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»Das war wirklich eine Scheißidee, Arttu!«
Mikas Stimme zitterte ebenso stark wie seine Finger, da konnte auch der rote Emaille-Becher in seinen Händen nichts ändern, aus dem es kräftig dampfte. Hätte er wenigstens die dicken Ski-Handschuhe mitgenommen! Aber nein, in seinen Jackentaschen waren nur die Baumwollhandschuhe gewesen, die er immer als Notreserve dabei hatte, falls er die Ski-Handschuhe mal zu Hause vergessen sollte. So wie jetzt.
»Picknick am Polarkreis. Mitten im Winter. Nach einem heftigen Schneesturm. Mit nichts als ein bisschen Kaffee, einem Packen Schokoriegel und einem Windlicht.« Mika schüttelte den Kopf, presste die Hände fester um seinen Becher und vergrub das Gesicht bis zur Nasenspitze in seinem XXL-Schal.
»Ich hätte nicht mitkommen sollen«, murmelte er gedämpft durch den Stoff.
Arttu kramte im Picknickkorb, den er auf einer Schneewehe abgestellt hatte, förderte die Kaffeekanne zutage und goss Mika ungerührt nach.
»Jetzt sei doch nicht so. Glaub mir, es lohnt sich. Und es ist wunderschön, schau dich doch nur mal um, Mika!«
Mika lugte unter seiner Mütze und der fellbesetzten Kapuze seines Anoraks hervor wie ein Kaninchen aus dem Bau.
»Weiß«, konstatierte er. »Weit und breit nichts als Weiß. Zumindest so weit ich das in dieser vermaledeiten Dunkelheit erkennen kann. Selbst die Bäume sind komplett weiß. Dieser verfluchte Schnee … Aber wenigstens gibt es hier Bäume – der einzige Grund, warum wir noch nicht erfroren sind, nebenbei bemerkt. Weil sie diesen schneidend kalten Wind abhalten, der mich vorhin, wie du dich sicherlich erinnerst, fast von den Füßen geweht hätte.«
Arttu gab ein glucksendes Geräusch von sich, verstummte aber sofort wieder, als er Mikas Blick aufschnappte.
»Hätten wir nicht einfach im Iglu bleiben können? Da ist es warm und gemütlich und dann hätten wir doch auch …«
»Aber so ist es doch viel schöner und wir sind viel näher dran!«
»Wir sind bestenfalls näher dran am Kältetod!«
Je weiter die Zeit voranschritt und je dunkler es wurde, desto mehr sank Mikas Laune unter den Gefrierpunkt.
Arttu seufzte.
»Ich verspreche dir, dass du diesen Abend niemals vergessen wirst. Mir ist auch kalt, aber dafür haben wir doch den Kaffee und die Thermo-Klamotten. Diese Iglus mögen ja schick und romantisch sein, aber ich will diesen Moment nur mit dir allein genießen. Ich will ihn nicht mit irgendwelchen dahergeflogenen Touristen teilen müssen, die ein paar Schnappschüsse mit ihrem Smartphone machen und die ganze Stimmung kaputtmachen.«
Er rückte näher zu Mika und legte ihm den freien Arm um die Schultern. In der anderen Hand hielt er seinen eigenen roten Kaffeebecher, in dem nur noch ein kläglicher, ausgekühlter Rest hin und her schwappte. Obwohl die Farbe seiner Finger sich kaum noch von der des Bechers unterschied, schenkte er sich nicht nach.
»Idiot«, nuschelte Mika und zog sich einen Handschuh aus. Er reichte ihn Arttu und wartete, bis er ihn übergestreift hatte. Dann griff er nach Arttus anderer Hand, schlang die Finger in seine und steckte die Hand in die Tasche. Winter-Händchenhalten quasi. Zumindest hatte er nun nicht mehr das Gefühl, dass seine Finger im nächsten Moment zu Eis erstarren würden.
Arttu rückte noch etwas näher an ihn heran und legte den Kopf auf seine Schulter.
Um sie herum war es längst finster geworden. Um diese Jahreszeit wurde es am Polarkreis ohnehin nie richtig hell, doch jetzt zeigten sich immer deutlicher die Sterne am Firmament. Es dauerte nicht lang und ein milchiges Band spannte sich über einen Teil der nachtblauen Kuppel, umschwirrt von Myriaden von silbernen Lichtpunkten.
»Ich glaube, es geht langsam los.«
Arttu deutete mit der Tasse nach oben und als Mika seinem Wink folgte, bemerkte auch er ein schwaches Glühen am Nachthimmel. Zuerst nicht mehr als eine Ahnung, die sich hinter den schneebedeckten Bäumen im Norden versteckte, dann immer kräftiger. Schwache Wellen tanzten über den Himmel, mal milchig grün, dann neongelb, lindgrün oder sogar schwach violett, wabernde Nebel aus scheinbar flüssiger Fluoreszenz.
Unwillkürlich wurde Mikas Griff um Arttus Hand fester.
Arttu quittierte es mit einem Schmunzeln und blickte weiter hinauf.
»Wunderschön«, flüsterte Mika nach einer Weile, ohne den Blick von dem Himmelsschauspiel abzuwenden. Die Kälte schien vollkommen vergessen.
Als eine Sternschnuppe vorbeihuschte, schloss Arttu kurz die Augen und flüsterte in Gedanken einen Wunsch ans Universum. Wie zur Antwort leuchteten die Polarlichter auf, wurden intensiver, heller, färbten sich von grün zu gelb zu orange, wieder zu grün und zu weiß.
»Du hattest recht.« Mikas Stimme klang rau. »Es hat sich gelohnt herzukommen. Diese Nacht werde ich sicher nicht mehr vergessen.«
Er sah nun doch zu Arttu herüber.
»Danke.«
Damit beugte er sich vor und drückte einen federleichten Kuss auf Arttus Lippen. Sie waren kalt, genauso kalt wie seine, doch das störte keinen von beiden.
»Also, wenn es nach mir geht, können wir gern noch mal ein Picknick am Polarkreis machen«, stellt Mika fest und wandte den Blick wieder empor. »Aber dann muss ich mich besser anziehen und wir brauchen definitiv mehr heißen Kaffee.«
Arttu lachte. »Daran soll's nicht scheitern!«