinzessin.
Er wollte auf ewig mit ihr tanzen.
_______________________________________________________________________________
Playlist:
Johann Pachelbel – Butterfly Waltz (Piano and Violin Duet)
Johann Pachelbel – Field of Daisies (Piano Solo)
Johann Pachelbel – Canon in D (Piano and Violin Duet)
Johann Pachelbel – Solitary Hill (Piano and Violin Duet)
Johann Pachelbel – Dream of Dreams (Piano and Violin Duet)
Johann Pachelbel – Rain (Piano Duet)