(Song: "Queen of the Sea" - Peter Crowley)
Inspiriert durch den Prompt »Seelensplitter« von der Sixty Minutes-Challenge.
Vorgänger-Geschichte - Vorab lesen ist nicht zwingend notwendig.
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Der Ton an Bord der Athena war so rau wie das Meer im Norden Karmarhyllias. Eisig schnitten sowohl die Winde als auch die Worte des Kapitäns Feijan in die Haut und die Ohren und hielten die Männer auf Trab, die der Witterung trotzten.
Doch Derric war zufrieden. Den harschen Umgang unter Seeleuten hatte er von kleinauf auf dem Fischerboot seines Vaters erlebt, er war damit groß geworden und konnte mindestens genauso lästerlich fluchen wie jeder andere Mann an Bord. Für den Burschen aus Rus an der Küste von Westwindemer war es eine willkommene Abwechslung, nicht unter der Knute seines strengen alten Herrn zu stehen. Neunzehn Jahre lang hatte er das getan, doch irgendwann war es auch für Derric an der Zeit gewesen, ein Mann zu werden. Und so hatte er sein Bündel gepackt und war der Handelsmarine beigetreten. Zwei Jahre war dies nun her und seitdem war Derric nicht mehr zuhause gewesen. Er vermisste seine Heimat schmerzlich, doch nachdem ein Akt der Nächstenliebe zu einem Zerwürfnis mit seinem Vater geführt hatte, hatte der junge Bursche das Gefühl, in seinem Dorf nicht mehr willkommen zu sein.
Seufzend sah Derric von seinem Berg von Rüben hoch, die er in der Kombüse des Handelsschoners zu schälen hatte, und blickte aus einem der kleinen Bullaugen. Er war auf diesem Schiff zwar nur ein Küchenjunge, doch er mochte es. Hier war er einer von vielen und nicht der Sohn des brummigen alten Dojan, der immer, wenn er zu viel Branntwein gehabt hatte, mit allen in Rus Streit suchte und ansonsten ein Sklaventreiber auf seinem Fischerboot war, der selbst bei Sturm noch ausfuhr.
Beunruhigt senkte Derric etwas den Kopf und sah an den dunkelblauen Horizont über dem Meer im Süden. Der Wellengang hatte sich verstärkt und man merkte, dass der Schoner zu schlingern begann.
»Meister, ich glaube, ein Sturm zieht auf«, bemerkte er zum Koch, der auf einigen Stücken gepökeltem Fleisch herumklopfte.
»Ach Unsinn, Junge. Nur ein bisschen schwere See. Das gibt sich sicher gleich wieder. Bei Sturm würde mein Knie schmerzen. Alte Verletzung!«
Derric schmunzelte. Davon erzählte der betagte Koch andauernd, behauptete, er hätte mit einem Smaragddrachen in den Wiesen der Wehklagebucht gekämpft, aber der junge Mann vermutete, dass es einfach nur ein schlecht verheilter Hundebiss war. Jedenfalls fiel es Derric nicht so leicht, den immer dunkler werdenden Himmel zu ignorieren. Sie waren im nördlichen Eismeer unterwegs, auf dem Rückweg von einer Handelsreise nach Manafell an der Grenze zu Skyfheim. Ein Sturm aus dem Süden könnte ihr Schiff vom Kurs abbringen und weiter in den Norden treiben, dorthin, wo das Meer von riesigen Eisbergen und Schollen aus Packeis durchzogen war. Ihr Schoner war für solche Witterungen nicht gemacht. Trotzdem zwang Derric sich, seine aufkommende Angst zu verdrängen. Er hatte schon einmal einen Sturm erlebt, bei dem er von Bord gegangen war und beinahe ertrunken wäre, wenn nicht eine wundersame Kreatur ihn gerettet hätte. Ein zweites Mal würde er wohl nicht so viel Glück haben!
Es war ihm beinahe gelungen, nicht mehr auf das Schaukeln zu achten und seine Arbeit zu verrichten, als an Deck die Glocke ertönte. Das Signal für die Mannschaft, sich zu versammeln. Das war kein gutes Zeichen, denn es bedeutete Alarm. Zittrig legte der junge Mann das Schälmesser weg.
»Nun, mein Junge, vielleicht müssen wir uns doch einem Sturm stellen«, knurrte der alte Koch und schob seinen Gehilfen die Stiege hinauf, wo tatsächlich alle, vom ersten Maat bis zum niedersten Schiffsjungen, der die Latrine schrubben musste, Spalier standen. Der Wind riss an den Kleidern und Haaren der Mannschaft und die Gischt der gegen den Bug des Schiffes schlagenden Wellen spritzte bis auf das Deck. Es regnete und das Tosen der See war so laut, dass die gebellten Befehle Kapitän Feijans kaum zu hören waren. Doch das war auch nicht nötig, denn die Männer wussten, was zu tun war. Eilig rannten die Seeleute umher, banden Kanonen fest, holten Segel ein und sicherten alles, was zu tödlichen Geschossen werden konnte. Im Lagerraum verhinderten starke Taue, dass die Waren ihre Position veränderten. Selbst ein stabiler Schoner wie die Athena konnte kentern, wenn die Tonnen von Marktgütern von der einen auf die andere Seite rutschten.
Um die Segel vor dem Zerreißen zu schützen, war Manövrieren darüber keine Option. Und so schickte der Kapitän die stärksten Matrosen unter Deck, um die langen Riemen auszulegen. Der Plan war, aus dem Sturm zu rudern, auch wenn der immer stärker werdende Wellengang das nicht leicht machte. Die Riemen berührten kaum die Wasseroberfläche, doch jedermann an Bord wusste, dass sie erledigt sein würden, wenn die Segel rissen. Immer mehr Wasser wurde durch Wind und Wellen an Deck gespült, inzwischen gab es nicht einen Mann mehr, der trocken war und das Gebrüll des Kapitäns stritt sich mit dem des Sturms. Und dann plötzlich hörte es auf. Als würde sich das Meer zurückziehen, verschwand das Schaukeln beinahe vollkommen und nur noch der Wind schnitt durch die klatschnassen Kleider der Männer.
»Was zum ...?«, fragte Derric sich und sah sich hektisch um. Das Unwetter hatte das Tageslicht geschluckt und es war finster wie die Nacht.
»RUDERT, IHR LANDRATTEN!«, brüllte Kapitän Feijan unter Deck, doch der Befehl war so fruchtlos wie alles andere, was die Männer noch hätten versuchen können. Den gewaltigen Brecher, der sich über der Athena auftürmte, konnten sie weder abhängen noch verhindern.
»FESTHALTEN!«, brüllte Feijan erneut und Derric, der so etwas schon einmal erlebt hatte, wünschte sich, er hätte seine Mutter noch einmal sehen können, bevor die See ihn verschluckte. In einem letzten Akt der Verzweiflung holte er tief Luft, als die Wassermassen über dem Schiff zusammenbrachen und es unter sich begruben.