Es war der wohl schwerste Weg, den sie je zurücklegen mussten. Der Gang in die Pathologie. Wieviele Füße waren vor ihnen auf den kalten blanken Fließen getreten? Wieviel Trauer und Schmerz war in der Kraft des Tritts zu spüren gewesen?
John hielt die Finger seiner Frau fest, so fest, dass es ihr sicherlich wehtun musste, aber scheinbar fühlte sie den Schmerz nicht. Ihrer ging tiefer. Viel tiefer. Dazu bedurfte es mehr als das Drücken großer Hände.
Ein Mann in einem grünen Kittel erwartete sie vor einer unscheinbaren Tür. Dahinter lauerte die Antwort, die sie längst kannten, die ihnen nur nochmal bestätigt werden sollte.
»Sind Sie soweit?«, fragte der Mann, und auf Zoés Nicken führte er sie in einen kleinen Raum. Steril, weiß, ohne Leben. Wie die Körperkonturen des Jungen, die sich unter einem dünnen Laken abzeichneten.
John sah auf seine Füße, die langsam zu dem Tisch gingen, auf dem die Leiche lag. Er hielt den Blick weiter starr nach unten gesenkt, als der Mann das Laken zurückschlug. Die darauffolgende Stille würde er nie vergessen. Sie klang so laut in den Ohren, dass er die Worte, die sie durchbrachen, nicht verstand. Sie brachte ihn dazu, den Kopf zu heben und in ein ihm allzu bekanntes Gesicht zu blicken. Das Gesicht seines Sohnes, so vertraut und doch so fremd. Etwas war anders. Das gleiche blonde Wuschelhaar, die eingefallenen Wangen, der schmale Hals.
Es dauerte nicht lange, bis John herausfand, was anders war.
Der Junge auf dem Tisch sah nicht so aus, als wäre sein Leben ein Trümmerhaufen gewesen, als hätte ihm jemand ein Leid zugefügt, als wäre er von der Gesellschaft ausgestoßen worden.
Nein. Vor ihnen lag ein Junge, der den Tod willkommen geheißen hatte.
Ein Junge, der nun seinen Frieden gefunden hatte.