Das Rauschen hüllte mich ein.
Es machte mir nichts aus, dass ich nass wurde, dass sich die Regentropfen langsam, aber unbarmherzig einen Weg durch jede Faser meiner Kleidung bis hinunter zu meiner Haut suchen würden. Es machte mir nichts aus, dass mein Gesicht und meine Finger klamm und kalt waren. Meine Wohnung war warm und trocken. Ich konnte jederzeit zu ihr zurückkehren.
Aber nicht jetzt.
Jetzt musste ich hier draußen sein. Mitten im Wolkenbruch. Auf dem Weg zu … ja, wohin? Ich war einfach losgelaufen. Die Treppen runter. Raus aus der Tür. Nach rechts. Geradeaus. Weiter. Ohne Schirm, nicht einmal an die Jacke hatte ich gedacht. Raus. Raus!
Ich wusste, dass es sinnlos war. Ich wusste, dass die Gedanken mir folgen würden. Wie Schatten, die sich an die Häuserwände schmiegten, wenn ich mich umwandte, die sich ins Milchiggrau der Bürgersteige mischten, die sich auf hunderttausend kleinen Füßen an mich anschlichen und mich überfielen und sich auf meine Schultern setzten und mich zu Boden drückten und mir die Luft aus den Lungen pressten und sich fest wie eine kalte Faust um mein Herz legten.
Das Prasseln der Tropfen auf meinen Wangen, auf meiner Nasenspitze, auf meiner Stirn, auf meinem Kopf lenkte mich ab. Weiches Nass schmiegte sich an meine Schultern. Meine Schuhe verursachten mit jedem Schritt ein platschendes Geräusch auf den Steinen.
Weiter.
Raus.
Schneller sein.
Ich fühlte die Präsenz hinter mir; die Schatten lungerten zwischen den Grasnarben, zwischen den Regentropfen, in der Dunkelheit hinter meinen Augen, wenn ich blinzelte.
Ich konzentrierte mich auf den Regen. Aufs Laufen. Schritt für Schritt. Tropfen für Tropfen.
Wenn ich nur weit genug lief, würde ich alles hinter mir lassen. Alles. Alles.
Meine Wohnung. Mein Schlafzimmer. Mein Bett. Mein Handy. Deine Nachricht.
Deine Stille.
Ein Schatten sprang mich an.
Ich bin traurig.
Nein, ich war nicht traurig!
Ich fühlte nichts. Nichts, nichts, gar nichts.
Alles gut.
Nichts ist geschehen.
Ein zweiter Schatten krallte sich an meinen Fuß, als ich in eine Pfütze trat.
Es tut weh.
Und noch einer.
Tu mir das nicht an!
Der Regen spülte sie fort, doch gleich kamen zwei, drei, vier, fünfhundert hinterher.
Warum tust du das?
Ich ertrage das nicht!
Ich will das nicht!
Wirf mich nicht weg!
Bin ich denn nichts wert?
Bin ich dir denn nichts wert?
Ich trat nach einer Pfütze. Wasser spritzte auf, tränkte meine Hose, meine Schuhe, den Saum meines Pullovers in Schlamm.
Ich fühle nichts.
Nichts ist passiert.
Ich bin nicht traurig.
Alles ist gut.
Ein Mantra.
Ich wiederholte es, erst im Kopf, dann leise vor mich hin, dann rief ich es laut, so laut, dass es von den Häuserwänden widerhallte und sich kakophon in meinen Ohren brach. Meine Stimme klang so fremd, nicht wie meine eigene, rau und eigenartig, fern und haltlos.
Abrupt blieb ich stehen. Der Wolkenbruch war zu einem Regenguss zusammengeschmolzen, doch er hörte nicht auf, rauschte gehorsam weiter und weiter.
Wie weit war ich gelaufen? Wohin?
Ich blickte mich um, doch ich erkannte den Straßenzug nicht. Fremde Häuser voller Schatten. Graue Straße, graue Wände, graue Wolken über mir.
Ich will das nicht.
Nun, da ich stehengeblieben war, holten sie mich alle ein. Einer nach dem anderen. Die flinken, grauen zuerst.
Warum musste es so enden?
Dann die schweren. Die schwarzen.
Ich will nicht mehr.
Ich blieb, wo ich war. Reglos. Allein, in einer fremden Straße, einer fremden Stadt, einer fremden Welt. Ließ sie mich erbeuten.
Schattenregen.
Schattennest hinter meinen Augen.
Schattenfaust um mein Herz.
Ich will nicht mehr.
Ich will nicht mehr.
Ich will nicht mehr.
Ich schloss die Augen. Schüttelte den Kopf. Tropfen lösten sich von meinen Haaren und flogen fort, vermischten sich mit dem Regen, vergingen in ihm und gingen in ihm auf.
Ich musste zurück.
Wenn nicht jetzt, so doch irgendwann.
Ich musste zurück.
Schattenvoll, übervoll, bis zum Überquellen angefüllt mit der Düsternis, die mich befallen hatte, in meinem Bett, in meinem Schlafzimmer, in meiner Wohnung, als du mich fortgestoßen hast.
Ich bin nicht traurig.
Mein Mantra.
Schattenvoll. Grau und tot und Stein.
Ich drehte um. Ein erster Schritt.
Ich fühle gar nichts.