Nach den drei Tagen.
Fluch: "Ich habe einen Stein"
Jeder außer dir findet einen kleinen Gegenstand, du nur einen Stein.
Bonus: +1 (nur einmal einsetzbar)
Wert: 0 Goldstücke
»Wir sind hier hoch gekraxelt, um was zu tun?«
Völlig aus der Puste stützte Key sich auf ihren Oberschenkeln ab und musste sich eingestehen, dass sie wieder einmal verschnaufen musste. Der Weg war durchaus als anstrengend zu beschreiben. Die Herren gaben sich keinerlei Blöße. Mit Sack und Pack waren sie den schmalen Bergpfad entlang gezuppelt, als würden sie jedes Wochenende einen Ausflug in die Höhen unternehmen. Key graute allein schon bei dem Gedanken daran, diesen verfluchten Berg auch wieder hinunter zu müssen.
»Hinter dem Berg gibt es ein paar Ansiedlungen.«
Das kam von ganz vorne, wo Halfdan zügig ausschritt, nun aber stehen geblieben war und sich umsah. Wie immer war von Tarje gar nichts zu sehen, der war schon vor Stunden vorausgeeilt. Yoannis legte seine warme Hand auf Keys Schulter.
»Die Bewohner dort brauchen unsere Hilfe.«
»Beim Almabtrieb, oder was?«
Fragend sahen die anderen sie an. Raoul bildete das Schlußlicht und vertrieb sich die Zeit damit kleine Steinchen in die Schlucht zu ihrer Seite zu kicken.
Daher war es der Magier, der nach einem abstimmenden Kopfnicken mit dem Krieger seinen Oberstudienratblick auf sie richtete.
»Hier in der Gegend gibt es Trolle. Und ja, diese behindern unter anderem den Abtrieb von Kühen und Ziegen. Aber schlimmer ist, dass sie Reisende, Wanderer und die Anwohner regelmäßig überfallen.«
»A-ha«, machte Key und dankte Yo für seine kleine Streicheleinheit, indem sie ihre verschwitzte Hand kurz auf seine legte und tätschelte. Er ließ sie los, damit sie sich wieder aufrichten konnte.
»Und wir sind hier, um den Trollen den Sheriff-Stern unter die Nase zu reiben?« Die Jungs wussten nicht, was sie meinte, daher wedelte sie mit der Hand. Im Grunde konnte sie sich den Rest selbst zusammenreimen.
Cranis hielt es jedoch für angebracht sie aufzuklären, seine Stimme schnarrte: »Ich nehme an, du wirst als Nächstes fragen, wie Trolle aussehen. Also werde ich dich instruieren.«
»Können wir dabei weiter gehen?« Raoul klang schon beinah so genervt wie Nörgel.
Nur war der Fee sicher verpackt in Cranis' Tasche. Auf die jetzt Keys Blick kurz fiel. Sie setzte sich wieder in Bewegung: »Na schön, oh wandelndes Lexikon, erzähl’ mir was über Trolle.«
Selten genug, dass Key einem der Männer eine andere Reaktion als ein verstimmtes Grummeln entlocken konnte, schien der Magier sich tatsächlich zu freuen, dass sie es wissen wollte. Und wenn das kein kleines, ziependes Lächeln in der linken Ecke seines Mundes war, dann hätte Key schwören können, er hätte ihre Flapsigkeit für bare Münze als Kompliment genommen.
»Es gibt unterschiedliche Troll-Arten.«
Ach nee.
»Die meisten sind klein, haben kurze Beine, lange Nasen, büscheliges Haar und ein Schwänzchen mit Quaste. Sie leben im Wald und sind entfernt verwandt mit Feen.«
Mit Juwel im Bauchnabel?
Oh, Key konnte sich gut vorstellen, was Nörgel dazu zu sagen hätte. Sparte aber ihre Luft zum Laufen. Das angeschlagene Tempo der Männer konnte sie kaum mithalten, trotzdem sie schon festgestellt hatte, dass seit sie ein Ork war, enorme Körperkräfte besaß. Anscheinend schienen die aber nicht jederzeit abrufbar, vor allem dann nicht, wenn man noch mit dem Rest des monatlichen Besuches fertig werden musste. Obwohl es da schon echt von Vorteil war, wenn man ein paar Tücher zweckentfremden konnte, um sich eine Unterhose zu basteln.
»Lass mich raten und dann gibt es die große Sorte?« Sollte ja keiner auf die Idee kommen, sie würde nicht mitdenken.
Erfreut klatschte Cranis in die Hände. »Exakt. Es freut mich, dass dich das Thema so interessiert.«
Und er schwafelte weiter. Key hatte ja gehofft, ihre patzige Art würde ihm die Lust auf eine Unterrichtsstunde vergällen. Da lag sie wohl daneben.
»Ich«, sie holte Luft, »weiß nur, dass sie«, erneut musste sie Luft holen, »unter Brücken«, oh zum Mäuse melken, »leben.«
Die Gruppe schwieg, wie üblich, wenn sie eine völlig irre Behauptung aufstellte. Aber Halfdan schien ihr wirklich endlich zu glauben.
»Leben die Trolle, da wo du herkommst, unter Brücken?«
Sie seufzte. Wie sollte sie ihm, einem Märchenprinzen erklären, dass das bei ihr zu Hause unter die Rubrik: Mythen und Märchen fiel? Wahrheitsgemäß äußerte sie umsichtig: »Ich habe noch nie Einen gesehen.«
Cranis nickte heftig.
»Sie sind eher scheu. Deswegen leben sie ja im Wald und in den Bergen. Und man kann sie tolerieren, solange sie sich verstecken.«
Haha! ’trollerieren’ - die Orkin schwieg, sie wusste mit Sicherheit zu sagen, was als Nächstes kam.
»Manchmal aber«, sofortiges Verstummen.
Halfdan riss die behandschuhte Faust hoch. Key wusste schon, es hieß: Halt! Seid leise! Gegen ihr verräterisches Schnaufen konnte sie nicht viel tun.
Erst als der Krieger den Arm fallen ließ, nahmen sie den Weg wieder auf, schweigend. Der Weg schlängelte sich weiter, weg vom Rand und durch massiven Stein hindurch, wie eine Rinne. Key fühlte sich erdrückt von allen Seiten. Vorne wie hinten die Kerle, links und rechts der Stein. Oben ein blauer Strich, der den Himmel in weiter Entfernung zeigte. Erst als sie das Ende dieses Passes erreichten, fühlte sie sich besser.
Jedoch nur für ein paar Augenblicke. Dann musste Yoannis sie schon mit sanfter Gewalt anschieben. Der Weg endete einfach. Dahinter war nichts als der Abgrund, der pfeifende Wind, der an ihren Haaren riss, untermalte ihre Angst. Man wusste anscheinend erst das man Höhenangst hatte, wenn man damit konfrontiert wurde. Sie schlugen den Weg längs des Gesteins ein. Key erkannte jetzt erst Tarje, der dort wartete. Und hinter ihm eine enorm lange, enorm wackelig aussehende Brücke, die den Abgrund überspannte. Von wegen Brücke.
»Da gehe ich nicht drüber.«
Die Männer sahen sie an.
Sie verschränkte die Arme. »Das ist nicht euer beschissener Ernst!«
Hinter ihr knurrte es, aber da Yoannis als Puffer dazwischen stand, konnte Raoul ihr zum Glück keine Kopfnuss verpassen, weil sie wieder nach vorn gebeugt stand und pumpte.
Die Brücke war ein dickes Tau, aus dem schon einzelne Fetzen heraus hingen. Links und rechts etwas höher hingen zwei weitere dicke Schnüre. Sie erkannte den Sinn, aber sie würde keinen Fuß darauf setzen.
Tarje rollte die Augen und legte sich seinen Bogen um Schulter und Brust, dann griff er nach den Seilen und balancierte elfengleich drauf los. Halfdan wartete, ehe er hinterherging.
»Hallo? Habt ihr vergessen, wie viel ich wiege?«
Halfdan lachte auf, der Wind riss ihm einen Teil der Lautstärke von den Lippen, aber klar hallte seine Stimme dennoch herüber. »Wenn ich mit meiner Rüstung das schaffe, schaffst du das im Unterhemd auch!«
Da waren sie wieder. Die versteckten Spitzen. Key stemmte die Füße in den Boden. Was bei massiven Fels keinerlei Wirkung hatte. »Das mach’ ich nicht! Meine Mutter hat immer gesagt: Wenn alle von der Klippe springen, soll ich nicht hinterher springen.«
Gedämpftes Lachen drang an ihr Ohr.
»Anscheinend sind Ork-Mütter sehr klug.«
Jetzt knurrte sie. »Hast du gerade behauptet meine Ma sei ein Ork, Raoul?«
Yoannis ging aus der Schusslinie, quetschte sich wagemutig an Key vorbei und schloss zu Cranis auf, dessen Fuß schon auf dem Seil stand.
»Dann bleib’ halt hier. Ruh’ dich aus. Sieh’ zu wie du allein klar kommst.« Dass der Kerl immer so fies sein musste. Der Schurke machte Anstalten ebenfalls an ihr vorbei zu gehen. Key packte seinen Arm. Es folgte einer jener Momente in denen man sich gegenseitig tief in die Augen blickte. Ein Moment in dem so viel hätte gesagt werden können. Aber er verstrich ungenutzt.
»Nur damit du es weißt. Meine Mama ist kein Ork.«
Dann stieß sie Raoul zurück hinter sich und ging zur Brücke.
Sie spürte unter ihrem Fuß wie das Seil das Gewicht aufnahm. Ihr wurde sofort schwindelig. Der beißende Kommentar von hinten, feuerte sie jedoch an.
»Nicht nach unten schauen.«
Keifend hob sie den Kopf: »Ach, wirklich? Da wäre ich ja nie drauf gekommen.«
Sie versuchte die Seile an den Seiten fest zu packen, die Füße wie ein Seiltänzer voreinander zu setzen. Aber alles schwankte. Yoannis rief auf halber Strecke fröhlich: »He Key, hier ist deine Brücke, schau’ doch mal, ob du deinen Brückentroll schon sehen kannst.«
Sie kniff die Augen zusammen. Jetzt machte sich auch noch der Priester über sie lustig. Na ganz klasse. »Witzig. Wirklich!«
Sie versuchte weiter zu gehen. Konzentrierte sich auf jeden Schritt. Jedes Mal wenn sie ihren Fuß hob, um ihn vor den anderen zu setzen, schlug ihr Herz wild. Jedes Mal wenn alles gut ging, beruhigte sich ihr Puls. So langsam glaubte sie daran, dass das hier funktionierte. Wäre Raoul nicht gewesen. Klar, es war immer diese Krähe. Er war direkt hinter ihr mittlerweile, obwohl er spät gestartet war. Aber Key brauchte dreimal so lange wie die anderen. Er hielt sich fest, federte in den Beinen und übertrug die Kraft auf das untere Seil, auf dem sie alle standen. Das Gebilde begann zu wippen.
Key schrie auf und kniff die Augen zusammen, hielt sich fest so gut es ging und stand Todesängste aus. Es war so weit, er brachte sie mal wieder zum Heulen. Was sie nur dadurch überdecken konnte, indem sie anfing zu schimpfen.
»Lass das! Du verdammtes Arschloch, du bringst uns um. Hör auf. Ich hasse dich.«
Raoul lachte hinter ihr, hörte aber auf.
»Beweg deinen dicken Hintern.«
»Pass auf, dass ich mich nicht umdrehe und mich einfach mit dir da hinunter stürze.«
So aufgeregt wie sie war, wollte sie sich beinahe wirklich umdrehen. Doch in diesem Moment fegte eine eiskalte Windböe heran und schüttelte sie durch. Ihre Haare wurden zur Seite gerissen, versperrten ihr die Sicht. Und der nächste Windstoß hob ihr Nachthemd an. Jetzt quietschte sie, anstatt zu schreien. Raoul konnte sich kaum halten vor Lachen und rutschte mit einem Fuß vom Seil. Er erschreckte sich, hielt sich aber gut fest.
»Hör’ auf!«, flehte die Orkin mittlerweile, weil alles wippte und schaukelte.
»Das bin ich nicht.«
Er klang zu belustigt, als dass das stimmen konnte. Key würde, wenn sie hier herüber war, auf die Knie fallen und den Boden küssen. Den Rest des Aktes brachte sie zitternd hinter sich. Mit Raouls Gekicher im Rücken, er hatte mittlerweile rote Wangen von Wind und Lachen. Als sie wirklich auf der anderen Seite angekommen war, ohne abzustürzen, fiel sie auf die Knie. Raoul schlüpfte an ihr vorbei und beugte sich kurz zu ihr hinab, nur um sie noch einmal zu demütigen.
»Heißer Hintern.«
Sie hieb mit der Faust auf den Boden. Und da war ihre Kraft. Ihre Knöchel bohrten sich in den Stein. Kleine Splitter spritzten zur Seite und sie hinterließ eine hübsche Delle. Mit der anderen Hand wischte sie sich über die Wangen.
Die Männer waren schon ein Stück weiter.
»Kommst du?«
Wer es war, war ihr egal. Sie nahm sich so viel Zeit, wie sie benötigte. Als sie ihre Faust aus dem Dreck hob, lächelte sie in die Wunde, die sie dem Berg geschlagen hatte und steckte sich einen der Kiesel in die kleine Brusttasche.
»Key was here.«
Die Jungs holte sie nur ein, weil diese doch tatsächlich ein klein wenig das Tempo gezügelt hatten. Sie hörte gerade noch, wie Raoul zu den anderen sagte: »Ehrlich, sie kann wirklich kein Ork sein. Ich habe noch nie einen Ork so kreischen gehört. Orks kreischen nicht.«
Der Krieger lachte: »Stimmt. Aber reiz sie nicht so viel.«
Raoul wollte zweifellos gerade zu einer passenden Antwort ansetzen, aber Yoannis räusperte sich vernehmlich.
»Da bist du ja.«
»Ah, die Sau ist wieder da.«
Halfdan gab das Zeichen weiter zu marschieren. Key hob den Kopf so hoch sie konnte, um betont stolz ihren Platz wieder einzunehmen. Als sie an Raoul vorbei kam, trat sie ihm absichtlich auf den Fuß. Er trug Lederstiefel und sie war barfuß, das machte jedoch nichts. Sein Gesicht verzog sich. Sie hielt sogar inne.
»Schon mal von ’nem Brauereipferd getreten worden? Ich schon. So fühlt sich das an.«
Sie drückte so doll sie konnte und ging dann weiter. Yoannis presste die Lippen fest aufeinander, während der Rest das gar nicht mitbekam. Nur der Schurke, der humpelte die nächsten zehn Minuten mit verkniffenem Mund. Da war ihm dann wohl endlich mal die Spucke weggeblieben.
Der Weg war ebener und Key gestattete es sich noch mal eine Konversation zu initiieren.
»Also. Trolle. Wir jagen jetzt also den Obertroll?«
Sie rechnete damit, dass der Schlaumeier dozieren wollen würde. Aber es war doch tatsächlich Raoul, der seine Zunge wieder gefunden hatte.
»Ich höre immer ’wir’. Das Wildschwein müssen ’wir’ schon in irgendeinem Fass verstecken, sonst gehen die Bergbewohner doch gleich auf sie los.« Davon abgesehen rief er lauter, um bis zu Halfdan durchzudringen: »Und von der Belohnung kriegt sie auch nichts ab! Sie kann froh sein, dass sie nicht selbst die Beute ist!«
Rasch zog sie den Kopf ein, jetzt war der Herr also beleidigt und redete von ihr nur noch in der dritten Person. Fein, konnte er gerne haben.
»Ich will von eurer blöden Belohnung gar nichts. Und helfen werde ich euch sicher auch nicht.«
Erstens, weil sie es nicht konnte, unbekleidet und unbewaffnet (gedanklich hinzugefügt: untalentiert) wie sie war und zweitens, weil sie nicht die geringste Lust verspürte einen Troll zu erlegen. Überhaupt irgendetwas zu erlegen. Das wäre ja, da sie hier den Ork darstellte und abnormal war, als ob sie mit dem Feind paktierte gegen ihre eigene Art.
Diplomatie stand sicher nicht auf Halfdans Banner, aber er versuchte es dennoch: »Erst einmal ankommen. Dann sehen wir weiter.«
Sowohl Raoul als auch Key rollten mit den Augen. Ein wenig unwohl fühlte sich Yoannis dazwischen ja schon. Andererseits war es amüsant. Er bekam so langsam ein Gefühl dafür, was hier vor sich ging. Unverdächtig warf er einen Blick über die Schulter und lächelte still für sich.