Pakhet musste sich an der Wand abstützen, um aufrecht gehen zu können. Sie hatte ihre Energie verbraucht. Das einzige, was sie auf den Beinen hielt, war ihr Wille.
Egal. Sie war am Hotel. Sie war – hoffentlich – in Sicherheit. Es war spät genug in der Nacht, als dass kaum jemand hier war. Hoffentlich hatte niemand sie bemerkt. Sie konnte gerade keine Fragen beantworten. Und das Blut, das ihren Körper bedeckte, rief, genau so wie ihr geschwollenes Gesicht, schnell einige Fragen hervor. Das keiner der Taxifahrer sie zu einem Krankenhaus oder zur Polizei gefahren hatte, hatte sie tatsächlich überrascht.
Auf dem Weg hierher hatte sie so oft das Taxi gewechselt, wie sie es gewagt hatte. Hoffentlich war ihr niemand gefolgt. Hoffentlich. Denn weiter könnte sie nicht kämpfen.
Erst, als sie vor ihrem Zimmer stand, bemerkte sie, dass sie ihre Karte nicht dabei hatte. Diese lag noch immer in einem Schließfach in einer der U-Bahn-Stationen. Verdammt. Und jetzt? Was konnte sie jetzt tun?
Wieder war da dieser Knoten in ihrem Magen. Würde sie sterben? Würde sie wirklich sterben? Sie brauchte ihr Handy, brauchte Michael. Ohne ihn hatte sie keine Chance schnell genug einen Heiler zu finden.
Die Panik kroch ihre Kehle hoch. Sie wollte brüllen, schreien.
Nein. Sie musste denken. Einfach denken. Es gab einfache Lösungen. Die Putzfrauen hatten Universalschlüssel. Meistens gab es welche in den Putzräumen. Wenn sie Glück hatte, dann war der nicht abgeschlossen. Gott, sie würde später Dinge erklären müssen. Doch jetzt war es egal. Jetzt musste sie überleben, brauchte ihr Handy. Wenn sie einmal ihr Handy hatte, konnte sie Michael anrufen. Dann konnte jemand sie heilen. Jemand würde sie heilen können … Selbst wenn sie dafür die Art von Schulden machen musste, die sie am meisten hasste.
Sie schleppte sich zum Ende des Gangs, fand den Putzraum. Er war abgeschlossen, doch war das Zahlenpad an der Tür abgenutzt genug, als dass es nicht schwer war, dass lächerliche Passwort zu erraten. 1, 2, 3, 4. Die Tür ging auf.
Ihr Blickfeld war, als würde sie in einen Tunnel schauen. Ein Tunnel, in dem seltsame schwarze Flecken schwammen.
Da. Eine Uniform.
Pakhets Hände hinterließen blutige Spuren auf dem Stoff. Doch da. Eine Karte. War es nur eine Mitarbeiterkarte oder kam sie damit in die Räume?
Sie musste es einfach versuchen. Sie hatte nicht mehr viel Zeit. Ihr war kalt. So kalt. Sie hatte zu viel Blut verloren.
So zog sie die Tür zu, schleppte sich zu ihrer Zimmertür zurück und steckte die Karte in den Schlitz. Eine Sekunde verging. Dann ein Piepen. Das Licht über der Türklinke wurde grün. Die Tür ging auf. Gut. Dankbarerweise hatte sie das Zimmer ein paar Tage zu lang gebucht. Niemand hatte es ausgeräumt.
Sie fiel halb in den Raum, hielt sich an der Tür fest. Scheiße. Verdammt.
Sie schob die Tür zu. Dann krabbelte sie zu dem Bett hinüber, zum Nachtschrank, in dem sie ihr Handy gelassen hatte. Mit zittriger Hand fischte sie es heraus, klappte es auf und lehnte sich gegen das Bett. Sie brauchte mehrere Anläufe, die PIN einzugeben, während ihr Blick immer wieder verschwamm. Sie durfte nicht ohnmächtig werden. War sie einmal ohnmächtig, würde sie sterben.
Endlich: Ihr Handy startete korrekt. Da. Sie konnte es nutzen, rief das Telefonbuch auf. Jetzt konnte sie dankbar sein, dass sie Michael unter „A“ wie „Arschloch“ gespeichert hatte.
Sie schaltete das Handy auf Lautsprecher, während sie die südafrikanische Nummer wählte. Dann wartete sie. Seltsam, dass Michael nicht versucht hatte, sie anzurufen. Immerhin hatte sie sich an dem Abend melden wollen. Dem Datum nach war sie drei Tage in Gefangenschaft gewesen.
Endlich seine Stimme. „Pakhet. Wie schön, dass du dich auch meldest.“
Sie schloss die Augen, atmete tief ein und aus. „Ich brauche einen Heiler, Michael“, hauchte sie. „Einen Heiler. Zum Hotel.“
„Einen Heiler?“ Seine Stimme klang hämisch. Nahm er jemals etwas ernst?
„Ja. Michael. Bitte. Ich verblute.“
„Ich hoffe, du hast genug Geld dabei …“
„Nicht die Art Heiler, die Geld nimmt“, flüsterte sie. „Die Art, die man mit Gefallen bezahlt.“ Sie atmete schwer ein und aus. Es tat weh. „Ich bin im Hotelzimmer. Bitte.“
„Oh, darüber werden wir sprechen müssen.“
„Wenn du den Heiler nicht schnell herschickst, werden wir über gar nichts mehr sprechen“, erwiderte sie. „Bitte.“ Sie hasste es dieses Arschloch anzubetteln. „Bitte, Michael.“
Er lachte leise. „Verstanden.“ Damit legte er auf.
Pakhet ließ das Handy sinken. Sie atmete tief, bewusst. Sie durfte nicht ohnmächtig werden. Nicht ohnmächtig. Sie musste wach bleiben. Wach. Irgendwie.
Ihr war so kalt. Ihr Inneres fühlte sich an, als hätte jemand es komplett rausgenommen und irgendwie wieder reingesteckt. Ihr Bein schmerzte. Sie wäre nicht überrascht, wenn der Fuß ebenfalls angebrochen war. Egal. Alles war egal. Ein Heiler würde es alles hinbekommen. Ein guter Heiler würde die Dinge verschwinden lassen können. Sie brauchte jemanden, ein Fae, einen Geist, so etwas. Irgendsoetwas.
Ihre Wangen waren nass. Vor Schweiß? Vor Tränen. Sie weinte. Weinte sie wirklich? Am liebsten hätte sie geschrien. Vielleicht tat sie es auch. Sie wusste es nicht. Sie wusste nichts mehr. Gar nichts mehr. Punkte tanzten selbst vor ihren geschlossenen Augen. Sie wollte nicht sterben. Nicht so.
Sie wollte nicht sterben.
Dann, endlich, wurde die Tür aufgebrochen. Sie konnte nur hoffen, dass es Leute waren, die hier waren, um sie zu einem Heiler zu bringen. Sehen tat sie nichts mehr. Und langsam schwanden ihr doch die Sinne.