Magische Worte. Ach, wie er sie zu dichten vermochte!
Hätt ich nicht gewusst, wie viele Nächte und Tage und wieder Nächte er damit verbracht hatte, sie zu erdenken, in Tinte und Pergament zu bannen, sie auszustreichen und neu zu erdenken … ich hätte wohl auch geglaubt, sein brillianter Geist hätte sie ihm zugeflüstert und seine Hand hätte nur dem vorgezeichneten Zeilen folgen müssen. Aber ich wusste es besser. Wie oft hatte ich seinen Kampf mit den richtigen, den besten Worten in unseren Briefen mitgefochten. Wie oft hatte ich selbst dem beigewohnt, was er zu erschaffen imstande war – und was es ihm abverlangt hatte. Sollte er doch zum Gestank fauler Äpfel dichten, so viel er wollte, selbst in meinem eigenen Haus! Wenn er nur diese magischen Worte niederschrieb, die bis zum Bersten angefüllt waren mit neuen Ideen und alten Gedanken in neuen Gewändern, dass sie den eigenen Geist nur so anregten und in Schwingung versetzten.
Und was hatten wir uns gegenseitig beflügelt. Als der Ältere, der Erfahrenene hätte ich es nie zugegeben, aber so vieles hatte mich dieser Jungspund aus Württemberg gelehrt. Ich wusste um die Magie meiner eigenen Worte, doch dank ihm wohnte ihnen fortan ein Zauber inne, der die Fesseln des alten Sturms und Drangs entgültig sprengte, um etwas ganz Neues, nie Gesehenes zu gebären. Und gleichzeitig sah ich, wie meine eigenen Worte – die geschriebenen im gleichen Maße wie die gesprochenen – ihn beflügelten und in ihm die gleichen neuen Töne anschlugen, die auch in mir erklangen.
Wie hatten wir gemeinsam die Natur der Welt und des Menschen erforscht. Und obschon wir uns aus verschiedenen Richtungen der Thematik näherten, so war das Ziel doch dasselbe, so suchten wir doch stets nach dem Kern, nach dem, was die Welt im Innersten zusammenhält. Gleich ob wir über Feldherren, griechische Tragödien, Gelehrte, Räuber oder Zauberlehrlinge schrieben, ob wir unseren Gedanken ein lyrisches, ein prosaisches oder ein dramatisches Gewand verliehen – alles gewann durch den anderen.
Wir befruchteten und bereicherten uns.
Er fehlte mir schrecklich.
Sein Geist. Seine Leidenschaft. Seine Ausdauer.
Nun war der Steintisch in meinem Garten leer und abstoßend. Das Feuer, das so oft an ihm gelodert hatte, wenn wir voller Eifer diskutiert und debattiert und erschaffen und verworfen und neu erschaffen hatten, war erloschen. Es schien mir fast, der Tisch bestünde nur aus kalter, grauer Asche, die als einzige von unseren innigen Gesprächen zurückgeblieben war.
Sein Feuer war erloschen.
Nur in mir blieb dieses Brennen.
Mir war wochenlang nur nach Trauerspielen zumute – auch wenn ich später zu Lustspielen, lyrischen Betrachtungen, Romanen und Lehren zurückfand.
Was hätte ich gegeben, um das Feuer in seiner Brust wieder zu entfachen, um seine zerfressenen Lungen zu kitten, seine zersetzten Nieren zu heilen. Mein Herz hätte ich für seines gegeben, das seit jeher so viel kraftvoller zu schlagen vermochte.
Was nutzte der wache Geist, wenn er in einem sterbenden Körper hauste? Was nutzte das Feuer, wenn es in der Asche längst erstickte?
»Und niemand kann die dürre Schale lieben,
Welch herrlich edlen Kern sie auch bewahrte«
Allein, ich liebte diese dürre Schale und alle ihre Schichten, die diesen edlen Kern bewahrten, der diese magischen Worte gebären konnte.
Nun war es still.
Und nur seine Briefe, seine Werke trugen seine ihm eigene Magie weiter. Weiter. Über die ewige Dämmerung hinaus, in die er vorausgegangen war, die ihn zur Unzeit eingeholt hatte.
Ich blieb zurück. Durchdrungen und durchbrochen von den Zaubern, die er wirkte. Doch ohne ihn fühlt' ich sie schwinden und die Dämmerung schlich näher auf milchig-grauen Füßen.
Zünd' Feuer an, dort drüben, Friedrich. Bald folg ich deinem Pfad.