Meine Lippen schmecken bittersüß, als sie sich von mir löst. "Das war's", sagt sie und wischt sich über den Mund, als wäre dort Schmutz, den sie loswerden muss. "Willst du sonst noch etwas?"
Ich will sie, aber das kann ich ihr nicht sagen. Nicht jetzt. Das würde alles nur noch schwieriger machen. Ich will sie, seit ich sie in dieser albernen Karaoke-Bar "You can leave your hat on" singen sah. Sie hatte selbst einen Hut auf, den sie sich immer wieder kokett über das Gesicht zog. Als sie von der Bühne kam, lud ich sie ein, einen Cocktail mit mir zu trinken. Sie nahm zunächst zögernd an, doch am Ende des Abends wankten wir Arm in Arm nach Hause. Ich kam mit zu ihr, weil der Weg zu ihr nicht so weit war und sie meinte, dass sie doch nicht zulassen könnte, dass ein so hübsches Mädchen wie ich allein im Dunkeln nach Hause geht. Sie sagte das, obwohl es damals noch offensichtlich war, dass ich nicht als Mädchen geboren worden war.
Als wir bei ihr waren, schliefen wir nahezu sofort ein. Ich werde nie diese erste Nacht vergessen, die ich mit ihr in meinen Armen verbrachte.
Danach sahen wir uns nahezu täglich. Erst noch mit Ausreden, gemeinsam mit anderen Freunden gingen wir auf Partys, zu kleinen Saufgelagen oder wir trafen uns, um für die Uni zu lernen. Dann wurde es allmählich intimer und offensichtlicher, dass wir mehr aneinander interessiert waren, als an irgendwelchen anderen Bekannten.
Unser erstes offizielles Date hatten wir in einem Museum. Händchenhaltend gingen wir durch die Gänge, betrachteten minutenlang die Bilder und tauschten uns flüsternd über mögliche Interpretationen aus. Wir sprachen viel, über Gott und die Welt, über Philosophie, Diskriminierung und Musik. Noch nie war ich mit einer Person so sehr auf einer Wellenlänge gewesen und es dauerte nicht mehr lange, bis wir zusammen kamen.
Dieser Sommer war wohl der großartigste meines Lebens. Sie wohnte fast schon bei mir, und wenn sie nicht bei mir zu Hause war, dann nur, weil wir in ihrer Wohnung waren. Gemeinsam gingen wir an den Strand, kochten, rauchten, sangen. Es wurde nie langweilig mit ihr.
Dann kam der Herbst. Ich hatte gerade Schwierigkeiten mit meiner Familie, weil ich mich weigerte, auf der Hochzeit meiner Schwester einen Anzug zu tragen oder "mir eine vernünftige Frisur" schneiden zu lassen. Ich war der Ansicht, dass für mich genauso angemessen sein sollte wie für meine Mutter, mit langen Haaren und elegantem Kleid aufzukreuzen. Meine Freundin war bei mir, und statt sich von meiner schlechten Stimmung abschrecken zu lassen, entschied sie kurzerhand, sich selbst eine Kurzhaarfrisur zuzulegen. Zur Hochzeit trug sie den Anzug, den meine Mutter sich für "ihren Sohn" vorgestellt hatte, und ich trug das limettengrüne Kleid, das ich mir gewünscht hatte. Meine Schwester hat sich vor Lachen kaum noch eingekriegt, während mein Vater einen Wutanfall unterdrückte. Offensichtlich blieben wir nicht lange, aber ich werde ihr nie vergessen, wie sie mir an dem Tag Mut gemacht hatte.
Den gesamten Winter über redete ich nicht mit meinen Eltern; Nur meine Schwester rief manchmal an, um sich zu erkundigen, wie es mir ging und um mich auf den neuesten Stand zu bringen. Es schmerzte zu sehen, wie egal ich ihnen offenbar geworden war, aber ich hatte meine Freundin. Ihre Familie hieß mich willkommen, und bald fühlte ich mich als Teil von ihnen. Umso schmerzhafter war es auch für mich, als ihr Großvater starb. Er hatte immer Kekse gebacken und Weihnachten hatten wir bei ihm gefeiert. Das ganze Haus hatte geduftet nach frischem Gebäck und Tannenzweigen. Kurz danach hatte sich sein Alter auf die furchtbarste Weise bemerkbar gemacht.
Die Beerdigung fand kurze Zeit später statt. Meine Freundin weinte die ganze Zeit und ich konnte nichts anderes tun, als sie hilflos im Arm zu halten und zu versuchen, sie zu trösten.
Ich gebe gerne zu, dass das keine einfache Zeit war. Sie war oft niedergeschlagen, und mir ging es nicht sehr viel besser. Wir waren wie ein Kartenhaus, das beim leichtesten Windhauch einzustürzen drohte. Aber wir überlebten das, zumindest ein paar Monate lang.
Dann, im Frühling, kam unser Windhauch namens Dänemark. Sie hatte ein einmaliges Angebot, an einem Kunstprojekt teilzunehmen, für das sie für unbestimmte Zeit in den Norden ziehen musste. Ich wusste, dass sie es ewig bereuen würde, würde sie es nicht annehmen. Es war ein Kampf, auszufechten, ob sie bleiben oder gehen sollte, ob wir eine Fernbeziehung oder aufgeben wollten. Wir entschieden uns für eine offene Beziehung. Das funktionierte recht gut. Jeden Tag telefonierten wir mindestens ein mal, wir teilten uns jeden möglichen Mist mit, und fanden Wege, trotz der räumlichen Trennung gemeinsam Dinge zu unternehmen. Manchmal schickten wir uns Briefe oder kleine Pakete mit Dingen wie T-Shirts, Stofftieren oder kleinen Skulpturen. Es funktionierte sogar noch gut, als sie mir von ihrer Arbeitskollegin erzählte, in die sie sich gerade verliebte.
Im späten Sommer fuhr ich für zwei Wochen zu ihr. Wir hatten diesen Urlaub lange geplant, und tatsächlich verlief er wundervoll. Ich sah ihre Arbeit, lernte ihre Kollegin kennen, und wir machten Ausflüge an die seltsamsten Orte, die sie bisher gefunden hatte.
An meinem letzten Abend in Dänemark malte sie meinen Körper an. Ihr Gesicht war beschmiert mit Farbe, als sie mich küsste, was einen seltsamen Geschmack hinterließ.
"Das war's", sagt sie und wischt sich über den Mund, um etwas Farbe zu entfernen. Zufrieden betrachtet sie mich. Ihr Kunstwerk. "Willst du sonst noch etwas?"
Ich kann nicht anders, als sie anzulächeln. Der Ring in meiner Tasche war eine voreilige, eine panische Entscheidung, das weiß ich jetzt. Er wird wohl noch ein wenig warten müssen. "Magst du mir vielleicht noch einmal diesen leckeren Erdbeer-Limetten-Drink von Fynn machen?", frage ich schließlich. "Der Geschmack erinnert mich so sehr an dich."
"Bittersüß?", lacht sie, während sie schon an die Küchenzeile tritt. Erst tut sie beleidigt, doch nach kurzem Überlegen meint sie: "Aber stimmt schon. Wenn unsere Beziehung die Erdbeeren sind, dann sind alle Schwierigkeiten die Limetten. Limetten allein sind unerträglich, und nur Erdbeeren wären viel zu süß. Es benötigt quasi die Co-Existenz von beidem, damit der Drink funktioniert und interessant schmeckt." Grinsend über diese Interpretation kommt sie zurück und reicht mir den Drink.
Meine Güte, was liebe ich diese Frau.