Es war kurz vor elf, als sie zurück zu Weiwens Wohnung kamen und langsam drohte die Müdigkeit Pakhet endgültig zu übermannen. Gleichzeitig war da die Angst. Die Angst davor zu schlafen. Denn sie wusste, dass die Albträume kommen würden. Darauf war Verlass. Sie wollte diese Albträume nicht.
„Wollen Sie noch etwas essen?“, fragte Weiwen, als sie die Wohnungstür hinter ihnen schloss. Sie lebte in einem Apartmentgebäude direkt neben der Parkanlage eines Tempels. Auch wenn Pakhet nicht genug verstand, ging sie jede Wette ein, dass der Tempel etwas mit dem Drachen zu tun hatte.
„Ja, vielleicht“, murmelte sie und rieb sich die Augen. „Es ist vielleicht besser.“
„Gut. Ich mache Ihnen noch was. Ich habe noch Suppe. Ist das okay?“
Pakhet nickte nur. Ihr war schwindelig. Sie wollte sich hinsetzen, wusste aber nicht wo. Wo würde sie überhaupt schlafen?
Zugegebenermaßen erschien ihr die Wohnung überraschend groß für eine alleinstehende Frau in einer chinesischen Großstadt. Waren hier die Wohnungen nicht notorisch klein und notorisch teuer? Sie fragte sich, womit Weiwen üblicherweise ihr Geld verdiente. Machte sie so etwas vielleicht doch öfter? Oder hatte vielleicht der komische Drache Kontakte, war vielleicht selbst Besitzer des Wohnblocks? Es wäre eine Erklärung.
Aber sie fragte nicht. Stattdessen: „Kann ich mich irgendwo hinsetzen?“
„Sicher“, erwiderte Weiwen. „Gehen Sie in mein Büro. Da können Sie heute Nacht auch schlafen.“
Mit dem Büro meinte sie wahrscheinlich das Zimmer, in dem der Spiegel stand oder gestanden war. Weiwen hatte ihn in einem Schrank verschwinden lassen. Letzten Endes waren Spiegel gefährlich.
Pakhet nickte und schwankte zu der Tür. Es war alles ein wenig fiel. Im Zimmer ließ sie sich auf den einfachen Stuhl fallen und wagte es für einen Moment die Augen zu schließen. Ja, sie war deutlich, sehr deutlich übermüdet. Ihr Körper hatte einiges aufzuholen. Aber zumindest Essen klang nach einer guten Idee.
Müde griff sie in die Innentasche ihrer Jacke und holte die Papiertüte heraus. Darin war eine einfache Ampulle, die offenbar geöffnet und wieder verschlossen war. Das Label war abgekratzt worden. Darin musste die Droge sein. Das Gift. Warum wollte sie es überhaupt so machen?
Wahrscheinlich war es ihr eigener Perfektionismus. Und der Wunsch nicht zu versagen. Sie wollte nicht versagen. Sie wollte Li nicht die Genugtuung geben. Selbst wenn er es wohl kaum als Genugtuung empfinden würde, erschossen zu werden.
Nein. Sie würde es dieses Mal richtig machen.
Schließlich kam Weiwen in das Zimmer, brachte eine Schüssel und einen Teller mit sich. In der Schüssel Suppe. Auf dem Teller welche von diesen chinesischen gefüllten Teigtaschen. Pakhets müdes Gehirn weigerte sich ihren richtigen Namen aufzurufen.
Sie sah Weiwen an. „Danke“, flüsterte sie.
„Gerne“, erwiderte Weiwen mit einem professionellen Lächeln. „Sie sehen müde aus. Ich habe nur eine Luftmatraze zum Schlafen. Ist das in Ordnung?“
Irgendwie hatte Pakhet nicht das Gefühl, dass „Nein“ eine mögliche Antwort war. Sie nickte nur. Schlafen konnte sie überall. Sie war Soldatin gewesen. Beim Militär schlief man entweder gar nicht oder lernte überall und unter beinahe jeder Bedingung ein wenig Schlaf zu bekommen.
„Gut.“ Weiwen wollte sich abwenden, hielt dann aber inne. „Also … das Angebot mit dem Schlafzauber …“
Pakhet zögerte. Sie mochte den Gedanken noch immer nicht. „Können Sie einen Trank herstellen?“, fragte sie daher.
Wahrscheinlich verstand Weiwen. Sie nickte. „Natürlich.“
„Dann klingt es nach einer ausgezeichneten Idee.“