Mitten im Wald
Monster Stufe 15 - "Ochsymoron"
Da steht man wie Ochs vor Berg, +1 auf Weglaufen
Schlimme Dinge: keul, hack, zetret
Steige zwei Stufen auf und ziehe vier Schätze
»Woho! Halt, halt, halt mal, ja?«
Key legte den Kopf schief und blinzelte heftig. Ihr blieb der Mund ein klein wenig offen stehen. Sie musste irgendwo auf den Kopf gefallen sein, denn das was gerade geschah, konnte unmöglich real sein. Na gut, zugegeben, hier war gar nichts real, immerhin Albtraumwelt und so.
Mit gezückten Dolchen, je einen in jeder Hand, war Raoul vor sie gesprungen und versperrte Eric den Weg.
»Das ist unser Ork, ist klar, oder?«
’Unser Ork’?
Der Mann gegenüber trug bunt zusammen gewürfelte Kleidungsstücke, anders als Raouls schicke schwarze Montur. Eric sah aus, als ob er von verschiedenen Wäscheleinen je ein Stück geklaut hätte. Eine schicke Feder zierte seinen Hut und auch er war mit einem Messergurt ausgerüstet. Zusätzlich trug er eine Peitsche aufgerollt am Gürtel. Key gefiel das nicht. So ungern sie es zugab, aber ’ihre’ Jungs reichten. Sie war Schuld daran, dass man auf die anderen jetzt gestoßen war, gerne hätte sie darauf verzichtet. Vor allem darauf, wie die anderen sie ansahen.
Was hatte Raoul noch gesagt auf dem Weg hierher? Sie solle aufpassen, nicht selber zur Beute zu werden. Tja, ta da. Sie war es schon (wieder). Vorsichtig zog sie sich zurück. Das aber ausgerechnet eben jener Idiot sich jetzt für sie einsetzte, war an Dramatik kaum zu überbieten.
Eric setzte zum Sprechen an: »Oh, geht das jetzt schon wieder los? ’Meins’ gleich ’Deins’ ?«
Drohend fuchtelte Raoul mit den Waffen und überkreuzte sie: »Wärm’ jetzt nicht die alten Geschichten auf!«
Der Mann mit den Narben im Gesicht, die im Schatten der Hutkrempe lagen, kam einen Schritt näher: »Und ob. Es ist schließlich genau wie damals. Aber ich frage mich gerade ob die Sau da, wenn ich sie frage, ob sie nicht lieber mit mir kommen möchte, dich auch freiwillig stehen lässt, wie Christine es getan hat.«
»Na, da habe ich mich gerirrt«, murmelte Key ungehört. Es ging noch dramatischer.
Raoul sprang vor und griff seinen Kontrahenten an. Es ging so schnell, Key konnte kaum verfolgen wohin die Arme wirbelten. Aber am Ende rollten die beiden über den Boden und prügelten auf einander ein. Erics stylischer Hut war durch die Gegend gesegelt und lag in einer Pfütze.
»Will keiner von euch, ehm, nein? Auch gut.«
Anscheinend war das für den Rest von Halfdans Gruppe völlig in Ordnung dabei zuzusehen, wie die beiden wie Kindergartenkinder balgten. Bemerkenswert fand Key, dass es doch tatsächlich Triggerpunkte bei Raoul gab, die sie nicht kannte, die ihn aber fuchsteufelswild werden ließen. Selbst sie musste zugeben, bei allem was sie sich so untereinander an den Kopf warfen, das was Eric da angedeutet hatte, war echt unter die Gürtellinie gegangen. Nicht ganz objektiv hielt sie zu Raoul. Sollte er doch bitte diesem gemeinen Kerl so richtig Eins auf die Nase geben. Hatte der bestimmt verdient.
Den Rest der Bagage hatte Key glatt vergessen, während sie dem Gerangel zusah.
»Ihr habt schon einen Kopf im Sack, also solltet ihr uns den Troll überlassen. Der Ork bringt doch bestimmt ein hübsches Sümmchen.« Das überhebliche Lachen widerlegte seine Worte sogleich. Er rieb sich gespielt mit einer Faust vor dem Auge herum, um ein Weinen anzudeuten: »Obwohl ich glaube es sind nur ein paar Tränke.«
Bul Hur, ein Ekelpaket ohne Gleichen. Würde er nicht so unfassbar gut aussehen. Key wandte den Kopf und betrachtete den Mann. Wurde hier gerade ernsthaft gefeilscht? Sie zog sich noch einen Schritt zurück. Es war wirklich nicht ratsam diesem Mann ins Blickfeld zu geraten. Groß wie breit und dabei noch mächtiger in der Erscheinung als Halfdan. Der vermittelte Klasse, Bul hingegen, nun ja, er trug Fell und Hörner am Helm, das sagte alles. Er war der Stereotyp eines Wikingers, von dem sich jede Christin doch gern verschleppen lassen würde um barbarische wilde Orgien zu feiern. Uh ja, Baby, lass uns Klischee machen.
»Wie er schon sagte,« gab Halfdan bekannt und deutete zum Duo aus fliegenden vier Fäusten, »Unser Ork.« Er zeigte auf Key.
Eine andere Stimme aus dem Gefolge des gegnerischen Barbaren meldete sich zu Wort: »Du meinst jetzt aber nicht, euer Ork-Maskottchen oder so was, oder?«
»Es ist nicht gefesselt. Ich glaube, die meinen das Ernst, Thinges«, macht Bul.
Die Augen der Orkin wurden riesig. »Tarje?«, sie flüsterte seinen Namen.
Der Jäger hob soeben seinen Bogen an und machte einen auf heroisch. Er leckte die Federn am Schaft an, ehe er den Pfeil gemächlich auflegte. Er stand schräg hinter ihr, trat aber in die Lücke, die sie hinterlassen hatte auf ihrem Rückzug.
»Hallo Brüderchen«, machte Thinges gegenüber.
Die Orkin konnte kaum mehr erkennen, wer es war. Aber jetzt da er von Geschwistern sprach, glaubte sie in seinen Zügen Ähnlichkeiten festzustellen. Eine ebenso hübsche Ausgabe des Bogenschützen in der Reihe, die auf Konfrontationskurs war. Na, hier war ja was los. Sie konnte dem Unheil nur tatenlos entgegenblicken. Viele unaufgearbeitete Gefühle und Feindschaften lagen in der Luft. Es knisterte doch regelrecht. Es war nur die Frage, wer den ersten Schritt machte.
Bul Hur versuchte es noch einmal vernünftig, obwohl er sich mit den Seinen einer geschlossenen Formation gegenüber sah. »Überlasst uns den Troll.«
Sie schüttelten auf Keys Seite alle den Kopf. Key schüttelte einfach mit.
Die dicke Axt, die Bul hochhob und waagerecht vor sich hielt, war dann wohl Antwort und Aufforderung in einem. Key wich weiterhin kopfschüttelnd zurück, um den Männern Platz zu machen. Sie hatte das unbestechliche Gefühl, hier würde sich entscheiden, ob sie ihren Kopf behalten würde oder nicht. Um den Troll ging es schließlich nur sekundär.
Ulkigerweise traktierten sich Raoul und Eric immer noch abseits der anderen. Aus der Rauferei war eine handfeste Prügelei geworden, die keiner von ihnen aufzugeben bereit war. Gerade flog Raoul über Erics Rücken geworfen ins nächste Gebüsch. Yoannis ließ sich in die zweite Reihe zurück fallen, hinter seine drei Kameraden. Key hatte sich ja schon die ganze Zeit gefragt, was er zur Truppe beitrug, außer Tee kochen. Aber sie vermutete stark, dass er derjenige war, der bei allen ’Danachs’ das provisorische Feldlazarett bedienen durfte.
Vor dem Danach kam aber das Davor und es begann mit Halfdan. Der sein Schwert mit beiden Händen hochriss und einen Tarzan verdächtigen Schrei vom Stapel ließ. Key schürzte die Unterlippe vor, doch ja, schon beeindruckend. Dagegen donnerte Buls Stimme um einiges mehr, was ihr wiederum eine Gänsehaut bescherte.
Der geküsste Pfeil sirrte davon, aber Thinges wich aus, in dem er lediglich den Oberkörper zur Seite drehte und dann los wetzte. Ehe Tarje einen weiteren Pfeil anlegen konnte, schlug der Bruder seinen Mantel nach hinten. Der rote Samt flatterte und eine Armbrust kam zum Vorschein. Instinktiv verschwand Key hinter dem nächsten Baum und blickte an ihm vorbei.
Wo der Bolzen hingeflogen war, konnte sie nicht ausmachen, Fakt war aber, dass die beiden Brüder Raoul und seinem Rivalen in nichts nachstehen wollten in puncto: ungelöste Probleme. Tarje schlang seinen Bogen um den Hals seines Bruders, der ihm daraufhin mit der Armbrust in den Bauch stieß.
Die Orkin konnte von ihrem Punkt aus gut mitverfolgen, was sich alles an den einzelnen Fronten zutrug. Auch wie das Pendant zu Cranis in seiner Hand einen Feuerball erwachsen ließ, der hell aufloderte. Er warf ihn wie andere Leute Bälle beim Völkerball. Cranis hatte ja wohl hoffentlich nicht vor den zu fangen? Nein, er wich aus und ließ den Feuerball einen Krater dort einschlagen, wo er gerade noch gestanden hatte. Seinen kleinen Zweig legte er sich über den Handrücken um ihn zu stabilisieren und trieb damit seinen persönlichen Gegner Haken schlagend herum. Blitze waren eh viel toller als Feuerkugeln. Key merkte erst, dass sie die Luft angehalten hatte, als sie nach eben dieser schnappte. Das magische Duell war atemberaubend anzusehen. Aber erhabener wirkte der Kampf zwischen Bul Hur und Fyrste Halfdan. Das hatte etwas wahrlich Ritterliches. Als sie den beiden Riesen mit den dicken Zweihändern zusehen wollte wurde ihr Blick jedoch abgelenkt zum "Heilerduell".
Erst nahm sie an Yo würde mit einem Skalpell auf den Typen losgehen, der seinen großen Rucksack von sich schleuderte und auf direkten Konfrontationskurs ging. Sie hatte wirklich noch nie im Leben gesehen wie zwei Feldscher sich an die Gurgel gingen. Es hatte es von Mönchen, die versuchten sich mit Fingern an strategisch wichtigen Stellen zu treffen. Und nebenher eine sehe elegante Capoeira-Beinarbeit an den Tag legten.
»Was ist denn hier los?«
»Ein Mehrfach-Duell«, gab Key Auskunft. In ihrer Stimme schwang Begeisterung mit.
»Interessant.«
»Ja.« Gebannt starrte sie weiter zum Kampfplatz, der bald übersät war von Löchern und Kratern. Nicht nur auf magische Weise produziert. Auch die Klingen, die sich in den Boden gebohrt hatten, hinterließen sichtbare Scharten. Der Orkin fiel es nicht im Traum ein, dass jemand sich an sie angeschlichen hatte und sie ausfragte.
»Für wen bist du?«
Sie antwortete: »Na für die.«
»Interessant.«
Erst jetzt wurde sie stutzig. Sie drehte langsam ihren Kopf.
Der Schrei blieb ihr im Hals stecken, sie verschluckte diesen schlichtweg und erhielt als Quittung vom Zwerchfell einen Schluckauf.
»Wa- Wa- Wa-?«
Ein riesiges zotteliges Ding mit steingrauer Haut saß neben ihr. Es war so groß, dass es sich tief hinunter beugen musste, um seinen Kopf auf etwa die gleiche Höhe wie sie zu bekommen. Es saß so, dass seine Knie sogar über seinen Kopf in dieser Haltung hinaus ragten. Seine Tatzen seitlich von sich auf den Boden gestemmt. Es hatte kleine runde Äuglein und eine lange krumme Nase auf der Pilze wucherten. Dem Aussehen nach Champignons.
»Nabend, Wawawa«, meinte Er oder Es.
Der Kampf im Hintergrund war vergessen. Key dachte sich nur: Bitte friss mich nicht!
Die eine große Klaue erhob sich und er öffnete die Finger. Er hatte nur einen Daumen und zwei Finger. Den einen hielt er ihr hin. »Ich bin Kevin.«
Key griff mit der ganzen Hand zu, um seinen Finger zu schütteln.
»Hoffentlich hauen sie sich gegenseitig so kaputt, dass wir ihnen egal werden.«
Key folgte langsam dem Blick des Riesen hinüber zu den Kämpfern. Unablässig rotierten die Fragen in ihrem Kopf. Was hieß hier bitte ’wir’ und wieso war er/es so unfreundlich und hoffte, dass die Jungs sich halb tot prügelten? Was war er/es Kevin? Und von allen möglichen Fragen stellte sie diese, drehte ihren Kopf und stemmte ihre Hände in die Seiten: »Sind das Champignons auf deiner Nase?«
Kevin drückte sich ein wenig tiefer und zupfte sich einen Pilz mit spitzen Fingern aus und bot ihn ihr an.
»Ah, wie unaufmerksam von mir, möchtest du, ich lade dich ein, Wawawa.«
Ihre Hände streckten sich, ohne dass sie diese davon abhalten konnte und nahmen den Pilz aus den Fingern des Trolls.
»Dan-ke?«
Kevin grummelte tief, es klang, als ob Steine in seiner Kehle polternd aneinanderschlugen. Sie würde diesen Pilz auf gar keinen Fall konsumieren, wer wusste schon, was das auslösen würde. Aber wegwerfen konnte sie ihn jetzt nicht, das wäre unhöflich gewesen und sie wollte alles, aber sicher nicht diesen Giganten erzürnen. Der musste nur seinen Daumen benutzen und würde sie wie einen Nagel ins Holz, im Waldboden versenken.
»Du bist ...?«
In seiner Nähe konnte sie keinen Satz zu Ende bringen. Aber zuvorkommend wie Kevin war, half er schon aus.
»Kevin, der Troll.«
Na klar, wer auch sonst.
»Ah, der Troll«, Key nickte und zog den Pilz an ihren Körper, der so groß war wie eine Thermoskanne.
»Warte, was? Der Troll? Ich meine: DER Troll?«
Er/Es - Der Troll nickte und sein wuschiges Fell vibrierte.
»Also, nur damit ich das richtig verstehe, du bist Kevin, der Troll. Der Troll Kevin, der hier die Ortschaften terollisiert? Ehm, ich meine trollisiert, ach Quatsch! Terrorisiert.«
»Hm«, brachte der Troll zu Stande.
Verwirrt drehte Key den Kopf und hieb ihn gegen den Baum. Der daraufhin nicht anfing zu wackeln und Blätter abzuwerfen. Nur ihr Kopf tat danach weh.
»Wawawa, du - darf ich dich Wa nennen? - du redest ganz schön wirr, selbst für einen Ork.«
Jetzt hatte er ihre volle Aufmerksamkeit. Sie riss den Kopf wieder herum und pampte ihn an: »Ich bin kein Ork und nein, du kannst mich nicht Wa nennen.«
Der Troll nickte. Kurz darauf meinte er betont enttäuscht: »Wir sollten uns jetzt schleichen.«
Die Orkin, die ja vehement behauptete sie sei keine, blinzelte. »Wieso?«
Kevin deutete am Baum vorbei: »Sie sind fertig.« Damit richtete er sich auf und stapfte davon. Key bewunderte seine Größe, als er sich aufrichtete, schien er sich zu entfalten. Er drückte sacht ein paar Bäume zur Seite und verschwand dazwischen. Sie starrte ihm mit offenem Mund hinterher. Wie konnte Kevin eine solche Größe erreichen und dabei seine Füße so vorsichtig platzieren ohne das leiseste Geräusch zu verursachen? Wie konnte er vor ihren Augen sichtbar unsichtbar werden?
Sie stand noch immer in Schockstarre mit Pilz hinter dem Baum, als eine Stimme sie zurück ins Hier und Jetzt riss. Wer hätte es anderes sein können als Raoul? Er packte sie, drehte sie, schmetterte sie gegen den Baum und griff nach ihrem Gesicht. Tastete es kurz ab, ehe seine Hände weiter glitten zu ihrem Hals und ihren Schultern. Als seine Finger gefährlich nah den Brüsten kamen, fauchte sie ihn an. Ihre Augen glänzten. »Aus! Pfui!«
Der Schurke schien erleichtert. »Ich habe dich gerufen. Ich hatte schon das Schlimmste befürchtet.«
Die Orkin drückte ihren Pilz und trat an ihm vorbei, nicht ohne mit ihrer kräftigen Schulter absichtlich fest gegen seine zu stoßen.
»So? Was wäre denn das Schlimmste? Das ich noch lebe? Ta da! Ja, du hast mich weiter am Hals.« Sie stapfte um den Baum herum, zurück Richtung Kampfplatz.
Raoul blieb, wo er war, starrte auf den Boden und rieb sich die Schulter. Die ihm ohnehin weh tun musste, so ramponiert wie er aussah durch die Rauferei.
Anscheinend hatte Key das Beste verpasst. Obwohl das Ansichtssache sein konnte. Wann traf man sich schon mal auf einen Plausch mit einem Troll? Ihr Souvenir hielt sie eisern umklammert, von der gegnerischen Gruppe keine Rückstände mehr erkennbar. Sie hatten sich und ihr Zeug gepackt und sich davon gemacht. Anscheinend war das wohl ein Sieg für Halfdan und die Seinen. Key fragte sich, wer jetzt das Fähnchen in das eroberte Terrain stecken würde.
Niemand wie es aussah. Tarje und Halfdan standen abseits und hielten sich bereit, falls doch noch etwas nachkommen sollte. Cranis saß auf dem Boden, seine hübsche, penibel sauber gehaltene Robe, war befleckt. Ein großes Loch war auf Bauchhöhe hinein gebrannt mit braunen Rändern. Da konnte er von Glück sprechen, dass er sich nicht, dank seiner Kleidung, in eine menschliche Fackel verwandelt hatte. Aber Yoannis kümmerte sich darum - um den Mann in der Robe, nicht um die Robe. Die war hinüber.