Monster Stufe 7 - "Wütender Mob"
„Ai, die Unjeheur sin mal wieder unjerwechs.“
Schlimme Dinge:
Spießen dich auf, du bist tot und verlierst zusätzlich eine Stufe.
Ziehe zwei Schätze
Schon mal rittlings in einem Schweinetrog gesessen? Key auch nicht.
Unter ihren Pobacken war es glitschig. Ihre Zehen verschwanden in einer Soße aus braunen Brocken. Zu allem Überfluss fühlte sich die Matsche auch noch warm an. Die Assoziation lag nahe, in ein Plumpsklo geraten zu sein. Es stank auch in etwa genauso. Faulig, vergammelt und Würgereiz erregend. Ihre Arme hingen zu beiden Seiten aus dem Holzbehälter. Um diesen herum scharrte es raschelnd im Stroh. Grunzlaute näherten sich, zudem gab es unablässig schnüffelnde Geräusche und Schnauben.
Bis Key die Augen öffnete, vergingen mehrere Sekunden und selbst als sie es dann endlich tat, konnte sie kaum etwas sehen. Alles war in fahles Zwielicht getaucht. Beklemmung erfasste sie und brachte sie dazu Knie und Arme an den Körper zu ziehen. Wenigstens fror sie nicht, denn um sie herum verströmten Stroh und Tiere viel Körperwärme. Der Geruch jedoch zerrte an ihren Nerven und stieg ihr penetrant in den Kopf. Dort verursachte er stechende Schmerzen. Von weiter weg hörte sie einen Hahnenschrei, den sie beim besten Willen nicht zuordnen konnte.
Ehe sie jedoch etwas einwandfrei zuordnen konnte, zum Beispiel das elementare oben und unten, wurden weitere Geräusche laut. Und damit nicht genug, Licht wurde ebenfalls hereingetragen.
Key würgte angewidert und schaffte es nur mühsam das wieder herunter zu schlucken, was ihr hochkam. Wahrscheinlich der Rum mit Cola und die Pizza von gestern Abend. Ihr Kopf ließ in aller Eile eine Rekonstruktion der Ereignisse zu. Anscheinend zu viel getrunken, Filmriss und anschließend irgendwo in einem Dorf bei einem Bauer in den privaten Stall zum Schlafen eingekehrt. Das Warum blieb ihr das Hirn schuldig. Aber froh war sie, dass es kein Hühnerstall war, Hühner waren noch ekliger als das hier.
Sie blickte sich um, während der warme Schein des Lichts näher rückte. Ah Schweine, das erklärte einiges. Moment, fraßen Schweine nicht alles, was in ihrem Trog war? Sie riss die Hände unter die Arme, ehe eines der Viecher auf die Idee kam von ihr zu probieren. Bei all den Chromosomen, die ein Mensch mit den Schweinen teilte, wäre das dann nicht fast schon Kannibalismus?
Wieso sahen die Schweine nicht rosig aus? Sollten Hausschweine nicht rosa sein? Alles war so gelb-stichig. Wie durch eine Sonnenbrille mit einem Filter belegt. Key tastete nach ihrem Gesicht, nein keine Brille. Dann lag es wohl an den Lichtverhältnissen. Bestandsaufnahme abgeschlossen. Unter ihren Fingern fühlte sie nur raue Haut. ’Nur’. Sie kam nicht mehr dazu dem Hinweis ihres enorm langsam arbeitenden Gehirns nachzugehen, welches ihr weiß machen wollte, dass ihre Haut noch nie so uneben verrunzelt gewesen wäre.
Denn etwas polterte. Das Geräusch konnte sie nicht zuordnen, es war aber ein Eimer gewesen. Der seinen Inhalt aus Brotbrocken, Apfelkitschen und Resten von Kartoffeln und Kohl sowie einem Schmand aus Wasser und Grütze über den steinigen Boden im Gang vor dem Gatter ergoss. Es klang ein wenig, als ob die Brühe noch schäumen würde. Ein weiterer übler Geruch drang herüber. Merkwürdigerweise duftete das Gemisch beinah schon angenehm in der Umgebung und noch merkwürdiger war, dass Keys Nase viel schneller den Geruch identifizierte als ihr Kopf sich dazu anschickte sich zu wenden und das Geräusch zum Ursprung zu verfolgen.
Als er es endlich getan hatte, war das nicht viel besser.
Das Licht einer Laterne blendete sie und sie verzog den Mund, entblößte gelbe hervorstehende Hauer, blähte die Nasenflügel und kniff die gelb funkelnden Augen zusammen.
Ein Schatten bewegte sich schräg hinter dem Licht. Im nächsten Moment verzog Key noch mehr das Gesicht zu einer Grimasse und stöhnte.
Das war kein Schrei. Das war unmenschlich und grotesk. Kreischend und den ganzen Stall somit erschreckend, inklusive Key im Trog, stieß eine eindeutig weibliche Stimme diesen Laut aus. Dann entfernten sich Laterne und Kreischerin schleunigst auf dem Weg, den sie hereingekommen waren. Die Stalltür flog auf und schlug außen gegen das Holz. Fahles Morgengrauen erhellte das Innere weit freundlicher und angenehmer für den Kater in Keys Kopf. Aus dem Schrei lösten sich einzelne Wortfetzen, denn anscheinend hatte die Unbekannte vor die Polizei nicht anzurufen, sondern gleich den Dorffunk zu nutzen.
»Ungeheuer ... Schweinestall ... Zu Hülf!«
Key versuchte sich aufzurappeln. Obwohl sie es langsam angehen ließ, rutschte sie dennoch weg. Ihre Motorik spielte ihr Streiche. Diese fürchterliche Lache in der sie hockte, machte das Aufstehen zu einer Mörderaufgabe. Und ihre Wahrnehmung drehte sich wie nach einer Achterbahnfahrt.
»Hört auf zu lachen!«, herrschte sie darauf die Schweine an.
Um sie herum waren die Tiere in Aufregung geraten und quiekten, während sie wild umher liefen. Erst waren sie alle zum Trog gekommen, dann zum Gatter, in der Hoffnung, jedes von ihnen wäre das Erste welches bedient werden würde. Doch nach dem Gezeter waren sie übereinander und gegeneinander geflüchtet zur rückwärtigen Wand. Staub wirbelte durch die Luft, aber schlimmer war all das Gejanke der Viecher. Keys Ohren bluteten schon und sie konnte nicht mehr verstehen, was die Fremde draußen kreischte.
In der hinteren Ecke ihres Gehirns versuchte ein zierliches Stimmchen ihr klarzumachen, etwas stimme nicht. Aber sie konnte den Zusammenhang nicht herstellen, zu sehr damit beschäftigt aufzustehen und sich aus dem überdimensionierten Fressnapf zu rollen. Über und über verklebt landete sie in dem zertrampelten Mist rund um den Trog. Sie riss den Kopf hoch und versuchte nicht einzuatmen. Und erneut rannten die aufgescheuchten Tiere um sie herum, trampelten über sie und machten Radau. Es klang noch immer, als ob sie sich über sie lustig machten.
Key kroch auf allen Vieren zum Gatter, von dem sie hoffte, dass es einfach zu handhaben war. Ein einfacher Riegel, den sie nur hochdrücken musste oder noch besser einfach nur ein Seil der den einen Pfosten mit dem anderen überbrückte. Zu ihrem Glück war es genau das und sie befreite sich aus dem Dreck. Nur um dahinter in das Resteessen zu langen, welches sich über den Fußboden verteilt hatte. Würgend sammelte sie sich einen Moment und hörte die Schweine noch immer lachen.
Doch auch noch etwas anderes. Geschrei aus mehreren Kehlen. Wütendes Gekeife einer Frau mit hoher Stimme, die Antwort, die wie ein Befehl peitschte. Aber die Worte an sich verstand sie nicht. Sie blickte sich um und legte sich das Plädoyer zurecht: »Ich kann das erklären.« Ja, so würde sie anfangen. Erst einmal aufstehen und stehen bleiben, das wäre von Vorteil. Sie würde sich entschuldigen, die arme Frau so früh am Morgen so erschreckt zu haben. Und alles würde gut werden.
Das redete sie sich genau noch zwei Wimpernschläge lang ein, dann hörte sie von draußen: »... töten!« Und mehrere Lichter flackerten auf.
»Nicht ernst«, setzte sie an und wich zurück, weg von der offenen Tür.
»Nicht witzig«, kam ihr über die Lippen und sie drehte sich um, sie bekam Angst. Im nächsten Moment handelte sie überstürzt aber aus dem Bauch heraus. Da war eine weitere Tür, die bestimmt auch hinaus führen würde. Statt sich zu erklären, würde sie einfach wegrennen. Weit konnte sie ja nicht gekommen sein, seit gestern Nacht. Kein Schloss, kein Schlüssel in der anderen Tür, sie stieß sie einfach auf. Sie war niedrig angelegt, wahrscheinlich nur für die Schweine. Dennoch bückte sie sich hindurch und schabte mit den Oberarmen links und rechts am Holz entlang, riss sich Splitter ein und fluchte unterdrückt. Wann würde bitte endlich ihre Orientierung den Dienst aufnehmen?
Draußen fand sie sich in einem umzäunten Bereich wieder, der anscheinend der Suhlpferch war. Er bestand nur aus Matsche. Und nicht nur das, lieber nicht darüber nachdenken. Ihre Füße sanken tief ein und verursachten schmatzende Geräusche, garniert mit einem auf halber Strecke verreckendem Furz. Sie schüttelte sich, sah hinunter und blinzelte mehrmals heftig. Ihre Füße sahen aus wie Kindersärge und die Nägel wie zersplitterte Fortsätze. Wo bitte hatte sie ihre Schuhe gelassen? Oder waren das ihre Schuhe?
Hinter ihr wurde es lauter und sie warf einen letzten Blick zurück. Just in dem Moment als Schatten das Grauen des Morgens der gegenüberliegenden Tür vertrieben, fuhr sie herum und versuchte im Morast davon zu kommen. Sie rutschte prompt aus und lud sich noch eine Ladung mehr stinkendes Zeug auf. Sie war ja auch wirklich noch nicht bedient genug. Statt quer durch den Pfuhl zu waten, stützte sie sich an der Wand des Stalls ab und kletterte über den Zaun. Sie ärgerte sich, dass sie die Türe hinter sich nicht wieder geschlossen hatte, denn so erahnte, wer auch immer in den Stall gelaufen war, dass sie sich auf und davon gemacht hatte.
Ein Kopf schob sich sofort aus der Luke und schrie: »HIER HINTEN!«
Key fuhr erschrocken zusammen und krachte unelegant auf der anderen Seite des Zauns herunter. Zum Glück war der Boden hier nicht ausgetreten und sie kam schnell hoch. Mit schmerzendem Ellenbogen und Knie. Egal. Adrenalin schoß ihr ohnehin schon durch den Körper und ließ nicht zu, dass so etwas unwichtiges wie Schmerz bis hinauf in ihren umnebelten Kopf dringen konnte.
Auch hier draußen hatte alles einen getönten Stich. Und außerdem war hier weit und breit nichts. Sie rannte auf das Geratewohl los, bloß weg von dem Stall. Ihr fiel auf, dass ihre Schrittlänge ganz schön beträchtlich war. Und es war kühl. Jedenfalls um einiges kühler als im Stall. Wind strich ihr über die Haut, was nicht sein sollte, es sei denn sie wäre, verdammt, nun ja, nackt. Sie hatte keine Zeit stehen zu bleiben, aber das konnte sie auch locker im Laufen betrachten. Um ihre Hüfte hing ein Fetzen braunen Irgendetwas. Und weiter oben schien sich noch ein weiterer Fetzen für so etwas wie ehemalige Bekleidung zu halten. Dazwischen blitzte ihre Haut grün hervor. Die rosa hätte sein sollen. Also zumindest beige. Musste alles an ihrem Kater liegen. Die Größenverzerrung, die falschen Farben, die Geruchswahrnehmung. Ihre Sinne drehten durch. Kein Wunder.
Etwas flog an ihr vorbei und sie schrie auf.
Vor lauter Schreck bog sie glatt einfach ab, weg von dem was auch immer es gewesen war. Ihre Füße schlitterten und sie strauchelte vorwärts. Als Nächstes flog etwas über ihren Kopf und bohrte sich vor ihr in den Boden.
»Was zum? Eine Mistgabel?«
Sie konnte nicht anhalten, aber der Stab wackelte noch immer, während die drei Zinken sich tief in die Erde gebohrt hatten.
»Was für eine Scheiße wird das?«
Key war gänzlich unsportlich. Weshalb sie nicht damit rechnete wirklich weglaufen zu können. Aber die Alternative war, von irgendwelchen Hinterwäldlern abgestochen zu werden. Keine freudige Aussicht. Dann lieber um das eigene Leben rennen. Jemand schien etwas dagegen zu haben. Sie hörte sein Keuchen, das schwere Schnaufen.
»Bleib stehen, du Monster!«
Key presste zwischen den Atemzügen hervor: »Bestimmt nicht, Arschkopp.«
Etwas Hartes traf sie an der Schulter. Sie brüllte auf und rannte weiter, wechselte erneut die Richtung und preschte einfach in eine Wiese hinein, das Knie hohe Gras kitzelte ihre Beine. Weiter hinten war ein Wald. Und es ging leicht abschüssig hinunter in der Richtung. Sie wäre ja verrückt gewesen bergauf zu laufen. Was zur Folge hatte, dass sie unkontrolliert schneller wurde. Ebenso wie ihre Verfolger. Weiteres Gerät flog durch die Gegend. War das gerade nicht ihr guter Bekannter die Mistgabel gewesen?
Bloß nicht über die Schulter umschauen und riskieren zu fallen.
Als sie endlich in das erste flachere Farngestrüpp einbrach, taumelte sie, natürlich bei ihrem Glück, durch brusthoch gewachsene Brennnesseln. Denen konnte sie weder ausweichen noch langsamer werden. Kurz und schmerzlos ging das nicht an ihr vorbei. Ihre gewaltigen Füße trampelten die Hälfte der Stängel einfach nieder und von ihr weg. Doch der andere Teil streifte sie linksseitig.
Von ihren wütenden Verfolgern hörte sie nur noch das wilde Rufen, aber keine Gerätschaften, Steine und Stöcke kamen mehr geflogen. Key nutzte den Moment um sich mit Händen voran an einem Baum abzufangen und einen Blick zurück zu riskieren.
»Verfluchte Scheiße noch eins!«
Die gaben ja gar nicht auf. Rund ein halbes Dutzend Leute in flatternden Hosen und Röcken, bewaffnet mit allem Langstieligem, was sie in die Finger bekommen hatten, rannte auf sie zu. Und das da, war eindeutig ein Handbeil. Key holte ungläubig Luft. Das war nicht wahr! Ihr Kopf bildete sich das nur ein.
»Da ist das Biest!«
»Schlagt ihm den Kopf ab!«
Key verschnaufte nur für drei Atemzüge.
»Das kann doch nicht wahr sein.«
Und schon rannte sie weiter, den Vorsprung hatte sie wieder eingebüßt. Wobei es sie allein schon erstaunte, dass sie überhaupt einen heraus gelaufen hatte. Da war doch vorhin direkt hinter ihr einer dieser Bauern gewesen. Jawohl, Bauern - mit Mistgabeln rudimentär bewaffnete Bauern - die sie für ein Monster hielten! Irgendetwas lief hier gehörig schief.