Ich lernte Fritz an der Militärschule in Karlshorst kennen, im Frühjahr 1940. Wir waren beide frisch auf der Akademie, um uns zu Offizieren für die Pioniertruppe ausbilden zu lassen. Er war aus Berlin, war in Reinickendorf geboren. Ich stammte aus Golzow, einem Nest im Oderbruch, wo es außer Frankfurt nur solche kleinen Nester gab. Ein Landei im Vergleich zu Fritz, den eine Aura fester Autorität und Weltgewandheit umgab, wie sie nur Großstädtern zu eigen ist. Er stach heraus zwischen all den anderen Kerlen, die sich beweisen wollten oder mussten und genau wie wir den Weg gingen, der uns als jungen, intelligenten Männern vorgezeichnet war.
Fritz konnte reden. Er wusste Bescheid über die verschiedensten Dinge, auch abseits unserer Ausbildung. Sein Verstand arbeitete messerscharf, erfasste Gesagtes sofort, analysierte und durchdachte es und konnte es logisch weiterführen. Einige verschrien ihn als Streber, als Emporkömmling, als Egozentriker. Doch ich bewunderte seine Brillianz, seine Entschlossenheit, seine Stärke. Und mit seinen blonden Haaren, den blauen Augen und den von körperlicher Ertüchtigung gestählten Muskeln entsprach er perfekt dem Idealbild. Dem allgemeinen und meinem eigenen.
Nicht dass ich dumm gewesen wäre oder mein äußeres Erscheinungsbild nicht hätte leiden können. Ich war ansehnlich, wenn auch braunäugig und mit dunklem Haar, und die schulische Ausbildung war mir leicht gefallen. Ich kannte meine Stärken. Und ich wusste, dass ich im Krieg lieber taktische Überlegungen anstellen als im Schützengraben liegen wollte. Doch als ich Fritz begegnete, schien es mir, als hätte jemand all meine Ideale in ein menschliches Gefäß gegossen. Zum ersten Mal gab es jemanden, zu dem ich aufschaute und dessen Brillianz ich erreichen wollte.
Nach einer der Vorlesungen in der ersten Woche ergab es sich, dass ich im Gang ein Streitgespräch zwischen Fritz und zwei Kommilitonen mitbekam. Die Diskussion wurde immer hitziger und ich sah, wie sich die Körperhaltung unseres Kommilitonen Kurt änderte, wie er sich anspannte und die Fäuste ballte. Ohne weiter nachzudenken sprang ich Fritz bei, untermauerte seine Argumentation, suchte aber auch einen Weg, Kurt und seinen Freund Erich nicht zu brüskieren. Es ging noch ein paar Mal hin und her, schließlich zogen Kurt und Erich ab und Fritz und ich blieben mit dem sicheren Gefühl des Sieges zurück. Es war der Moment, in dem Fritz mich zum ersten Mal bewusst wahrnahm. Am nächsten Morgen grüßte er mich und suchte sich während des Unterrichts einen Platz in meiner Nähe. Ich hätte glücklicher nicht sein können.
Im folgenden freundeten wir uns an. Besonders aber mochte ich die Stunden, in denen unser ganzer Kurs dicht gedrängt um einen Sandkasten stand, in dem einer unserer Ausbilder eine Lage dargestellt hatte und mit uns gemeinsam durchspielte. Taktische Züge in einem realen Gebiet. Mal in einer Ebene bei Kutno, mal in der Tucheler Heide, mal im Westen. Die Ausbilder ließen uns taktische Körper durch die sandigen Ebenen und das Islandmoos rücken. Ich liebte es, Fritz' Finger zu beobachten, wie er blaue und rote Feldposten mal hierhin, mal dorthin schob, Versorgungswege eröffnete und offen hielt. Diese Momente, in denen ich an seiner Seite stand, mich dicht zu ihm lehnen konnte, um ja kein Wort, keinen Zug zu verpassen, sie waren mir lieb und teuer. Noch teurer war es mir, wenn ich ihn ergänzen, ja, seine Gedankengerüste erweitern konnte, wenn meine Hand seine Finger streifte, als ich ihm den roten Feldposten abnahm und an anderer Stelle platzierte. Selbst später, im Feld, dachte ich gern an diese Augenblicke am Sandkasten zurück, wenn ich meine Kompanie anwies. Auch wenn ich mir sicher war, dass nur ich diese Momente auf diese Weise in Erinnerung behalten würde, dass Fritz nie etwas von der Art, wie ich ihn angesehen hatte, bemerkt hatte. Andernfalls wäre ich wohl niemals auf dem Feld, sondern in Buchenwald gelandet.