Pakhet hatte schlimmeres befürchtet. Vor allem hatte sie befürchtet, dass Li, wie die meisten in dieser Stadt, in einem Apartment lebte. Doch nein. Er war ein reicher Schnösel. Reich wahrscheinlich von seinen Drogengeschäften. Statt einem Apartment hatte er ein Haus am südöstlichen Rand der Stadt. Kein besonders großes Haus, doch ein edles, sogar mit einem Garten – und einer Mauer, die diesen umgab.
Pakhet hatte den Leihwagen einige Straßen entfernt abgestellt und war den Rest der Strecke gelaufen. Sie wollte nicht riskieren, dass jemand Ausschau nach dem Wagen hielt – denn waren ihr die zwei Typen unten entkommen. Und wahrscheinlich hatten andere Leute sie beobachtet.
Die Frau war tot. Aber wenigstens hatte sie diese Adresse herausgerückt. Wenn sie denn die Wahrheit gesagt hatte. Eigentlich sollte sie gewusst haben, dass Pakhet sie nicht würde gehen lassen. Nicht nach dem was sie ihr angetan hatte.
Bevor sie den Wagen zurückgelassen hatte, hatte Pakhet die Wunden an ihrem Hals und ihrer Seite mit Pflastern verarztet. Sie würde zurück in Südafrika jemanden daraufschauen lassen müssen. Wenigstens waren die Nägel der Frau nicht vergiftet gewesen. Was auch immer die Frau eigentlich gewesen war. Dämon? Fae? Vampir? Jedenfalls kein Mensch und recht sicher auch kein Gestaltwandler – sonst hätte sie ihre Gestalt spätestens im Kampf angenommen.
Eigentlich hätte Pakhet sich eine weitere Waffe gewünscht. Ihre (Waffe) war klein, hatte nur fünfzehn Schuss, selbst wenn sie ein weiteres Magazin dabei hatte. Sie wusste nicht, mit wie viel Sicherheit sie würde rechnen müssen.
Zumindest waren hier wenig Leute unterwegs. Kein Wunder. Wolken verdeckten den Himmel und es nieselte bereits seit knapp zehn Minuten. So würden ihr vielleicht etwaige Wachen schneller auffallen.
Sie blieb nicht an der Mauer des Grundstücks stehen, betrachtete diese nur aus den Augenwinkeln, während sie daran vorbeilief. Nicht sehr hoch. Gerade einmal zwei Meter. Sie kam locker darüber. Dennoch würde sie es nicht von der Straße aus versuchen.
Gemäßigten Schittes ging sie bis zum Ende der Straße, bog nach rechts ab und verharrte dann zwischen zwei Bäumen die in dieser besseren Gegend die Seiten der Straßen begrünten. Sie holte das Amulett hervor, das sie für viel zu viel Geld gekauft hatte. Es sollte ihr keine komplette Unsichtbarkeit geben, doch zumindest viele Augen über sie hinweggleiten lassen. Komplette Unsichtbarkeit hätte sie fast das Fünffache gekostet.
Also gut.
Sie aktivierte das Amulett indem sie einen kleinen Stoß ihrer Energie hineinleitete und hängte es samt dem Band dann um ihren Hals. Gemeinsam mit einem Schutzamulett, dass zumindest einen Teil von Angriffen abwenden sollte, war es ihre beste Chance. Irgendwann sollte sie wirklich in eine magische Rüstung investieren.
Vor Blicken zumindest etwas geschützt schlängelte sie sich zwischen den Bäumen hindurch auf das nächste Grundstück, das nicht ummauert war. Sie schlich durch einen kleinen Garten, aktivierte ein Licht, ließ sich davon nicht beirren. Die meisten Leute würden hier nichts erwarten – sofern nicht sämtliche Nachbarn bei den Triaden waren. Weiter zum nächsten Grundstück. Dann zum nächsten, das wenigstens umzäunt war. Sie sprang über den Zaun, schlich weiter.
Soweit geschah nichts. Durch einige Fenster sah sie Familien beim Abendessen und einen müden Geschäftsmann, der vor einem Laptop in einem kleinen Wohnzimmer saß und sich die Schläfen massierte. Offenbar wirklich keine Mafiosi.
Schließlich erreichte sie die Mauer. Mit einem letzten tiefen Atemzug nahm sie Anlauf und sprang, landete direkt neben dem Gebäude, dass an dieser Seite nur zwei Meter von der Mauer entfernt war. Die Stadt war dicht bebaut. Selbst ein kleiner Garten war hier teuer – und selbst wenn Li ein reicher Schnösel war, war er wohl reich, aber nicht superreich.
Sie lugte um die Ecke des Hauses und verzog das Gesicht. Ja, da waren Wachen, die direkt beim Tor standen, dass das Grundstück von der Straße trennte. Zwei Stück. Ob weitere im Gebäude waren?
Wenn Li selbst magisch war, musste sie auf Magier gefasst sein.
Kurz zögerte sie. Normalerweise tötete sie nicht unnötig, doch konnte sie es nicht gebrauchen, dass diese Typen ihr am Ende in den Rücken fielen. Nein, dieses Mal würde sie kein unnötiges Risiko eingehen. Wer weiß. Vielleicht war der eine oder andere sogar da gewesen, während sie …
Wieder verdrängte sie den Gedanken, während die Galle ihr emporstieg.
Auch wenn sie es nicht mochte steckte sie ihre Pistole ins Holster zurück, zog stattdessen ihr Messer. Sie wollte unnötigen Lärm vermeiden.
In den Schatten der Mauer gedrückt eilte sie zu den beiden Männern, bis sie nur noch drei Meter entfernt war. Wenigstens wirkte der Zauber. Soweit schien keiner von ihnen sie bemerkt zu haben.
Dann sprang sie. Hätte sie beide Hände gehabt, hätte sie dem Mann den Mund zugehalten, doch so musste sie sich damit begnügen ihm das Messer in den Kehlkopf zu rammen und von dort aus zur Seite zu ziehen. Ein Zischen erklang, als sein Atem durch das Loch entrann. Blut spritzte.
Für einen Moment war sein Kollege zu überrascht, um wirklich zu verstehen. Dennoch griff er beinahe automatisch zu seiner Waffe.
Pakhet warf den Körper des sterbenden Mannes auf den zweiten, sprang hinterher. Wie beabsichtigt reagierte der Mann nicht schnell genug, stolperte zurück, schrie dabei aber. Er wollte schießen, doch bevor er es konnte versenkte sie das Messer in seiner Schulter. Sein Schrei wurde schriller, bis sie ihm mit einem weiteren Schnitt zum Schweigen brachte.
Nun aber erklangen Stimmen aus dem Haus. Rufe in Mandarin.
Das Haus war in einem mehr oder minder modernen Stil gebaut. Ein Stück des Gebäudes samt Balkon wölbte sich über den Eingangsbereich und wurde durch zwei schwarze Pfeiler gestützt. Pakhet stahl sich zu einem der Pfeiler hinüber, verharrte dort, während Schritte zur Tür eilten.
Einen Moment später schwang die Tür auf. Drei weitere Leute – zwei von ihnen Frauen – kamen heraus, alle drei in schwarze Anzüge gekleidet. Der Mann hatte eine offenbar Maschinenpistole in der Hand. Eine der Frauen war unbewaffnet. Eine Magierin? Sie würde es nicht darauf ankommen lassen.
Pakhet wartete, dass alle drei an ihr vorbei waren, hielt sich dann hinter ihnen.
Die drei sahen sich um, dann rief der Mann etwas und eilte zu den beiden Leichen hinüber.
Für einen Moment zögerte Pakhet. Es gab zwei Ansätze: Entweder sie nahm sich zuerst die eventuelle Magierin vor oder sie kümmerte sich zuerst darum, die Maschinenpistole aus dem Spiel zu nehmen. Der Mann war isoliert – aber auch im Sichtfeld der anderen beiden.
Verdammt. Sie nahm die Magierin, schlich sich von hinten heran, das Messer in der Hand.
Dieses Mal hatte sie weniger Glück.
Ob die Magierin sie gehört hatte oder auf magische Art bemerkt hatte, konnte Pakhet nicht sagen. Auf jeden Fall fuhr die Chinesin herum, gerade als Pakhet das Messer hob. Sie machte eine Handbewegung und der Boden unter Pakhets Füßen geriet in Bewegung.
Sie stolperte rückwärts, bemüht das Gleichgewicht irgendwie zu halten. Der Boden unter ihren Füßen schien flüssig, gab nach und wollte sie festhalten.
Derweil rief die Magierin etwas, lenkte damit auch die Aufmerksamkeit der anderen beiden auf sie. Ein Messer war in ihrer Hand.
Scheiße.
Dann halt anders.
Pakhet warf ihr Messer, zielte auf die Brust der Magierin. Wie auch immer diese sie aufgespürt hatte, so hatte sie offenbar dennoch Probleme ihren Bewegungen zu folgen. Das Messer traf sie in der Brust.
Dann erklangen die ersten Schüsse.
Der Boden wurde langsam fester, erlaubte Pakhet zurückzuweichen, hinter dem Pfeiler Schutz zu suchen. Rasch zog sie die Pistole aus dem Holster und schaute am Pfeiler vorbei.
Schnelle Schüsse prallten gegen das Metall. Die automatisierte Waffe. Jetzt würde jeder mitbekommen haben, dass sie da war. Doch wie viele Leute würden schon noch hier sein?
Selbst wenn Li ein größerer Fisch war, als Pakhet gedacht hatte, so würde er ihr keine halbe Armee entgegenstellen können.
Ein Schuss streifte ihren Arm, durchriss auch ihre Jacke und hinterließ einen brennenden Streifen auf ihrer Haut. Sie zischte leise, wartete jedoch, nun an den Pfeiler gelehnt.
Sie wartete, bis die Schüsse verstummten. Die beiden Wachen tauschten Worte aus. Offenbar waren sie verwirrt. Eine gute Chance. Sie trat zur Seite, hob ihre Waffe, schoss zwei Mal auf den Mann mit der Maschinenpistole, zwei Mal auf die Frau. Einen Schuss je auf die Schultern, einen auf den Kopf. Der zweite Schuss auf die Frau verfehlte, der erste aber traf. Sie ging zu Boden. Vielleicht nur ohnmächtig.
Egal.