Der erste Tag gestaltete sich im Rückblick unspektakulär, sieht man von der Landschaft ab. Wir verbringen ihn auf dem Wasser, allein und preußenfrei.
Dass wir einen Soldaten an Bord haben, spielt keine Rolle, denn der ist bei der Luftwaffe, was nicht das Geringste mit Preußen und disziplinierter Ordnung zu tun hat.
Die Nacht zuvor verbrachten wir im Hafen, mit dem festen Ziel am Morgen, nach dem Frühstück, loszulegen. Wobei ich beim Loslegen selbstredend berücksichtige, dass alle anderen lange schlafen. Unsere Kajüte weist eine Art Balkontür auf, die es mir ermöglicht, im Wind auf das Wasser zu schauen, was ich lange tue und dabei, es ist bestimmt mein einziges Laster, meine erste Zigarette rauche.
Was ohne Kaffee nicht prickelt.
Um sieben Uhr fällt mir dann aber nichts mehr ein, womit ich ein Erwachen der anderen verhindern soll, zumal Thomas und Steffi auf dem Zwei-Personen-Klappsofa im Wohn-Ess-Küchenbereich schlafen. Meine Blase ist zum Bersten voll, jedoch lassen sich die schweren Holztüren nicht geräuschlos aufschieben. Diese hier schon allein deswegen nicht, weil sie anscheinend aus der Schiene geraten ist.
Verkniffenen Gesichtes zerre ich ruckelnd so geräuscharm wie möglich, doch ich kriege sie partout nicht auf- leise seufze ich.
Aus dem Wohn-Ess-Küchenbereich ertönt ein Kichern. Kurz darauf höre ich huschende Füße, spüre einen Ruck an der Tür und sehe in Steffis verschlafenes, von langen blonden Locken umrahmtes Antlitz.
„Warum hast du gelacht?“, wispere ich.
„Ich wusste genau, wie du guckst, als du geseufzt hast. Willst du Kaffee?“
„Oh, das wär‘ so schön.“
Einige Zeit später, wir endlich sitzen vorne auf der Terrasse, auf der auch das Ruder untergebracht ist, schlürfen am Kaffee, erwacht auch Thomas.
„Morgen“, nuschelnd entschwindet er ins Bad.
„Wenn wir hier schon im Hafen liegen, kann ja einer bei Rewe Brötchen holen“, Steffi trägt dabei ihre Tasse rein und benutzt die italienische Espressomaschine, um neuen Kaffee zu machen.
„Mach mal einer die Wasserpumpe an!“, ruft es aus dem Bad, „Ich sitz‘ auf dem Klo.“
„Das ist ein Yacht-WC“, wende ich zu spät ein, denn sie kippt den Schalter für die Pumpe.
Vielleicht will er sich direkt frisch machen, denke ich, in der Hoffnung, wenigstens einer habe das mit dem Yacht-WC verstanden.
„Wir aber nicht“, beziehe ich mich auf die Brötchen und linse in den Himmel, in dem der Wind stark auffrischt und schneeweiße Wolken über den Himmel scheucht.
Auf dem ein oder anderen Boot erwachen die Ersten, aber viele sind gestern Abend schon rausgefahren.
„Ne, wir nicht“, sie schäumt die gekochte Milch mit dem eigens mitgebrachten Milchaufschäumer auf und kommt mit zwei Tassen exzellentem Cappuccino herbei. Mit unterschlagenen Beinen wirft sie sich auf einen Holzstuhl, „Versuch‘ es mit Neandertal.“
Ich nicke. Warte, bis ihr Gemahl bekleidet und erfrischt aus dem Bad tritt.
„Thomas“, sülze ich, „wie wäre es, wenn du jagen gehst?“
„Äh, was?“
„Brötchen. Jagen“, ich gestikuliere einen Speerwurf.
„Ich weiß doch gar nicht...“
„Im REWE.“
Wenig später zieht er grummelnd von dannen. Er muss schon lange im Supermarkt sein, als mir noch was einfällt.
„Wenn er ohnehin im Rewe ist, kann er auch Erdbeeren mitbringen“, spreche ich den Gedanken laut aus, und sortiere meine derangierten Haare auf dem Kopf.
„Schreib ihm. Aber nimm‘ mein Handy.“
„Gerne“, ich grinse breit und tippe, wissend, dass er das für eine Nachricht von seiner Frau Gemahlin halten muss.
„Bresaola“, seufzt Selbige schläfrig.
Ich tippe Bresaola.
"Mozzarella."
Auch der.
An den blauen Häkchen erkenne ich, dass er die Aufforderungen zumindest gelesen hat, aber eine Antwort bleibt aus. So entschließe ich mich, weitere Supermen hinterher zu schicken, derweil wir uns gleichzeitig, ohne darüber ein Wort verlieren zu müssen, ausmalen, wie er durch den Supermarkt hetzt und die Produkte sucht. Wir lächeln vage vor uns hin, wobei wir in den neuen Kaffee starren.
„Rosmarin.“
Verblüfft gucke ich sie an.
„Ich habe da ein Rezept und alles andere mit“, mit ausholender Geste weist sie in das Innere des Hausbootes.
„Für ein Gericht?“ Ich reibe mir die Augen.
„Ne, Gin, Aperol und Pink-Grapefruit. Da kommen Rosmarinzweige rein und die schicken Gläser hast du ja mitgebracht.“ Sie zwinkert mir mit Saphieraugen zu.
Rosmarin, tippe ich also und wir kichern leise, weil wir ihn in Gedanken von der Käseabteilung zurück in die Grünzeugabteilung rasen sehen.
Als er endlich zurück kommt, sieht er auch gehetzt aus, hat aber alles dabei und schwadroniert länger über die Komplikationen, sich in einem fremden Supermarkt zurechtzufinden, was wir geflissentlichen ignorieren, die Einkäufe verstauen und den Frühstückstisch decken.
Was soll ich sagen?
Den restlichen Tag sind wir auf dem Boot.
Schippern und schippern die Havel entlang, auf der sich bis Pritzerbe, das weit ist, ein See nach dem anderen, wie Perlen an einer Kette reihen.
Es ist unbeschreiblich schön.
Schilf, Wasserlilien, Silberreiher, Seerosen, Fichten hinten am Ufer.
Die Sonne, immer wieder von Wolken verdeckt, wärmt uns, denn weniger als 25 Grad sind es noch nicht.
Dass wir Frauen zufällig exakt das gleiche blau-weiß-gestreifte Kleid anhaben, kommentieren wir nur mit einem belustigten Pft und einem Fingerzeig, denn es ist Zufall und nicht abgesprochen. Nicht einmal die Männer kommentieren das. Es ist schön, wenn man sich 30 Jahre kennt. Tom steht am Ruder, die Havel ist breit, und ich verschwende nicht den kleinsten Gedanken an die Wasserstraßenkarte oder Tiefe...
...bis es schrabbt.
„Wir haben uns festgefahren!“ Im Rufen zieht Steffi schon das Kleid aus und strebt im Bikini der Schwimmleiter zu, die sie ins Wasser wirft.
„Jan! Ab nach hinten!“ Nach Toms zackigen Kommando verschwindet der junge Mann außen aufs Heck, um rufen zu können, falls jemand in der Nähe der Schraube steht. Auch Thomas ist schon im Wasser.
„Hat mal jemand auf die Karte geguckt?“
Mein Kopf ruckt rum. Nicki steht mit dem Wasserstraßenkartentablett neben Tom, der am Ruder kurbelt. „Habe ich nicht dran gedacht.“
Ich kichere, spähe nach vorn, wo ich resümiere, dass Thomas und Steffi lediglich bis etwa zur Hüfte im Wasser stehen und das Boot schieben.
„Mehr backbord!“, jauchzt Nicki.
„Ich versuche es mal rückwärts.“
„Jan! Aufpassen!“
„Wenn du rückwärts fährst, wickelt sich der Schlick um die Schraube“, wage ich einen Einwand.
Steffi watet tiefer in die Havel, ihr steht das Wasser bis zum Kinn. „Hier musst du hin“, breitet sie die Arme aus.
„Schieben!“, blökt Thomas von der Seite.
„Hier in der Karte ist eingezeichnet, wie tief das Wasser ist“, bemerkt Nicolas, was überhört wird. Mit Brille auf der Nase brütet er über der Karte.
„Ist frei!“ Das kommt vom Heck und ist von Jan.
Jauchzend klettert Steffi zurück aufs Boot, wo ich ihr ein Handtuch reiche. „Ich glaube“, sage ich dabei meinem Mann, „dass die orangefarbenen Bojen flussabwärts zu deiner Rechten und die grünen zu deiner Linken sein müssen. Dann bist du in der Fahrrinne. Aber das mit den Farben weiß ich nicht mehr so genau. Da war ich zwölf, als ich das lernte.“
„Mach mal einer die Pumpe an!“
„Das ist ein Yacht-WC“, seufze ich resigniert, mache aber die Pumpe an.
„Und jetzt suchen wir uns eine Bucht“, entscheidet Steffi und schlüpft wieder ins Kleid.